Filmfestival im „Lycée Bel-Val“ / Wie man Schüler sensibilisieren kann
Manche Schüler sind überrascht, andere haben sich schon ein wenig mit dem Thema auseinandergesetzt. Das Filmfestival „Cinéma du Sud goes Bel-Val“ soll den jungen Menschen einen Einblick in die komplexe Welt der Umweltverschmutzung, Nachhaltigkeit und des fairen Handels geben.
Bereits um 8 Uhr morgens drückt die Sonne wie im Hochsommer. Im Park Belval gibt es nur wenig Schatten. Gegenüber dem Eingang des Lyzeums sitzen mehrere Schüler auf der Mauer entlang des Skateparks und rauchen noch schnell ihre Zigaretten zu Ende. Zwischen Mauer und Weg liegen zahlreiche Kippen auf dem Boden. Vielleicht kommen in den nächsten Minuten noch einige hinzu.
Im Festsaal des „Lycée Bel-Val“ ist es kühl und dunkel. Rund 40 Schüler der Klassen 5e und COP („Classe d’orientation professionnelle“) sowie mehrere Lehrer haben sich dort eingefunden. Mit Maske und Abstand wird den Schülern an diesem Montag auf einer Leinwand der letzte Film des Festivals „Cinéma du Sud goes Bel-Val“ vorgeführt. Dabei handelt es sich um die luxemburgische Doku „Eis Äerd“. Damit die Schüler den Kontext verstehen, wird Norry Schneider vom CELL (Center for Ecological Learning Luxembourg) sie durch den Film begleiten.
Vom 7. bis zum 14. Juni wurde an jedem Schultag ein Film gezeigt. Es ist nach dem ersten Event 2019 das zweite Mal, wo das Fairtrade-Komitee des „Lycée Bel-Val“ ein solches Filmfestival organisiert. 2020 musste es coronabedingt ausfallen. Die diesjährigen Themen sind Abholzung, Ernährungsindustrie, Verschmutzung der Ozeane, Urbanisation und fairer Handel. „Auch dieses Jahr haben die Schüler die Themen selber ausgesucht“, betont Laure Piazza gegenüber dem Tageblatt. Sie ist neben Linda Ortolani eine der Mitorganisatorinnen. Beide sind Lehrerinnen am „Lycée Bel-Val“. Als die Themen feststanden, suchten die Lehrerinnen entsprechende Filme für die Leinwand aus.
Im Film werden wir sehen, dass Luxemburg zurzeit acht Planeten verbraucht, obwohl wir nur einen habenCELL-Koordinator
Norry Schneider steht vorne vor der Leinwand. Bevor der Dokumentarfilm abgespielt wird, sollen die Schüler ihre Smartphones herausholen und ihren ökologischen Fußabdruck auf der Webseite footprintcalculator.org ausrechnen. Schneider ist Mitglied des Nachhaltigkeitsrates und berät die luxemburgische Regierung bei Nachhaltigkeitsfragen. Dieser Rat hat vor einigen Jahren einen ökologischen Fußabdruck für Luxemburg erstellt und diesen 2020 neu berechnen lassen. Daran würden Forscher des LIST (Luxembourg Institute of Science and Technology) der Uni.lu arbeiten, erklärt Schneider.
Luxemburg verbraucht zurzeit acht Planeten
Die Natur sei fähig, alles zu recyceln. Aber dafür brauche sie Zeit. „Wenn wir ihr diese Zeit nicht geben, dann kommt sie nicht mehr hinterher.“ Durch die hohe Weltbevölkerungszahl von 8 Milliarden Menschen und die Art und Weise, wie wir leben, komme es in der Natur zu einem Ungleichgewicht. „Der Fußabdruck versucht dies zu zeigen“, sagt Schneider. „Im Film werden wir sehen, dass Luxemburg zurzeit acht Planeten verbraucht, obwohl wir nur einen haben.“ Der Titel der Doku, „Eng Äerd“, spielt darauf an. „Was das heißt?“, fragt Schneider in die Runde. Manche Länder verbrauchen sehr wenig, andere sehr viel, erklärt er. „Wenn jeder so leben würde wie wir, dann würden wir die Fläche von acht Planeten brauchen.“ Betrachte man den Ressourcenverbrauch auf ein Jahr, „dann hat Luxemburg am 21. Februar bereits alles ausgegeben“, sagt er. Dennoch müsse man auch für das verbleibende Jahr, also vom 21. Februar bis zum 31. Dezember, „über die Runden kommen“.
