Bericht von Unicef Luxembourg / Wie es um die mentale Gesundheit bei Jugendlichen steht
Die schlechte mentale Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen in Luxemburg hat sich durch die Corona-Pandemie weiter verschärft. Was wir sehen, ist laut Unicef-Sprecher Paul Heber nur die Spitze des Eisbergs. Die Organisation setzt in ihrem diesjährigen Bericht den Fokus auf diese Problematik und will nun verstärkt zum Thema sensibilisieren.
Seit ihrem siebten Lebensjahr überkommen Tania Panikattacken. In einigen Tagen wird sie 26. „Ich bin immer noch auf ’Première’“, sagt sie. Tania steht am Mittwoch auf der Pressekonferenz von Unicef zum Thema „mentale Gesundheit“ den Journalisten Rede und Antwort. Tania erklärt, wie es ist, wenn man unter einer schlechten mentalen Gesundheit leidet.
Es ist eine Problematik, über die seit sehr langer Zeit zu wenig gesprochen wird und die oftmals tabuisiert wird. Wir sehen, dass sich die Problematik durch die Covid-Pandemie noch verstärkt hat.Direktorin Unicef Luxembourg
Unicef hat am Dienstag den alljährlichen Bericht über die weltweite Situation der Kinder herausgegeben. Dieses Jahr steht die „mentale Gesundheit“ von Kindern und Jugendlichen im Fokus, sagt Sandra Visscher, Direktorin von Unicef Luxembourg. „Es ist eine Problematik, über die seit sehr langer Zeit zu wenig gesprochen wird und die oftmals tabuisiert wird. Wir sehen, dass sich die Problematik durch die Covid-Pandemie noch verstärkt hat.“ Unicef Luxembourg hat am Mittwoch einen Begleitbericht publiziert und dabei das Thema der mentalen Gesundheit in Luxemburg hervorgehoben.
Weltweit ist eins von sieben Kindern oder Jugendlichen zwischen zehn und 19 Jahren von mentalen Gesundheitsproblemen betroffen. In Europa sind das neun Millionen junge Menschen, wobei Angstzustände und Depressionen einen großen Anteil bei den psychischen gesundheitlichen Problemen ausmachen. 2020 hat Unicef weltweit über 47 Millionen Kindern und Jugendlichen in 116 Ländern mit mentalen Problemen samt psychologischer Betreuung geholfen. „Das sind doppelt so viele wie das Jahr davor“, sagt Visscher. Hier könne man den Einfluss der Pandemie erkennen. Deshalb möchte Unicef ihr Engagement in diesem Bereich in den kommenden Jahren vergrößern.
Hohe Dunkelziffer bei mentaler Gesundheit
Laut Unicef-Pressesprecher Paul Heber ist die Dunkelziffer bei psychischen Problemen recht hoch, weil viele nicht offen darüber sprechen wollen und andere, die davon betroffen sind, es nicht unbedingt einordnen können. In Luxemburg leben 13 Prozent der Jugendlichen zwischen zehn und 19 Jahren mit einem psychischen Problem. Die fünfthäufigste Todesursache bei Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren ist Selbstmord. „Das ist dramatisch, deshalb müssen wir Lösungen finden“, sagt Heber.
In Luxemburg waren 28 Prozent der Schüler zwischen 12 und 18 Jahren derart traurig oder verzweifelt, dass sie ihren gewohnten Aktivitäten nicht mehr nachgehen konnten. 15,2 Prozent dieser Schüler gaben an, ernsthafte Selbstmordgedanken zu haben. 7,7 Prozent dieser Schüler haben bereits einen solchen Versuch hinter sich. Die Daten stammen aus dem Jahr 2014 aus der HBSC-Studie („Health and behaviour study“) der Weltgesundheitsorganisation WHO. „Es sind die aktuellsten Zahlen, über die wir zu diesem Thema verfügen“, moniert Paul Heber. Seit Beginn der Corona-Pandemie habe sich diese Tendenz weiter verschärft, dennoch sehe man lediglich die Spitze des Eisbergs.
Ich habe mich dafür geschämt, weil man es mir ansahSchülerin auf Première, über ihre Panikattacken
Tania sagt, dass es bei ihr im Jahr 2014 besonders schlimm war. „Die Panikattacken wurden heftiger“, sagt sie. Damals besuchte sie zum ersten Mal die Abschlussklasse „Première“. Sie musste das Schuljahr abbrechen. Der Lerndruck war zu hoch und löste vermehrt Panikattacken bei ihr aus. „Ich finde, dass in der Schule sehr viel schiefläuft“, sagt sie. Tania hatte den Eindruck, sie sei fehl am Platz. „Man vermittelte mir, dass ich das Diplom eh nicht schaffe.“ Dabei habe sie lediglich mit ihrer psychischen Gesundheit zu kämpfen. Sie sei deswegen nicht dumm. Auch andere Schüler haben sich bei Tania gemeldet, die ihr berichteten, dass Schuldirektionen ihnen kein Verständnis entgegenbrachten und sie vor der ganzen Klasse bloßstellten.
