Netflix, YouTube, Home-Office / Wie Luxemburgs Internet mit der Corona-Krise klarkommt
Während Luxemburgs Straßen verwaisen, herrscht im Netz umso mehr Verkehr: Home-Office, „Schoul doheem“ und Videostreaming lassen die Leitungen glühen. Ist die hiesige Netz-Infrastruktur für den Ansturm vorbereitet? Dass ein luxemburgischer Traffic-Rekord nach dem nächsten fällt, liegt aber an etwas ganz anderem.
Beim Briefing nach dem außerordentlichen Regierungsrat am 15. März passiert etwas, das es so noch nicht oft gegeben hat: Der Videostream, mit dem die Regierung die Pressekonferenzen live ins Netz überträgt, kommt ins Stocken. Dass da etwas nicht richtig funktionierte, kam auch beim Premierminister an: „Es waren einfach zu viele Leute drauf“, sagte Xavier Bettel ein paar Tage danach. In Sachen Internet habe Luxemburg zwar noch keinen Blackout gehabt. „Aber wir kommen ganz oft ans Limit.“
Tausende Büroarbeiter im Home-Office, Schule übers Internet, abends Netflix statt Kneipengang. Hält das Netz dem Andrang stand? „Luxemburg hat in diesem Punkt nicht verschlafen und verfügt über ausreichend Kapazitäten, um die momentane Situation zu stemmen“, sagt Sam Grüneisen vom „Chaos Computer Club Lëtzebuerg“. Allenfalls kleinere Unternehmen, die Video- oder Chat-Angebote haben – Apps, die fürs Home-Office benötigt werden –, müssten eventuell ihre Kapazitäten aufstocken. Aber „hier reden wir nicht von Facebook, Google und Co.“, sagt Grüneisen.
Keine Aufregung beim Internetknoten
Tatsächlich: Die Leitung scheint zu stehen. Auch beim Luxemburger Internetknoten LU-CIX herrscht eher Ruhe als Aufregung. Nur ein Ingenieur hält in dem grauen Gebäude in Bettemburg persönlich Wache. Alle anderen hat Chef Claude Demuth ins Home-Office geschickt. „Von LU-CIX kann man sagen: Es gibt keine Kapazitätsprobleme“, sagt er. „Wir können noch das Fünf- bis Sechsfache übertragen.“
Der Datenring von LU-CIX läuft einmal um die Hauptstadt herum, Unternehmen und Serviceanbieter sind in Bettemburg, Windhof, Bissen, Kirchberg, Betzdorf und der Cloche d’Or an die Glasfaserleitungen angeschlossen. Drei Viertel des Internetverkehrs, den die Luxemburger generieren, läuft über das Netz. Mit dem Ausbruch der Krise fielen einige Traffic-Rekorde. „Als der Premierminister am 12. März sagte, die Schulen würden zubleiben, wurde es vom ersten Tag an knallhart“, sagt Demuth. Schon am selben Wochenende wurde ein neuer Traffic-Rekord aufgestellt. Das war an einem Samstag. Am Montag und Dienstag danach wurde der Rekord jeweils erneut gebrochen. 250 Gigabit pro Sekunde flossen dann über den „Backbone“. Im März 2019 waren es 100 Gigabit weniger.
Traffik-Peak zur Primetime
Der Traffic-Peak wurde wohlgemerkt zur Primetime um 22 Uhr erreicht. „Wir hatten am Tag zwar eine Verdoppelung des Traffics – aber der lag immer noch unterhalb des Werts, den wir seit Wochen unter der Woche abends haben“, sagt Claude Demuth. Erst, wenn die Luxemburger abends Netflix oder YouTube anschalten, werden die Netzwerkrouter tatsächlich etwas gefordert. „Wenn die Endkunden wirklich mehr Traffic machen, dann ist mit Video, Video, Video“, sagt Demuth. Webseiten, Apps und Social Media ohne Video – all das braucht laut Demuth kein „Volumen“. Und auch die vielen Heimarbeiter hätten keine große Auswirkung auf die Last. Dass auch über Tag mehr Verkehr herrscht, liegt eher an Schülern, die wegen der Coronaferien Videos aus dem Netz streamen.
Der Video-Traffic selbst fließt größtenteils nicht einmal über den Datenring von LU-CIX, sondern bleibt im Rechenzentrum in Bettemburg. Dort sind die großen Internetanbieter direkt mit den Servern von Netflix, Google und Facebook verbunden. Die Abendunterhaltung der Luxemburger wird dann von großen Netzwerkswitches hin- und hergeschoben. „Jede von den Kisten kann 3.500 Gigabit pro Sekunde übertragen“, erklärt Demuth. „Die kriegen wir nicht voll.“
Keine neuen Traffic-Rekorde
Insbesondere, seitdem die großen Videostream-Plattformen die Datenübermittlung gedrosselt haben. Kurz nach den ersten Traffic-Hochs bei LU-CIX schraubten Netflix, Amazon Prime und YouTube nach politischem Druck der EU-Kommission die „Bitrate“ in Europa herunter. YouTube schaltete die Voreinstellung ab, dass die Videos in HD-Qualität gestreamt werden, die Nutzer müssen das Feature jetzt manuell einschalten. Amazon erklärte gegenüber dem Guardian, dass die „Streaming-Bitrate“ reduziert werde. Und Netflix kündigte an, seinen Datenoutput zu „drosseln“. 25 Prozent Datenverkehr soll dadurch eingespart werden.