Die Schüler sollen die Sachen stets nachsuchen und hinterfragen. Ich sage immer, dass sie mir nicht einfach alles glauben sollen.CELL-Koordinator
Schneider betont mehrmals, dass er mit seinen Erklärungen den Schülern kein schlechtes Gewissen einreden möchte. Stattdessen wolle er auf die Kreativität der jungen Menschen setzen. Gegenüber dem Tageblatt sagt er: „Ich bin nicht da, um Propaganda zu machen.“ Natürlich habe er als Teil der Transitionsbewegung eine gewisse Art, die Sachen anzugehen. „Das verstecken wir auch nicht“, sagt er. Im Film „Eng Äerd“ wurde zum Beispiel kein konventioneller Bauer interviewt, sagt er. „Wir konnten im Film nicht alle Denkweisen darstellen.“ Er sieht den Film eher als Basis, um danach in der Klasse darüber zu diskutieren. Und da könne man den konventionellen Bauer dem Bio-Bauer gegenüberstellen, um auf diese Weise die verschiedenen Meinungen in der Landwirtschaft zu verstehen. „Die Schüler sollen die Sachen stets nachsuchen und hinterfragen“, so Schneider. „Ich sage immer, dass sie mir nicht alles einfach glauben sollen.“ Schneider sagt, dass er die Neutralität nicht vortäuschen will, weil er sie nicht habe. Er akzeptiere aber die Leute, die nicht mit ihm einverstanden sind.
Deshalb erachtet Schneider die Vor- und Nachbereitung des Themas als besonders wichtig. „Wir können nur etwas bedienen, was in der Schule schon da ist“, sagt er. In den Lyzeen sieht Schneider viele Lehrer, die er als Zugpferde beim Thema Nachhaltigkeit und Umweltschutz bezeichnet. Doch wenn dies von der Direktion nicht so gewollt ist, dann können diese Lehrer nicht viel bewirken, sagt er. Laut Schneider sind die meisten Direktionen heutzutage sensibel für das Thema. Ein motivierter Lehrer statuiere demnach ein Exempel, das die Schüler auch spüren. Er bezeichnet den Filmmorgen im „Lycée Bel-Val“ als ein Puzzlestück in dem Ganzen. „Vielleicht gibt es einen Schüler, der das gut findet und etwas davon mit nach Hause nimmt.“
Auf der CELL-Webseite steht ein pädagogisches Dossier zur luxemburgischen Doku zur Verfügung. In der Testphase habe man einen Vergleich gemacht zwischen den Klassen, die das mit dem Lehrer vorbereitet haben und jenen, die das nicht taten. „Der Unterschied ist enorm, was die Schüler am Ende mitnehmen“, sagt Schneider. Jene, die sich zumindest ein wenig mit der Materie befassten, bekamen keine so kalte Dusche, sagt er.
Kollektivität statt Druck auf Individuum
Laure Piazza und Linda Ortolani versuchen zu jedem Film, einen Referenten zu organisieren, der den Schülern die Thematik zugänglicher machen soll. „Auf diese Weise kann ein richtiger Austausch stattfinden“, sagt Piazza. Als Mitglieder des Fairtrade-Komitees bevorzugen die beiden Organisatorinnen Lehrer, die das Thema sowohl vor- als auch nachbereiten. „Die einen tun es, die anderen nicht“, sagt Piazza. Sie selbst ist Geografielehrerin und behandelt die Themen mit ihren Klassen. Da sie ihre Schüler aber nur für jeweils eine bis zwei Stunden die Woche unterrichte, könne sie nicht mit allen Klassen dahingehen. „Ich muss dann die anderen Lehrer fragen, ob das in Ordnung ist, wenn ich den ganzen Vormittag fehle.“ Auf jeden Fall nehmen die Schüler an einem Vormittag im Filmfestival viel mehr mit, so Piazza. Dies sei besser als einfach nur die Theorie zu lernen. Deshalb hofft sie stets auf die Solidarität der anderen Lehrer, was meistens gut klappe, aber nicht immer.
Ich wäre niemals darauf gekommen, dass wir so viele Erden verbrauchen. Das ist wirklich krass.Schüler der COP-Klasse
Amin ist Schüler am „Lycée Bel-Val“. Er besucht eine COP-Klasse. Ihm gefällt es, dass er anhand des Films und den Erläuterungen von Norry Schneider nun erfahren hat, was in Luxemburg alles so verbraucht wird. „Ich wäre niemals darauf gekommen, dass wir so viele Erden verbrauchen. Das ist wirklich krass“, sagt er gegenüber dem Tageblatt. Er möchte nun unbedingt etwas an seinem Verhalten ändern.
