Tierversuchsgegnerin Michèle Dressel / Wie eine europäische Bürgerinitiative Tierversuche stoppen will
2013 ist in der EU ein Verbot von Tierversuchen im Bereich Kosmetika in Kraft getreten. Doch das Verbot wird immer wieder unterlaufen, erklären Aktivisten. Eine europäische Bürgerinitiative fordert die Kommission auf, Tierversuche in der Kosmetik endlich komplett abzuschaffen und einen Plan vorzulegen, wie Tierversuchen insgesamt ein Ende bereitet werden kann. Die Initiative braucht eine Million Unterschriften europaweit. Das Tageblatt hat sich mit der Luxemburgerin Michèle Dressel, Medien- und Kampagnenbeauftragte beim Verein Ärzte gegen Tierversuche, über die Initiative und die „Notwendigkeit“ von Tierversuchen unterhalten.
Tageblatt: In Europa sind Tierversuche für Kosmetika seit einigen Jahren verboten. Ist jetzt alles gut?
Michèle Dressel: Nein, leider nicht. Zum einen beschränkt sich das Verbot auf Kosmetika. Tierversuche sind aber immer sinnlos. Zum anderen wird das Verbot in der Kosmetik unterlaufen. Trotz Verbot werden immer wieder Tierversuche eingefordert. Das ist auch der Fall bei Substanzen, die ausschließlich in der Kosmetik eingesetzt werden und damit eindeutig unter das Verbot fallen. Das ist auch der Grund für unsere europäische Bürgerinitiative.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Zu der Bürgerinitiative geführt hat der Fall des deutschen Unternehmens Symrise. Dieses wurde von der europäischen Chemikalienagentur ECHA aufgefordert, Substanzen für Sonnencremes an Tieren zu testen. Es handelt sich dabei um Substanzen, die schon länger problemlos eingesetzt werden.
Woran liegt es, dass das Verbot umgangen wird?
Meiner Einschätzung nach steckt eine starke Lobby dahinter. Als Grund für die Tierversuche wird der ArbeiterInnenschutz angegeben. Es wird eine künstliche Trennung zwischen ArbeiterInnen und KundInnen hergestellt. Eine Substanz, die nicht in Tierversuchen getestet werden darf, wenn ich sie mir in Form einer Creme wortwörtlich ins Gesicht schmiere, soll getestet werden müssen, wenn jemand damit arbeitet.
Welchen Profit hätte eine Lobby, die für Tierversuche kämpft?
Im akademischen Bereich geht es um Prestige. Renommierte medizinische Fachzeitschriften publizieren oft Beiträge nicht, wenn die Forschung keine Tierversuche beinhaltet. WissenschaftlerInnen, die das nicht machen, können nicht publizieren und damit nicht die Karriereleiter erklimmen. Es steckt aber auch eine sehr große Industrie dahinter. Charles River Laboratories ist der größte Züchter sogenannter Versuchstiere. Der Umsatz dieses Unternehmens beläuft sich auf 2,2 Milliarden Euro pro Jahr alleine mit sogenannten Versuchstieren. Hinzu kommen zum Beispiel genormte Käfige und Futter.
Ist es nicht nachvollziehbar, dass die Forschenden für die bestmögliche Sicherheit der Menschen sorgen wollen?
Kein Tierversuchsgegner und keine Tierversuchsgegnerin wird bestreiten, dass Tests ein Plus an Sicherheit darstellen. Es geht nicht darum, die Substanzen nicht zu testen, sondern es geht darum, sie nicht an Tieren zu testen. Wir können die Tierrechtsbewegung sogar komplett aus der Rechnung herausnehmen und nur die Sicherheit für den Menschen betrachten. Auch – und gerade dann – sind Tierversuche absolut sinnlos, weil sie keine Resultate liefern, die wir bedenkenlos verwenden können. Menschen und andere Tiere sind verschieden. Ein Resultat in einem Tierversuch lässt sich nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen. Deshalb sind Tierversuche sogar gefährlich für Menschen und bringen keine Sicherheit.
Im Gespräch mit WissenschaftlerInnen höre ich immer wieder, Tierversuche seien notwendig. Warum sollte das nicht so sein?
Ein bestehendes Problem ist die Finanzierung. Es gibt Methoden, die ohne Tiere auskommen und deshalb nicht grausam sind. Dadurch dass sie am Menschen ausgerichtet sind, z.B. mit menschlichen Zellen arbeiten, liefern sie auch gute Resultat für den Menschen. Das Problem ist, dass sie nicht gefördert werden. Mehr als 99 Prozent der Fördergelder für biomedizinische Forschung in Deutschland fließen in Projekte mit Tierversuchen und nur unter einem Prozent fließt in tierversuchsfreie Projekte. Damit sind die bestehenden Alternativmethoden nicht attraktiv genug.
Welche alternativen Methoden gibt es?
Eine Methode besteht darin, Zellen – zum Beispiel aus der Haut – im Labor zuerst zu Stammzellen und dann zu jeder erdenklichen Zelle umzuprogrammieren – zum Beispiel zu einer Gehirnzelle. Im Labor können daraus kleine „Minigehirne“ gezüchtet werden – oder eine Leber, eine Niere, ein Stück Haut … Diese Züchtungen werden als Organoide bezeichnet. An ihnen kann man überprüfen, wie eine Substanz auf ein menschliches Organ – nicht das einer Maus – wirkt.