Diese digitalen Sparmaßnahmen machten sich laut Demuth auch bei LU-CIX bemerkbar. Zwar konsumieren die Luxemburger noch immer Videostreams wie schon lange nicht mehr. Aber das Datenvolumen ging zurück – neue luxemburgische Traffic-Rekorde bleiben fürs Erste aus.
Warum kam es dann bei dem einen oder anderem dennoch zu Wartezeiten? Die Kapazitätsgrenzen liegen an den Endpunkten, sagt Demuth: Entweder beim Kunden zu Hause und am Verteilerkasten an der Ecke – oder bei den Cloudservern, auf die man zugreift. „Wenn 100 Menschen in zwei Straßen gleichzeitig Netflix gucken, kann es sein, dass es mal bei einem Internetanbieter langsamer geht“, sagt Demuth. Es sei kein Geheimnis, dass die Anbieter mehr Leitungsvolumen verkaufen, als eigentlich zur Verfügung steht. „Man geht einfach nicht davon aus, dass 100 Leute gleichzeitig ein Video starten“, erklärt Demuth.
Es käme statistisch kurzerhand nie vor, dass alle gleichzeitig einen Film auf Netflix in der höchsten Qualitätsstufe starten würden. Aber in der ersten Woche der Corona-Krise wäre das nun mal tatsächlich teilweise passiert. Gleiches gelte für die Web-Anwendungen, auf die viele Home-Office-Arbeiter jetzt verstärkt zugreifen – zum Beispiel Microsofts Office 365 oder Google Docs. „Wenn sich alle innerhalb von zwei, drei Tagen darauf stürzen, kann es schon mal passieren, dass Server etwas langsamer sind“, sagt Demuth.
Die Leitungen sind noch lange nicht voll
Das Netz selber habe aber ausreichend Fassungsvermögen. „Als YouTube vor zig Jahren startete, gab es bei den Netzen plötzlich Update-Bedarf“, sagt Demuth. Dieses Problem sei aber schon lange gelöst. Und es gibt auch ganz einfache Erklärungen für „schlechte“ Internetverbindungen. „Die Menschen haben weniger Geduld, wenn es eine Krise gibt“, erklärt Demuth. „Das ist eine psychologische Sache.“ Unter Stress bekomme man dann den Eindruck, dass eine Seite plötzlich drei Sekunden länger lade als vorher.
Und wie sicher ist das Netz? „Kein System ist unhackbar“, stellt Sam Grüneisen klar. Das Luxemburger Netz sei jedoch „kritische Infrastruktur“ und als solche redundant aufgebaut. Zudem gelten besondere Sicherheitsvorkehrungen. Das ist offenbar auch besser so – Hacker legen wegen der Corona-Krise nämlich keine Pause ein. „Solange sich mit Angriffen auf lebensrettende Infrastruktur Geld machen lässt, wird es auch keinen Rückgang von Angriffen geben“, sagt Grüneisen.
Mehr Datenverkehr bei der Post
Die Luxemburger Post hat in den ersten beiden Wochen der Krise einen starken Anstieg des Verkehrsaufkommens bei allen Diensten festgestellt, teilt ein Sprecher des Unternehmens gegenüber dem Tageblatt mit. Sowohl im Fest- als auch im Mobilfunknetz war die Anzahl der Anrufe um mehr als 80 Prozent gestiegen. 20 Prozent mehr SMS wurden verschickt.
Der Internet-Verkehr hat bei der Post ebenfalls zugenommen, jedoch in „moderaterem Maße“, wie das Unternehmen erklärt. Der Traffic sei um etwa 30 Prozent wegen Telearbeitern und der verstärkten Nutzung von sozialen Netzwerken und Streaming-Diensten gewachsen.
Aber: Dieser Aufwärtstrend wurde in den beiden darauffolgenden Wochen unterbrochen. Die Nutzung des Fest- und Mobilfunknetzes hat sich weitestgehend normalisiert. Nur der Datenverkehr liegt auch jetzt noch rund 25 Prozent über dem Niveau vor der Corona-Krise.
Kunden, deren Hausanschluss zu langsam ist, kann das Unternehmen in der Regel per Fernzugriff ein Upgrade anbieten – wenn die Kapazität der Leitung beim Kunden dies erlaubt.
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