Energie / Wie Luxemburgs Gaspreisdeckel zustande kam – und wie er funktioniert
43,6 Millionen Euro Kosten allein bis Ende November: Trotz sinkender Gaspreise hat der Staat viel Geld für den Gaspreisdeckel ausgegeben. Die Maßnahme ist dabei viel mehr als eine Hilfe beim Heizen – sie sichert durch die Hintertür potenziell ein Stück den sozialen Frieden im Land.
Seit Oktober gilt in Luxemburg der Gaspreisdeckel – ein gesetzlich vorgeschriebener Maximalpreis für Endkunden. Die Differenz zum tatsächlichen Tarif, den die Versorger abrechnen, übernimmt Vater Staat. Das Budget ist gigantisch: 390 Millionen Euro sind für die Maßnahme, die auf der letzten Tripartite beschlossen wurde, vorgesehen. Hinzu kommen 115 Millionen Euro, die der Staat für die Übernahme der Netznutzungsgebühren beim Gas seit Mai übernimmt. Insgesamt ist also alleine das Gas-Paket für Privatkunden über eine halbe Milliarde Euro schwer – das sind mehr als zwei Prozent des kompletten Staatshaushalts 2022. Zumindest, wenn die Verbraucherpreise hoch bleiben.
Die Tripartite-Verhandlungen im vergangenen September geschahen vor dem Hintergrund einer dramatischen Preisexplosion an der Gasbörse. Am niederländischen Handelspunkt TTF, der einen Referenzwert für den europäischen Markt darstellt, stiegen die Terminkontrakte für eine Megawattstunde (MWh) Erdgas in astronomische Höhen. Am 26. August wurde ein Höchstwert von 345 Euro erreicht. Ein Jahr zuvor lag dieser Wert bei nicht einmal 30 Euro. Vorangegangen war dem das Pokerspiel rund um die europäische Gasversorgung, die spätestens mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und den darauf folgenden Sanktionen, Gegensanktionen und politischen Spielchen in Schwierigkeiten geriet. „Bei Rohöl, Gas und Festbrennstoffen hängt die EU hauptsächlich von Russland ab, gefolgt von Norwegen“, hatte Brüssel kurz nach Kriegsbeginn eingestanden.
Aber schon vorher bewegte sich der Preis für den flüchtigen Brennstoff auf hohem Niveau. Im vierten Quartal 2021 – also lange vor dem Krieg – hatte er erste Höchstwerte erreicht. Langsam, aber stetig waren die Kurse ab Mitte September 2021 geklettert. „Zeitweise lag der Preis im vierten Trimester 2021 über 150 Euro/MWh“, sagt der Sprecher der Versorger-Gruppe Encevo dem Tageblatt. Was war der Grund dafür? Alain Fürpass, Direktor des Luxemburger Energielieferers Sudenergie, sagt: „Die Füllstände der großen Gasspeicher waren im Sommer 2021 auf einem historischen Tiefststand.“ April und Mai waren besonders kalt gewesen, die Sonne hatte nicht stark geschienen, um Strom aus Fotovoltaik zu erzeugen, der Wind nicht stark geweht, um ihn mit Windrädern zu generieren.
Von hohem Niveau auf Rekordpreise
Dann kam der Krieg. „Die Preise hatten sich kurz vor dem Angriff auf die Ukraine auf hohem Niveau – 80 bis 100 Euro pro MWh – beruhigt, nachdem sie zuvor sehr hoch waren“, erklärt das der Encevo-Sprecher. Nach dem russischen Angriff stiegen sie dann kurzfristig auf mehr als 300 Euro pro Megawattstunde.
Die große Preiserhöhung kündigten Luxemburgs Gasversorger aber erst Mitte August an, kurz bevor die Großhandelspreise neuerliche Rekordwerte erreichten. Um 80 bis 90 Prozent sollte der Endkundenpreis im Land ab Oktober steigen. Die politischen Auswirkungen davon wären nicht weniger enorm gewesen. Bereits im August hatte Statec vor einem „Gaspreisschock“ gewarnt und drei weitere Indextranchen bis Mitte 2023 für möglich erklärt. Als Hauptverursacher für die rasante Teuerung hatte die Statistikbehörde vor allem die Energiepreise ausgemacht. Dabei hatte die Inflation, die mit Ausbruch des Kriegs ebenfalls eine Rallye ohnegleichen hingelegt hatte, erst im Frühjahr für Spannungen im Luxemburger Modell gesorgt. Auf der ersten Tripartite Ende März 2022 wurde unter Protest der größten Gewerkschaft OGBL eine Indexverschiebung vereinbart – für nicht wenige ein Tabubruch, der fast den Sozialdialog ins Wanken brachte.
Der Preisdeckel, den die wieder vereinten Sozialpartner dann bei der Tripartite im September beschlossen, sollte also nicht nur die Geldbeutel der Luxemburger schonen. Sondern auch die Inflation auf ein Niveau drücken, das die automatische Lohnindexierung bändigt – und damit die politischen Kämpfe um jene in einem Wahljahr. Die Regierung rechnet beispielhaft vor: Für eine Wohnung mit einem jährlichen Konsum von 1.000 Kubikmetern Gas zahlt man anstatt 2.085 Euro nur 1.030 Euro. Auch für ein Einfamilienhaus liegen die De-Facto-Kosten 50 Prozent unter den eigentlichen: Bei einem Verbrauch von 2.500 Kubikmetern liegen die Kosten anstatt bei 5.010 Euro bei 2.500 Euro.