Sind solche alternativen Methoden reif genug, dass sie industriell genutzt werden können?
Sie können industriell genutzt werden. Durch die mangelnde Förderung wird das aber nicht getan. Es ist sogar möglich, mehrere dieser Mini-Organe, die für eine Untersuchung wichtig sind, auf einen Chip zu setzen (Multiorganchip; Anm. der Red.). Eine hinzugegebene Substanz läuft dann durch die verschiedenen Organe und wird verstoffwechselt, wie in einem Mini-Menschen. Das ist extrem weit entwickelt. Wir haben eine weltweit einzigartige Datenbank mit Technologien ohne Tierversuche erstellt (NAT-Database für Non-Animal Technologies; Anm. der Red.). Dort werden alle möglichen wissenschaftlichen Verfahren beschrieben, die ohne Tierversuche funktionieren.
Wie viele Tierversuche werden in Europa überhaupt gemacht?
Wir gehen von etwa 10 bis 12 Millionen Tieren in Europa pro Jahr aus. Diese Zahl ist seit Jahren leider stabil hoch. Hauptsächlich handelt es sich um Mäuse und Ratten. Wenn bei Mäusen oder Ratten eine Nebenwirkung auftritt, besteht eine 43%ige Wahrscheinlichkeit, dass auch beim Menschen die gleiche Nebenwirkung auftritt. D.h. mit einem Münzwurf würde man ein besseres Ergebnis erzielen.
Eurobarometer-Erhebungen zeigen regelmäßig, dass viele Menschen in Europa Tierversuche kritisch sehen. Wie ist Ihre Einschätzung?
Etwa zwei Drittel der Bürger Europas lehnen Tierversuche ab. Allerdings sehen viele Menschen Tierversuche in der Medizin immer noch als ein notwendiges Übel. Das sind sie aber nicht. Sie sind ein Übel, das nicht notwendig ist. Bei Kosmetika ist der Konsens gegen Tierversuche noch stärker.
Wäre die Covid-Impfung ohne Tierversuche auch so schnell entwickelt worden?
Sie ist so schnell entwickelt worden, gerade weil Tierversuche umgangen worden sind. Zum Teil sind sie ausgesetzt worden. Zum Teil sind Tierversuche und klinische Tests an Freiwilligen parallel gemacht worden. Komplett absurd ist, dass die Tierversuche zum Teil nach den klinischen Studien gemacht wurden. D.h. der Impfstoff wurde entwickelt und am Menschen getestet. Er hat funktioniert und wäre bereit gewesen, auf den Markt zu kommen. Danach hat man ihn im Tierversuch getestet. Das ist komplett absurd.
Wer sind die Ärzte gegen Tierversuche?
Ärzte gegen Tierversuche sind ein wissenschaftlicher Verein, den es seit 1979 gibt. Seit 2009 ist der Verein für Mitglieder und MitarbeiterInnen aus nicht wissenschaftlichen Bereichen geöffnet. Wir setzen uns für die Abschaffung aller Tierversuche ein – nicht nur in der Kosmetik. Unser Motto lautet „Medizinischer Fortschritt ist wichtig, Tierversuche sind der falsche Weg“. Wir stehen für eine human-basierte Wissenschaft. Wenn Wissenschaft human-basiert ist, dann liefert sie auch Resultate, die für den Menschen relevant sind. Wir haben Regionalvereine in ganz Deutschland, in denen Freiwillige aktiv sind. In jeder Regionalgruppe ist mindestens ein Mediziner aktiv. Wir sind aber für jeden offen, der an der Abschaffung von Tierversuchen interessiert ist. In Luxemburg haben wir leider bislang noch keine Gruppe. Das können wir aber gerne ändern. Wenn jemand sich dafür interessiert, eine solche Gruppe zu gründen, kann er sich bei uns unter www.aerzte-gegen-tierversuche.de melden und wir schauen, ob und wie wir das umsetzen können.
Die europäische Bürgerinitiative
Mit der europäischen Initiative „Für den Schutz kosmetischer Mittel ohne Tierquälerei und ein Europa ohne Tierversuche“ fordern die Initiatoren die Europäische Kommission zum Handeln auf. Erstens soll das Verbot von Tierversuchen bei kosmetischen Mitteln gewährleistet und gestärkt werden. Zweitens soll die europäische Chemikalienverordnung umgestaltet werden, um ohne Tierversuche auszukommen. Drittens soll ein Fahrplan für die schrittweise Abschaffung aller Tierversuche in der EU vor Ende der laufenden Wahlperiode aufgestellt werden.
Eine europäische Bürgerinitiative ist ein offizielles Mittel, mit dem sich Bürger an die Kommission richten können. Dafür müssen sie in ganz Europa eine Million Unterschriften sammeln und in mindestens drei Ländern ein gewisses Quorum erreichen. Mit einer erfolgreichen Unterschriftensammlung können die Initiatoren der Bürgerinitiative Gespräche mit EU-Vertretern und eine öffentliche Anhörung im Parlament erzwingen. Die offizielle Seite der Initiative ist zu finden unter: https://eci.ec.europa.eu/019/public/#/screen/home.
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