Grundschule / Wie ein Lernprogramm ausgebremst wurde
Am Donnerstag wird ein neues Lernprogramm („Phonolgesch Bewosstheet mam Sila“) für den Zyklus 1 der Luxemburger Grundschulen vorgestellt. Es soll die phonologische Bewusstheit bei den Kindern stärken. Allerdings gibt es ein Alternativprojekt, das „Lala“-Programm, welches mit einem Innovationspreis ausgezeichnet wurde, und entwickelt wurde, um eine Antwort auf die Problematik der Bildungsungerechtigkeit zu geben. Dieses Projekt wurde allerdings vom Bildungsministerium abgelehnt. Über die genauen Gründe herrscht Unklarheit. Wir haben uns umgehört.
Das Problem im luxemburgischen Bildungssystem liegt insbesondere im Leseverständnis der deutschen Sprache bei Kindern ab den untersten Zyklen der Grundschule. Insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund oder aus sozioökonomisch weniger begünstigten Familien schneiden bei der PISA-Studie und den „Epreuves standardisées“ (EpStan) schlecht ab.
Die luxemburgische Psychologin und Wissenschaftlerin Pascale Engel de Abreu vom Institut für Mehrsprachigkeitsforschung der Universität Luxemburg hat dieses Problem früh erkannt und hat über acht Jahre lang am Forschungsprojekt Litmul („Early Literacy Instruction in a Multilingual Setting“) gearbeitet, das sich ebendieser Problematik annahm. Hieraus entstand das Lala-Programm („Lauter lëschteg Lauter“).
Die Lehrer und Eltern der Kinder, die mit dem Programm gearbeitet haben, haben die Wissenschaftler wiederholt aufgefordert, sich dafür einzusetzen, Lala in die Luxemburger Schulen zu bringen. Engel stand mit dem Script („Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques“), einer Abteilung des Bildungsministeriums, in Verbindung, um diesem Wunsch nachzukommen.
Statt Lala ins Schulprogramm aufzunehmen, hat das Bildungsministerium allerdings sein eigenes Programm mithilfe der Wissenschaftlerin Sylvie Bodé weiterentwickelt. Es heißt „Phonologesch Bewosstheet mam Sila“ und wird ab Januar 2021 allen Luxemburger Schulen im Zyklus 1 zur Verfügung gestellt. Am nächsten Donnerstag soll eine Videokonferenz den Lehrkräften der rund 700 Klassen Sila vorstellen. „Die Lehrer beziehungsweise die Schulen müssen das Programm allerdings nicht zwingend einführen“, sagt Script-Direktor Luc Weis. „Artikel 11 vom Grundschulgesetz gewährt den Schulen Lehrmittelfreiheit.“
Ungereimtheiten?
Was aber ist passiert? Bei dieser Frage stehen nach unseren Recherchen einige Ungereimtheiten im Raum. Doch weder bei Pascale Engel noch bei Luc Weis gibt es solche Ungereimtheiten, wie beide unabhängig voneinander dem Tageblatt versichern. Unser Bild ist allerdings unvollständig, weil die jeweiligen Parteien wohl aus rechtlichen Gründen nicht alles sagen dürfen.
Um das Lala-Förderprogramm in die luxemburgischen Schulen zu bekommen, wurde Engel sowohl von Experten der Universität Luxemburg als auch vom FNR („Fonds national de la recherche“) angeraten, dies über den Weg einer Spin-off zu machen. Dabei handelt es sich um eine Unternehmensform. Auf Nachfrage bei Marc Schiltz, Generalsekretär des FNR, konnte er dies, was den FNR anbelangt, dem Tageblatt gegenüber bestätigen. „Das Lala-Projekt von Pascale Engel wurde über das Proof-of-Concept-Programm (heute heißt es JUMP) vom FNR unterstützt“, so Schiltz. Ziel dieses Programms sei es, Forschungsresultate zu valorisieren. Je nach Projekt gebe es verschiedene Möglichkeiten. Eine davon sei die Unternehmensgründung in Form einer Spin-off. „Beim Abschluss des Lala-Projektes haben zwei Experten, die das Projekt für den FNR begutachtet hatten, die Empfehlung zur Gründung einer Spin-off ausgesprochen“, sagt Schiltz.
Weil die Gründung einer Gesellschaft, wie Engel sagt, nicht einfach und mit vielen Risiken verbunden ist, wartete sie erst mal ab. Die Diskussionen mit dem Script zogen sich über mehrere Monate. Februar 2019 stand ein konkretes Implementationsprojekt, sagt Engel. Um den Vertrag mit dem Script unterzeichnen zu können, musste dann eine Spin-off gegründet werden, was dann auch passierte.
Vor der Unterzeichnung des Vertrags zirkulierten allerdings Gerüchte, Engel habe die Daten des Litmul-Projekts verfälscht. Das Ganze landete bei der „Luxembourg Association for Research Integrity“ (LARI), einer Art Aufsichtsorganisation für wissenschaftliche Arbeiten. Dort wurde der Vorwurf geprüft und festgestellt, dass die Anschuldigung der Datenverfälschung falsch war.