43,6 Millionen Euro Kosten bis Ende November
Die 390 Millionen, die dafür budgetiert werden, und die 115 Millionen für die Netzgebühren, stammen aus einem Haushalt, der auch von Arbeitnehmern aus dem Ausland erwirtschaftet wird. Zugute kommt den Grenzgängern die Luxemburger Maßnahme aber nicht. In den beiden Monaten Oktober und November wurden bis jetzt mehr als 27 Millionen Euro für die Gaspreisbremse ausbezahlt, wie das Energieministerium auf Tageblatt-Anfrage erklärt. Für den Dezember, den ersten Monat, in dem es für kurze Zeit richtig kalt wurde, sei die Rechnung noch nicht eingegangen. Mehr als 16 Millionen Euro hat der Staat von Mai bis November für die Übernahme der Netznutzungskosten bezahlt. Insgesamt beträgt die Rechnung 43,6 Millionen Euro. Und das, obwohl Oktober und November „unverhältnismäßig warm“ waren.
Kurz nach dem Peak im August 2022 begann der Preis auf den europäischen Großhandelsplattformen wieder zu sinken. Bis zum jetzigen Tiefststand. „Der europäische Gaspreis ist auf den niedrigsten Stand seit November 2021 gefallen“, schrieb die Nachrichtenagentur dpa am 4. Januar. „Darauf haben mehrere Faktoren eingewirkt“, sagt der Encevo-Sprecher: die gut gefüllten Gasspeicher, die milden Temperaturen, die Energiesparmaßnahmen, Wind. „Das alles hat dazu beigetragen, dass der Verbrauch und die Nachfrage geringer waren, was beruhigend auf den Markt gewirkt hat.“ Aber wann schlägt sich das auf den Verbraucherpreis durch – und sorgt für sinkende Steuerausgaben?
Kontinuierlicher Einkauf der benötigten Gasmengen
„Wir kaufen unsere benötigten Gasmengen nicht auf einmal ein, sondern kontinuierlich, um starke Marktpreisbewegungen abzufedern“, sagt Encevo. „Deshalb haben sich auch die Erhöhungen der Großhandelspreise nie in gleichem Maße auf die Endkunden übertragen.“ Aus dem gleichen Grund würden aber auch Preissenkungen nicht unmittelbar durchschlagen. Das Gas, was jetzt verbraucht würde, sei schon über die vergangenen Monaten zum dann gültigen Preis gekauft worden. „Unsere Tarife basieren auf unseren durchschnittlichen Einkaufskosten.“ Was die Märkte anginge, „waren und werden“ die Preise nach wie vor sehr volatil bleiben. „Insgesamt ist das Preisniveau leider auf absehbare Zeit sehr hoch im Vergleich zu den Preisen vor dem Beginn der Energiekrise“, sagt der Encevo-Sprecher. „Der festgelegte Energiepreisdeckel kommt also weiter zum Tragen.“
Sollte das ILR feststellen, dass Bedingungen bei der Preisgestaltung nicht eingehalten werden, kann es die betreffenden Lieferanten sanktionieren
Wie sehr überwacht die Regierung jenen Markt, dessen Mechanismen sie ausgesetzt hat? „Die Gaslieferanten sind gehalten, dem Ministerium jede Preisänderung im Voraus mitzuteilen“, heißt es aus dem Energieministerium. „Mit dem Gesetz vom 2. Dezember 2022 hat die Regulierungsbehörde (ILR) die Aufgabe zu kontrollieren, ob sich die Lieferanten zu den besten Tarifen eindecken und ihre Endkundenpreise auf Basis von Marktpreisen gestalten.“ Dem ILR seien hierzu weitreichende Rechte zur Einsicht aller relevanten Dokumente gegeben worden. „Sollte das ILR feststellen, dass diese Bedingungen bei der Preisgestaltung nicht eingehalten werden, kann es die betreffenden Lieferanten sanktionieren.“
Maßnahmen des zweiten Tripatrite-Abkommens
„Für die Umsetzung der genannten Maßnahmen in den Jahren 2022 und 2023 hat die Regierung einen Haushaltsrahmen von 1,1 Milliarden Euro bereitgestellt“, wird auf der letzten Seite des Tripartite-Abkommens vom September 2022 festgehalten. Für Haushalte sieht das Hilfspaket die Gaspreisbremse, eine Strompreisbremse und Subventionen fürs Heizöl vor. Ab Januar wurde zudem die Mehrwertsteuer von 17 auf 16 Prozent gesenkt. Die Energieprämie für Haushalte mit niedrigem Einkommen wird fortgesetzt. Auch die Übernahme der Netzkosten beim Gas läuft bis Ende 2023 weiter. Bei den Energiekosten von Pflegeheimen und anderen sozialen Einrichtungen will der Staat sich beteiligen. Hinzu kommen Maßnahmen, die Hausbauer oder -Renovierer bei der Installation von modernen Heizungen, Fotovoltaikanlagen oder sonstigen energetischen Sanierungen mehr helfen sollen.
Luxemburger Unternehmen erhalten darüber hinaus separate Hilfe.
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