Einschätzungen zur Lage / Wie es nach den Ferien im Bildungswesen weitergehen könnte
Niemand weiß, wie es in den Schulen ab dem 22. Februar weitergehen soll. Es zeichnen sich allerdings einige Pisten ab. Das Tageblatt hat sich mit Akteuren aus dem Bildungswesen unterhalten.
Ein paar Tage, bevor Bildungsminister Claude Meisch die plötzliche Ankündigung der Schulschließungen vornahm, hat er gegenüber Patrick Arendt, Präsident der Gewerkschaft SEW/OGBL und Verantwortlicher für die Grundschulen, durchblicken lassen, dass er sich Sorgen mache. Meisch sehe sich demnächst gezwungen, Schulen ganz unter Quarantäne zu stellen, weil die Zahlen anfangen würden, zu explodieren. „Die allgemeine Schließung kam dann doch schneller als erwartet“, sagt Arendt im Tageblatt-Gespräch.
Ist es denn der richtige Weg, dass die Akteure aus dem Bildungsbereich einen solch großen Schritt aus einer Pressekonferenz beziehungsweise direkt aus den Medien erfahren? Arendt klassifiziert die Frage als eine rhetorische ein und sagt: „Meisch – und das ist bedauerlich – musste auf seinen medialen Scoop warten, um die Ankündigung am Donnerstagnachmittag auf der Pressekonferenz bekannt zu geben.“ Dabei sei die Entscheidung dazu bereits am Mittwochabend gefallen. „Pro Forma bekam ich ein paar Minuten vor der Pressekonferenz einen Anruf aus dem Ministerium, um mich in Kenntnis zu setzen. Das ist schon fast eine Beleidigung“, findet der SEW-Präsident.
Meisch – und das ist bedauerlich – musste auf seinen medialen Scoop warten, um die Ankündigung am Donnerstagnachmittag auf der Pressekonferenz bekannt zu gebenPräsident SEW/OGBL
Laut Arendt wurden die Direktionen eine halbe Stunde vor dem Medienauftritt des Ministers ebenfalls darüber informiert. Teilweise haben sie die Information direkt an die Lehrer weitergegeben, teilweise aber auch nicht. Für den Gewerkschafter wäre es ein Minimum an Respekt gewesen, wenn Meisch sofort nach der Entscheidung am Mittwoch seine Leute im Bildungswesen darüber informiert hätte, damit diese alles Nötige für das Homeschooling auf die Beine hätten stellen können. „Die Leute waren sehr verärgert darüber“, berichtet Arendt. Die Lehrer würden teilweise ziemlich blöd dastehen, wenn Eltern bei ihnen nachfragen, wie der Plan für die kommende Woche aussehen wird. „Die Desorganisation des Bildungsministeriums fällt am Ende immer auf die Lehrer zurück, die dann innerhalb eines Tages alles auf die Beine stellen müssen.“
Mutationen bereiten Meisch Sorgen
Auch Alain Massen, Präsident der Nationalen Elternvertretung, wurde einige Minuten vor der Pressekonferenz informiert. Am Montag hatte Massen eine Unterredung mit dem Bildungsminister. Er habe die Elternvertreter über die Entscheidungen aufgeklärt. „Die neuen Varianten bereiten dem Minister Sorgen“, so Massen im Tageblatt-Gespräch. Meisch habe das Gefühl, dass die britische Variante vor allem bei den jungen Menschen extrem ansteckend sein könnte. Der Präsident der Elternvertreter hat auch am Montag seine Forderung nach einem Masterplan gegenüber dem Minister wiederholt. Ein Plan fürs ganze Jahr, der genau festlegt, bei welchen Situationen welche Maßnahmen kommen. „Es ist keine Weitsicht da und es wird immer nur auf neue Erkenntnisse reagiert“, moniert er. Das führe zu einer enormen Verunsicherung bei allen.
Es ist keine Weitsicht da und es wird immer nur auf neue Erkenntnisse reagiertPräsident Nationale Elternvertretung
Auch Patrick Arendt bemängelt das Fehlen eines Plans. Es werde immer nur auf bestimmte Situationen reagiert. Das Bildungsministerium habe keine Antwort auf die Problematik der „schrecklichen Verspätungen“, die durch wochenlanges Homeschooling entstanden seien. Man wisse nicht, wie man diese jungen Menschen wieder auffangen könne. „Wir verlangen, dass man nach vorne schaut und nicht immer nur reagiert.“ Neben den schulischen Problemen stelle man vermehrt immer mehr psychische Auswirkungen bei den Kindern durch die anhaltende Pandemie fest. Auch hier bedürfe es Lösungen, denn Lehrer seien keine Psychologen. Immerhin habe Meisch festgestellt, dass es in der Hinsicht Probleme gibt.