Schülerin beschreibt ihre Panikattacken
Tania beschreibt, wie sich eine Panikattacke bei ihr anfühlt: „Mir wird übel und ich muss mich übergeben.“ Früher musste sie den Raum sofort verlassen, weil sie anfing zu hyperventilieren. Sie spürte ein Ameisenkribbeln im ganzen Körper. „Ich habe mich dafür geschämt, weil man es mir ansah.“ Sie dachte bei jeder Attacke, dass sie an Ort und Stelle sterben würde. Auch heute hat sie noch das Problem, dass ihr schlecht wird, wenn sie nervös ist. Aber die Panikattacken sind nicht mehr so schwer, wie sie damals waren.
Seit Tania 2014 die Schule abbrach, hat sie viele Therapeuten aufgesucht. Immer wieder stand zur Debatte, ob sie zu einer Therapie ins Ausland gehen sollte. Aber Tania wollte in Luxemburg bleiben. Ihr war ihr Umfeld besonders wichtig. „Heute bin ich froh, dass ich nicht ins Ausland gegangen bin.“ Dennoch bereut sie, dass sie während ihrer Therapie viele Pillen schlucken musste. „Das war nicht einfach“, sagt sie. Tania rät Betroffenen, nicht zu einem Psychiater zu gehen. Die Sitzungen bei diesen würden zwar im Gegensatz zu jenen bei Psychotherapeuten von der Krankenkasse rückerstattet, aber Panikattacken könne man ihrer Meinung nach sehr gut mit Psychotherapie beim Psychologen behandeln. Dies koste allerdings viel Geld. Schülern rät sie, sich ebenfalls an die psychologischen Dienste wie Cepas („Centre psycho-social et d’accompagnement scolaires“) in den Lyzeen zu wenden oder andere kostenlose Hilfseinrichtungen in Anspruch zu nehmen.
Deshalb fragen wir uns, wie wir von einer biomedizinischen Herangehensweise wegkommen, wo man entweder psychisch krank ist oder nichtMitarbeiterin Unicef Luxembourg
Die WHO definiert mentale Gesundheit als Wohlbefinden, das es einem erlaubt, sein ganzes Potenzial zu entfalten, trotz Problemen, die einem im Leben begegnen. „Es ist wichtig, die mentale Gesundheit in einem Kontinuum zu betrachten. Es ist etwas, das wir jeden Tag haben und es kann nicht nur negativ sein. Es ist unser Gemütszustand.“ Unicef-Mitarbeiterin Isabelle Hauffels betont, dass die psychische Gesundheit uns alle betrifft. „Deshalb fragen wir uns, wie wir von einer biomedizinischen Herangehensweise wegkommen, wo man entweder psychisch krank ist oder nicht.“ Paul Heber ergänzt: „Manche sind im schwierigeren Teil dieses Kontinuums unterwegs“.
Hindernisse bei Verbesserung der psychischen Gesundheit
Der Unicef-Bericht hebt demnach einige Faktoren hervor, welche die mentale Gesundheit beeinflussen können. Das können biologische Faktoren sein, die vererblich sind und die wir weniger gut beeinflussen können. Daneben gibt es die persönlichen Faktoren, die auf Erlebnisse zurückgehen. Das können Traumata wie Gewalterfahrungen bei Kindern sein. „Jede negative Erfahrung hat einen Einfluss darauf, wie wir später mit unserer Persönlichkeit unterwegs sind“, sagt Heber. Weitere Faktoren sind das soziale und das ökonomische Umfeld. Ein Viertel der Kinder in Luxemburg leben unter der Armutsgrenze.
Zudem gibt es laut Bericht einige Hürden, die einer Verbesserung der mentalen Gesundheit entgegenwirken. Psychische Probleme würden demnach in der Gesellschaft stigmatisiert. Laut Heber gibt es in dieser Hinsicht noch viel zu tun. Dies beruhe auf mangelnder Kenntnis über die Problematik. Hauffels macht darauf aufmerksam, dass es im Schulkontext zwar viele Weiterbildungen gebe, diese aber nicht verpflichtend seien. Deshalb spricht sie sich dafür aus, diese obligatorisch für Lehrkräfte anzubieten. Heber sagt, dass allerdings nicht nur die Schule für die Erziehung der Kinder verantwortlich sei. Daneben gibt es einen Mangel an Einrichtungen für Leute, die Hilfe suchen. Hauffels nennt die langen Wartezeiten und fehlendes Personal bei der psychischen Betreuung sowie die Nichtdeckung von Leistungen beim Psychologen bzw. Psychotherapeuten durch die Krankenkasse. Zudem gibt es laut Hauffels keinen nationalen Plan zur mentalen Gesundheit und nur unzureichende Daten, was das Ausarbeiten von Statistiken und Studien erschwere.
Es reicht nicht, zu sagen, dass es das Problem gibt, sondern man muss auch erklären, wie man es lösen kannPressesprecher Unicef Luxembourg
„Es reicht nicht, zu sagen, dass es das Problem gibt, sondern man muss auch erklären, wie man es lösen kann“, sagt Heber. „Wir müssen das als Gesellschaft gemeinsam angehen.“ Deshalb hat sich Unicef vorgenommen, das Thema in den nächsten Jahren gezielt anzugehen, insbesondere durch Sensibilisierungskampagnen, damit mehr über die Problematik bekannt wird und demnach mehr darüber gesprochen wird. Der Bericht am Mittwoch sei für Unicef ein erster Denkanstoß.
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In dieser kranken Gesellschaft kann es keine im Geiste gesunden Kinder geben.Die Smartphone gesteuerten sind unheilbar.
Jeunesse sacrifiée vun 1939 – 1945 an dono, déi haten problémer !!!