Igor ist auf einer 5e, mit seinen Eltern spricht er öfters über Umweltfragen. Deshalb sei ihm vieles bewusst geworden. Dennoch zeigt er sich überrascht, dass es hierzulande so viele kleine Unternehmen gibt, die Bio-Lebensmittel anbauen. „Ich dachte nicht, dass es in Luxemburg eine solche Auswahl gibt.“ Igor will in Zukunft mehr nach Bioläden Ausschau halten. Er zeigt sich optimistisch und glaubt, dass sich früher oder später in den Köpfen der Menschen etwas ändern wird.
Die ganze Sensibilisierung müsste eigentlich zum Schulalltag gehören. Das fehlt etwas. Aber wir sind hier auf dem guten Weg.Französischlehrerin
In der Doku wird der Fokus sehr stark auf die Kollektivität gelegt. Norry Schneider sagt, dass sehr viel Druck auf dem einzelnen Menschen lastet, angesichts der acht Planeten, die Luxemburg pro Jahr verbraucht. Was sagen die Wissenschaftler? Was tut die Politik? Diese Fragen würden sich die Menschen stellen, sagt er. Viele würden schlussfolgern: „Wenn sich die Menschen nicht bewegen, was soll ich dann tun?“ Deshalb sieht Schneider beim Kollektiv einen Vorteil. Dies könne in einer Schule, einer Gemeinde, einer Gruppe von Freunden oder einer Vereinigung sein. „Da gibt es endlose Möglichkeiten, wo man weder alleine ist noch irgendwo etwas abgibt.“ Dies ist das Prinzip, worauf sich Schneider spezialisiert hat.
Manche Schüler reagieren heftig
Elisabeth Gonçalves ist Französischlehrerin und „Régente“ einer 5e-Klasse, die am Montag beim Filmfestival mitmachte. Sie ist der Meinung, dass die Veranstaltung den Schülern etwas mit auf den Weg gibt. „Ich habe es informativ sehr gut gefunden“, sagt sie. Dennoch hat es ihrer Meinung nach an konkreten einfachen Sachen gefehlt, die die Schüler im Alltag anwenden und mit welchen sie auch ihre Eltern ein wenig sensibilisieren können. Als Beispiel nennt sie den Umstieg von Plastik- auf Glasflaschen. Gonçalves hat ihre Klasse dort angemeldet, weil sie das Thema sehr wichtig findet. „Wir sind in einer Phase, wo dies in der Grundschule wahrscheinlich schon viel thematisiert wird und nun bei den 5e-Schülern noch nicht so bekannt ist.“ Auf 3e stehe das Thema im Französischen auf dem Programm. Die Lehrerin wollte deshalb ihre 5e schon mal auf die Problematik aufmerksam machen. „Die ganze Sensibilisierung müsste eigentlich zum Schulalltag gehören. Das fehlt etwas. Aber wir sind hier auf dem richtigen Weg“, sagt sie.
Bei manchen Schülern haben die Filme des „Cinéma du Sud goes Bel-Val“ etwas ausgelöst. Linda Ortolani berichtet von einer Schülerin, die sich für die Orang-Utans einsetzen wollte. Nachdem sich die Klasse den Film „Green“ angeschaut hatte, bei dem es um den zerstörten Lebensraum der Orang-Utans geht, meldete sich die Schülerin bei der Lehrerin. „Sie kam zu mir und hat mich gefragt, wie der Mann heißt, der den Film vorgestellt hat. Sie wollte seinen Kontakt haben.“ Ortolani spricht von einem „Top-Feedback“. „Das ist eine Schülerin, bei der etwas angekommen ist“, sagt sie. „Dann hat sich die ganze Mühe und Arbeit für mich definitiv gelohnt.“ Auch Laure Piazza fiel bei der Nachbesprechung dieses Films auf, dass viele Schüler sehr berührt waren. „Manche hatten Tränen in den Augen“, sagt sie.
Die Schülerin wurde richtig wütend und sagte, dass sich alles immer nur ums Geld drehtLehrerin und Mitglied des Fairtrade-Komitees
Eine andere Schülerin ist nach dem Film „The Human Scale“, bei dem das Thema Urbanisierung behandelt wird, aus sich herausgegangen, berichtet Ortolani. „Die Schülerin wurde richtig wütend und sagte, dass sich alles immer nur ums Geld dreht.“ Es ist schön, solche Reaktionen zu sehen, sagt die Lehrerin. Auch während des Vortrags von Norry Schneider zum Film „Eis Äerd“ hat sich ein Schüler aufgeregt. Er versteht nicht, wieso die Leute den Müll einfach auf den Boden werfen. „Das machen sie ja auch zu Hause nicht so“, sagt er. Ob dieser Schüler schon die zahlreichen Kippen entlang der Mauer des Skateparks vor seiner Schule gesehen hat?
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