Corona / Wie Entwickler das Virus mit einer App aufspüren wollen
Das Smartphone könnte bei der Bekämpfung des Coronavirus und bei der Rückkehr zur Normalität eine entscheidende Rolle spielen. Mithilfe von Standortdaten kann festgestellt werden, wer sich wo aufgehalten hat. Datenschützer warnen vor diesem Schritt. In Europa wird derzeit aber auch über die Nutzung von Apps diskutiert, die sich Nutzer freiwillig installieren können, um andere Menschen, die sich in ihrer Nähe aufgehalten haben, zu warnen, falls bei ihnen das Coronavirus festgestellt wird.
Die Corona-Pandemie hat den Alltag vieler Menschen stark verändert und die meisten sind dazu bereit, mit Einschränkungen zu leben, die vor ein paar Wochen noch undenkbar gewesen wären. Nun wird in Deutschland – und nicht nur dort – über eine zusätzliche Einschränkung der Privatsphäre diskutiert. Das erklärte Ziel der Politiker ist es, Infektionsketten nachzuvollziehen.
Vorbild ist China. Dort trägt mittlerweile so gut wie jeder ein Smartphone bei sich und die Behörden haben einen weitreichenden Zugriff auf die Daten. So konnte in vielen Fällen recherchiert werden, wer sich in der Nähe von erkrankten Personen befunden hat. Kürzlich berichtete die TAZ von einem Fall aus der Stadt Wenzhou. Dort sei ein Imbissbesitzer erkrankt. Durch die Daten der Mobilfunkanbieter haben die Behörden ermittelt, dass sich in letzter Zeit 36.000 Menschen in der Nähe des Imbisses aufgehalten haben. Diese seien einzeln angerufen worden, um Details abzuklären. 40 Menschen seien unter Quarantäne gestellt worden.
Auch bei der Wiederherstellung des Alltagslebens spielt das Smartphone in China eine wichtige Rolle. Auf einer App müssen die Bürger Auskunft über ihren Gesundheitszustand geben und erhalten dann einen roten oder grünen Farbcode. Dieser Code wird zum Beispiel bei Busreisen abgefragt. Wer einen roten Code hat, muss weiterhin mit Einschränkungen leben.
Auch in Deutschland könnte das Handy bei der Exit-Strategie aus der der Ausnahmesituation eine Rolle spielen. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn sagte etwas verklausuliert: „Wir stehen ja möglicherweise vor der Frage, ob wir bestimmte Freiheiten des Alltags leichter zurückbekommen können, wenn es gleichzeitig möglich ist, sehr schnell Infektionsherde, Ausbrüche neuer Infektionsketten zu erkennen und dann auch entsprechend zu beenden.“ Die Tagesschau berichtete unlängst von einem vertraulichen Strategiepapier des Innenministeriums, das im Kampf gegen Corona ein längerfristiges „Tracking“ von Standortdaten vorschlägt, um Kontaktpersonen von Infizierten ausfindig zu machen.
Deutscher Minister fordert Diskussion
Bislang dürfen Standortdaten in Deutschland von den Anbietern nur akkumuliert an den Staat weitergegeben werden. Das bedeutet, dass die Behörden, und damit auch das Robert-Koch-Institut, zwar feststellen können, dass weniger Leute aus dem Haus gehen, aber nicht, welcher Bürger sich wo und mit wem trifft. Jens Spahn, der vor der Pandemie vielfach dafür verantwortlich gemacht wurde, dass die Pflege in Deutschland zu wenig Personal hat und das zu schlecht bezahlt wird, hatte die Diskussion um eine Nutzung der Standortdaten angestoßen: „Die Frage, wie wir Handydaten nutzen können wie in Südkorea, um dann Infektionsketten auch sehr schnell nachvollziehen zu können – ob und wie wir das in einem solchen absoluten Krisenfall nutzen wollen oder nicht – diese Debatte braucht es aus meiner Sicht“, sagte Spahn laut Tagesschau Der Vorstoß des Gesundheitsministers wurde von anderen Regierungsmitgliedern nicht so positiv aufgenommen und – nach massiver Kritik von Datenschützern – von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht gestoppt. Kritiker sehen die Diskussion auch aus technischen Gründen kritisch. Die Standortdaten der Provider seien nicht sehr genau und damit wenig hilfreich.