Mit der aktuellen kurzfristigen Entscheidung Meischs hat Arendt aber kein Problem. „Ich kann das akzeptieren, weil die Zahlen explodiert sind.“ Es sei darum gegangen, kurzerhand eine Situation abzuwenden, die gedroht habe, aus dem Ruder zu laufen. „Wir gehen davon aus, dass Claude Meisch richtig gehandelt hat. Wir haben da Vertrauen.“ Der Minister habe in der Vergangenheit stets gezeigt, dass es wichtig sei, die Schulen so lange wie möglich offenzuhalten. „Wenn er sie nun kurzfristig zu macht, dann gehen wir davon aus und glauben es ihm auch, dass das wirklich notwendig war.“
Das Homeschooling ist eine Krücke
Alain Massen nennt das Homeschooling eine Krücke. „Das ist für viele Kinder eine Katastrophe.“ Mit dem Hin und Her der alternierenden Klassen und dem immer wieder eingesetzten Homeschooling würden die Schüler „d’Flemm“ bekommen. Kinder und Eltern seien oft überfordert. Für die Psyche sei das Homeschooling nicht positiv, so Massen, der von Beruf Psychotherapeut ist. Für ihn wird die Situation der Pandemie noch mindestens bis zum Sommer und wahrscheinlich darüber hinaus anhalten. Dann käme man auf fast zwei Jahre, in denen eine ganze Generation keine qualitativ hochwertige Bildung bekommen habe. „Wir kommen nun an den Punkt, wo wir sagen können, dass wir eine verlorene Generation haben.“ Deshalb lege man dem Minister ans Herz, dass die Programme auf jeden Fall erleichtert werden müssen. Meisch werde wahrscheinlich auch in diese Richtung gehen. Nur ein paar Eliten werden es sonst schaffen, das Programm tatsächlich durchzuziehen. Die anderen bleiben laut Massen auf der Strecke. „Im Endeffekt geht es um das Wohlbefinden der Kinder.“
Massen betont, dass man die Kompetenzzentren in der ganzen Diskussion nicht vergessen dürfe. Die Kinder dort haben besondere Schwierigkeiten und bekommen spezielle Therapien in ihrem Alltag. Man müsse darauf achten, dass die Therapien weiterlaufen, auch wenn die Schulen geschlossen sind. Man sollte unbedingt verhindern, dass diese Kinder über Wochen oder Monate praktisch nicht mehr gefördert werden.
Jeder hat das Vertrauen in die Zahlen verloren, weil viel daran gebastelt wurde, um das Narrativ des Bildungsministers, ‚in der Schule steckt sich niemand an’, aufrechtzuerhaltenPräsident SEW/OGBL
Von der parlamentarischen Bildungskommission, die zusammen mit jener der „Santé“ am Montag stattgefunden hat, hält Patrick Arendt nicht viel. Er nennt es eine „obskure Kommission“, wo man keine Leute sehe und nicht wisse, auf welche Daten sie sich beziehen. Man wisse auch nicht, auf welche Studien Bezug genommen werde, welche Prognosen da seien und ob überhaupt Wissenschaftler dabei seien. „Es ist komplett intransparent“, moniert der Präsident. All diese Fragen sollte man laut Arendt an die Öffentlichkeit bringen. Nur so könne man eine größere Akzeptanz bei den Leuten erringen und die Unsicherheit eindämmen. Das Ministerium müsste genau erklären, was passiert, wenn zugemacht wird, und was, wenn nicht zugemacht wird. Auch die Prognosen über Mutationen, wie viele schon erkannt wurden, wie weit man ist, sollte man kommunizieren, meint Arendt. „Da unterschätzen sie die Leute.“ Das würde in den Schulen die Akzeptanz vergrößern und zudem die Diskussionen ersparen, wie das Ministerium nun darauf komme und ob das wirklich notwendig sei.
Neue Maßnahmen sind wahrscheinlich
Meisch hat für Donnerstagvormittag eine Videokonferenz mit den Gewerkschaften angekündigt. Doch Arendt erwartet sich nicht viel davon. „Wenn es so abläuft wie sonst immer, werden wir lediglich über die Beschlüsse informiert. Er verbucht es dann als Dialog.“ Die Form des Kontakts habe er, nachdem er enorm unter Druck geraten sei, wieder eingeführt. Dadurch nehme Meisch aber lediglich etwas Druck aus dem Kessel. „Jeder hat das Vertrauen in die Zahlen verloren, weil viel daran gebastelt wurde, um das Narrativ des Bildungsministers, ,in der Schule steckt sich niemand an’, aufrechtzuerhalten.“
Ich glaube schon, dass neue Maßnahmen kommen werden, insbesondere wenn sich bestätigen sollte, dass die Mutationen ansteckender sindPräsident der Nationalen Elternvertreter
Im Gespräch am Montag mit dem Bildungsminister glaubt Alain Massen, herausgehört zu haben, dass man am 22. Februar wohl kaum zu einem „normalen“ Unterricht zurückfinden werde. „Ich glaube schon, dass neue Maßnahmen kommen werden, insbesondere wenn sich bestätigen sollte, dass die Mutationen ansteckender sind.“ Laut Massen stehen mehrere Überlegungen im Raum. Eine davon ist, die Grundschulen nur vormittags bis 13 Uhr zu öffnen. Er habe darauf gepocht, den Besuch der „Maisons relais“ am Nachmittag fakultativ zu handhaben. Nicht alle Eltern können oder wollen den „Congé pour raisons familiales“ nehmen. Diese könnten dann ihre Kinder am Nachmittag zu Hause betreuen. Durch diese Option könnte man schätzungsweise die Zahl der Kinder in den „Maisons relais“ um 50 Prozent reduzieren, glaubt Massen.
Wie es nun weitergehen werde, tat Arendt als reine Spekulation ab. „Ich weiß nicht, in welche Richtung die Überlegungen laufen. Wir werden das vielleicht am Donnerstag erfahren. Ich könnte mir vorstellen, dass verschiedene Alternativen im Raum stehen.“ Doch er könne sich nichts Konkretes vorstellen, da er schließlich keine Zahlen habe.
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Spucktest wöchentlich in den Schulen? Dann muss man die Schulen nicht schließen…
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