Wer hat die Verschwiegenheit gebrochen?
Obwohl LARI zur absoluten Verschwiegenheit verpflichtet ist, erfuhren manche Instanzen, dass dieses Verfahren am Laufen war. Wie dies zustande kam, ist nicht bekannt. Auf Tageblatt-Nachfrage bei Marc Schiltz, der neben seiner Rolle als Generalsekretär beim FNR auch zum Board der Aufsichtsorganisation LARI gehört, erklärte dieser: „Déi Fuite ass op alle Fall net vun der LARI an net vum FNR ausgaangen.“ Hier stellt sich die Frage, wer denn die Verschwiegenheit gebrochen hat? Wer, wenn nicht der FNR und auch nicht die LARI?
Déi Fuite ass op alle Fall net vun der LARI an net vum FNR ausgaangenGeneralsekretär beim FNR und Board von LARI
Zur gleichen Zeit zirkulierten auch Briefe, welche die Script-Forscherin Sylvie Bodé unter anderem an den FNR und an RTL geschickt hatte. Im Brief an den FNR wurde Pascale Engel um eine Stellungnahme zu verschiedenen Punkten in ihrer wissenschaftlichen Vorgehensweise aufgefordert. Marc Schiltz bestätigte dies dem Tageblatt.
„Kurz danach wurde ich informiert, dass das Ministerium nicht mehr an Lala interessiert sei“, sagt Engel. Laut Luc Weis sollen sich die Verhandlungen bis Januar 2020 hingezogen haben. Bis dahin habe er das Gefühl gehabt, dass man mit der Spin-off von Engel hätte zusammenarbeiten können. „Zu diesem Zeitpunkt hatten wir in unserem Projekt ein Konzept stehen“, sagt er. Beide Konzepte würden nicht weit auseinanderliegen, da es schließlich nicht tausend Möglichkeiten gebe, phonologische Bewusstheit aufzubauen. Dem Script-Direktor zufolge hätte man etwas Gemeinsames machen können.
Zwischen den Parteien wurden verschiedene Kooperationsmodelle besprochen, sagt Weis. Es sei keins dabei gewesen, das beide Parteien zufriedenstellte. Da Sila schon weit entwickelt war, ging es nun darum, unter anderem die grafische Identität des Projekts festzulegen und einen Namen dafür zu suchen. Dass Projekte verworfen werden, sei nichts Ungewöhnliches, so Weis. Der Script bekomme fast täglich neue Produkte angeboten, habe allerdings keine unendlichen Ressourcen zur Verfügung.
Wieso wurde das Lala-Projekt dann abgelehnt? „Wir kamen zum Schluss, dass das Gesamtpaket nicht stimmt“, sagt Weis.
Engel sagt, dass sie bis zum Abbruch der Verhandlungen nichts über das Sila-Projekt wusste. Außerdem sei eine Verschmelzung beider Programme nicht hinnehmbar, so die Wissenschaftlerin. Wenn man Elemente aus dem getesteten Lala-Programm umändere, dann wisse man nicht, ab das Ganze noch funktioniere. Hätte es eine solche Verschmelzung gegeben, hätte sie dieser nicht eingewilligt, sagt Engel. „Man kann nicht ein Programm empirisch testen, es dann in abgeänderter Form in den Schulen einführen und davon ausgehen, dass es das Gleiche bewirkt, wie jenes Programm, das getestet wurde“, so Engel. Dahinter könne sie als Wissenschaftlerin nicht stehen.
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Egal ob Sila oder Lala, es ist eh alles Gaga, was den Kindern in letzter Zeit zugemutet werden soll.
Man fragt sich wie wir es soweit bringen konnten.Ohne Roboter,Handy,Wikipedia,Google usw. Vielleicht weil wir selbst denken mussten,es wurde nicht für uns gedacht.Erinnern wir uns noch an die Schulreform mit Sim und Lückentext? Von da an gings bergab.Das „Passage Examen“ auf dem Gymnasium viel weg.(Zuviel Stress für die armen Schüler) Heute werden sie alle zum Abitur geleitet mit Kompensieren usw und die meisten schaffen das Examen. Aber noch nie mussten Studenten dann,z.B. in Frankreich,Aufnahmeprüfungen machen,weil ihr Französisch mangelhaft ist und noch nie bekam man von Ämtern oder Banken Briefe mit so vielen Schreibfehlern. Chancebgleichheit OK,aber nicht auf Kosten der guten Schüler.Wenn die Standards heruntergesetzt werden,damit JEDER durchkommt,sinkt die Qualität.
@J’ai chanter: (ich hoffe das war gewollt.) Und das folgende auch „Das „Passage Examen“ auf dem Gymnasium viel weg.“ Das Verb heisst wohl ‚vallen‘! Sie sagen treffend: Die Qualität sinkt. Manchmal singt sie auch, for Vreude hüber di fielen Fähler.