Deutsche Armee testet Corona-App
Eine Alternative zur Abfrage von Standortdaten sind auf dem Handy installierte Apps: Die Initiative „Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing“ arbeitet derzeit an einer App, die dazu beitragen soll, Corona einzudämmen, und noch dazu die Privatsphäre intakt lässt. Beteiligt sind staatliche Institutionen, Universitäten und Privatunternehmen aus Europa, vor allem aus dem deutschsprachigen Raum. Der Sitz der Organisation ist in der Schweiz. Laut Tagesspiegel war auch die deutsche Bundeswehr an der Entwicklung beteiligt – die App wurde auf dem Gelände einer Berliner Kaserne getestet. Die Entwickler wollen Ländern ihr Programm anbieten, damit es in „nationale Corona-Handy-Apps eingebunden werden kann“.
Bürger sollen sich die App freiwillig installieren können. Das Smartphone des Nutzers streckt dann seine Bluetooth-Fühler aus. Immer wenn sich zwei Smartphones begegnen, auf denen die App installiert ist, und sie sich ein paar Minuten auf kurze Distanz zueinander befinden, wird die Begegnung aufgezeichnet – angeblich so, dass weder der Standort noch die Identität des anderen Nutzers festgehalten wird. Erkrankt dann einer der Nutzer an Covid-19, kann über die App eine anonyme Warnung an alle anderen Nutzer versendet werden, mit denen diese Person Kontakt hatte.
Oxford-Forscher: Brauchen App zur Kontaktverfolgung
Auch in Großbritannien gibt es Forscher, die auf eine solche App drängen. Wissenschaftler der Oxford University hatten einen Artikel zu diesem Thema im Fachblatt Science veröffentlicht. Auf dieser Grundlage will nun ein internationales Konsortium eine Machbarkeitsstudie durchführen. Zu der Gruppe gehören das norwegische Institut für öffentliche Gesundheit und die britische Krankenkasse NHS. Einer der Wissenschaftler, Christophe Fraser, wird in der entsprechenden Pressemitteilung der Universität zitiert: „Wir brauchen eine mobile App zur Kontaktverfolgung, um die Gesundheitsdienste dringend dabei zu unterstützen, die Übertragung von Coronaviren zu kontrollieren, Interventionen gezielt zu steuern und die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten. Unsere Analyse legt nahe, dass etwa die Hälfte der Übertragungen in der frühen Phase der Infektion stattfindet, bevor man irgendwelche Symptome des Infekts zeigt. Unsere mathematischen Modelle machen auch deutlich, dass die traditionellen Ansätze zur Ermittlung von Kontaktpersonen im öffentlichen Gesundheitswesen unvollständige Daten liefern und mit dem Tempo dieser Pandemie nicht Schritt halten können.“
Damit ein solches System funktioniert, müssten allerdings sehr viele Menschen mitmachen. 2011 bereits hatte die Cambridge University eine solche App namens FluPhone entwickelt, die den Standort von Nutzern verfolgt und sie warnt, wenn sie sich kürzlich mit jemandem aufgehalten haben, bei dem eine Grippe festgestellt worden ist. Bei den Briten kam das Programm nicht gut an. Nur sehr wenige nutzten es.
Luxemburger Datenschützer haben Bedenken
In Luxemburg ist die Diskussion derzeit noch nicht in der Politik und der Öffentlichkeit angekommen. Hierzulande können die Behörden laut dem Gesetz von 2005 Nutzerdaten von Handybesitzern nur in Ausnahmefällen abfragen. Zum einen können Behörden bei der Strafverfolgung auf die Daten zurückgreifen, die Provider sechs Monate lang speichern müssen. Zum anderen können sie den Standort einer Person in Not abfragen, wenn diese zum Beispiel den Notruf gewählt hat und ihren Standort nicht selbst übermitteln kann, erklärt Thierry Lallemang, Kommissar bei der Datenschutzkommission CNPD, gegenüber dem Tageblatt.
Die CNPD steht im ständigen Kontakt mit ihren Kollegen im Ausland. Sie würden die diskutierten Apps kritisch betrachten, sagt Lallemang. Derzeit überschlagen sich die Ereignisse in diesem Bereich und für die Datenschützer ist es schwierig, die einzelnen vorgeschlagenen Lösungen alle zu analysieren. Lallemang bezweifelt allerdings, dass es möglich ist, eine solche App zu konzipieren, die vollständig anonym arbeiten kann. Wenn etwa Gesundheitsdaten mit Standortdaten in Verbindung gebracht werden, könne man nicht von Anonymität sprechen.
Apps, die auf Freiwilligkeit beruhen, stellen aus Sicht des Datenschutzes kein Problem dar. Vorausgesetzt, der Nutzer wird regelkonform darüber aufgeklärt, was mit seinen Daten passiert. Würde eine solche App jedoch vom Staat vorgeschrieben, dann bräuchte es dafür seines Erachtens eine neue gesetzliche Grundlage, so Lallemang.
Jeder der Facebook nutzt, hat diese App doch schon 🙂