„Beim Goldknapp“ / Wie Menschen mit Demenz trotz ihrer Erkrankung mitten im Leben stehen
Mit der Diagnose Demenz umzugehen, ist für Betroffene nicht leicht. Vor allem, wenn man noch jung ist und eigentlich mitten im Leben steht. Doch dass man trotzdem aktiv am Leben teilnehmen kann, zeigen die Bewohner der neuen Station „Bei den Tulpen“ des Wohn- und Pflegeheims „Beim Goldknapp“.
Die Bewohner und Angestellten des Wohn- und Pflegeheims „Beim Goldknapp“ in Erpeldingen an der Sauer haben ein paar anstrengende Jahre hinter sich. Nicht nur mussten sie die Covid-Krise durchstehen, sondern gleichzeitig wurde der geplante neue Anbau Realität. In nur zwei Jahren schoss ein weiteres dreistöckiges Gebäude aus dem Boden. Ende September wurde der Neubau offiziell eingeweiht, die ersten Bewohner haben aber bereits im August ihre Zimmer bezogen.
Genau wie im „alten“ Gebäude gestalten sich die drei neuen Wohnbereiche hell und einladend, die Fenster reichen teilweise von der Decke bis zum Boden und es bietet sich ein beeindruckender Blick über die wachsende Erpeldinger Gemeinde. Da „Beim Goldknapp“ ein von Anfang an auf Demenzen spezialisiertes Wohn- und Pflegeheim ist, spiegelt sich das auch in der Architektur wider.
Die Raumgestaltung soll Menschen mit Demenz die Orientierung erleichtern: Die Wohnbereiche tragen beispielsweise nicht nur an die Natur angelehnte Namen wie „Bei den Tulpen“ oder „Beim Kiischtebam“, sondern auch die Bilder über den Türen und auf den Gängen zeigen die jeweiligen Namensgeber. Außerdem hat jeder Wohnbereich seine eigene Farbe und es gibt eine große Bewegungsfläche. „Unsere Bewohner sollen nie den Eindruck haben, sie stünden vor einer Mauer und der Weg sei versperrt. Sie sollen, wenn sie das wollen, stundenlang spazieren gehen können, ohne auf Sackgassen zu treffen“, sagt Nina Schmitz. Sie ist die Verantwortliche des Pflegedienstes, gestikuliert bei unserem Gespräch viel mit ihren Händen und zeichnet sich durch ein herzliches Lachen aus.
Jedes der drei Stockwerke des neuen Gebäudes bildet einen Wohnbereich, der Platz für zwölf Personen bietet. Insgesamt also 36 neue Wohnplätze. Auf jeden neuen Bewohner wartet ein Zimmer, das er oder sie nach dem eigenen Geschmack einrichten kann. In der Mitte eines jeden Stockwerks gibt es Aufenthaltsräume und eine große Küche. Die Wände auf des neuen Gebäudes sind bei unserem Besuch noch etwas kahl, es fehlen die bunten Poster mit den vielen Fotos, die die älteren Wohnbereiche schmücken und deutlich machen, dass das Leben hier im Wohn- und Pflegeheim alles andere als langweilig ist. Doch das dürfte sich bald ändern.
Eigenständigkeit wahren
Bei zehn Zimmern auf der Station „Bei den Tulpen“ zieren schon Namensschilder der neuen Bewohner die Türen. Bei manchen liefern kleine Bilder unter dem Namen Hinweise auf Hobbys, Interessen und Vorlieben. Auf erfüllte Leben, die auch nach dem Einzug in ein Pflegeheim weitergehen sollen. „Das, was unsere Bewohner ihr Leben lang gerne gemacht haben, sollen sie weiter machen können“, sagt Schmitz.
Das bedeutet für die „Association Luxembourg Alzheimer“ – kurz ala –, zu der das Wohn- und Pflegeheim gehört, viel Koordination. Mit dafür verantwortlich ist die zweite Interviewpartnerin, Félicie Kirsch. Die junge Frau mit dem blonden Lockenkopf ist zuständig für die Koordination der Betreuung. „Wieso sollte es nicht möglich sein, sich weiter zu engagieren, nur weil man Demenz hat? Wir arbeiten viel mit den Vereinen und der Gemeinde zusammen, damit wir alle Möglichkeiten ausschöpfen können.“ Das beinhaltet zum Beispiel sportliche Aktivitäten wie schwimmen gehen, auf den schräg gegenüber dem Heim gelegenen Tennisplätzen dem Ball hinterherjagen oder auch reiten gehen. „Erst vorgestern waren wir bei den Pferden und einer unserer Bewohner ist eine ganze halbe Stunde geritten“, berichtet Kirsch stolz.
Diese Einbindung in das „normale“ Leben ist für die Bewohner wichtig, um Kompetenzen zu erhalten und die Eigenständigkeit so lange wie möglich zu wahren. „Solange es geht, sollte das kein Tabu sein“, sagt Schmitz. Insbesondere nun, wo auch immer mehr jüngere Menschen von der Diagnose Demenz betroffen sind. Schätzungen zufolge gibt es derzeit in Luxemburg etwa 8.000 Menschen, die mit einer Demenz leben. Experten gehen davon aus, dass die Zahl sich bis 2050 mehr als verdoppeln könnte. Eine Herausforderung für das Großherzogtum, bei der die ala als spezialisierter Pflege- und Beratungsdienst und Informationsstellen wie das „Info-Zenter Demenz“ eine wichtige Rolle spielen.
In Erpeldingen an der Sauer werden nur Menschen aufgenommen, die die Diagnose Demenz haben und für die eine Pflege notwendig ist. Doch wegen der steigenden Zahl der Demenz-Patienten erklärt sich die Dringlichkeit des Neuanbaus. „Die Idee bestand schon länger, damit wir den veränderten Bedürfnissen gerecht werden können“, erzählt Schmitz im Gespräch, „und auch die Idee für ein zweites Haus geistert noch in unseren Köpfen herum.“ 2019 hatte ala-Direktionsmitglied Lydie Diederich in einem Gespräch mit dem Tageblatt bereits gesagt: „Wir brauchen ein Haus im Süden.“ Bisher sei aus allen Plänen und Vorprojekten aber noch nichts geworden, so Schmitz. Man sei weiter auf der Suche nach dem richtigen Standort.
Jüngere Bewohner
Die zehn Bewohner der Station „Bei den Tulpen“ sind beschäftigt, als der Besuch in den Aufenthaltsbereich führt. An der Wand hängt ein Fernseher, der ausgeschaltet ist. Stattdessen scharren sich die meisten um einen Tisch, der mit einer großen Leinwand und mehreren Farbtuben beladen ist. Heute steht Malen auf dem Programm. Wer nicht an der Aktivität teilnehmen möchte, ist trotzdem irgendwie „mit von der Partie“ und beobachtet die neuen Mitbewohner von umherstehenden Stühlen und Sofas aus. Doch zum Mitmachen wird keiner gezwungen.
„Wir haben gestern bei einem Spaziergang ein wenig über die Bedeutung der Jahreszeiten philosophiert. Da war unser Motiv heute schnell entschieden“, sagt Manuela. Sie ist die Betreuerin der Station und blickt als Einzige auf, als wir uns dazugesellen. Drei Frauen und zwei Männer „tupfen“ hoch konzentriert die Blätter des abgebildeten Baumes auf. Es ist eine Übung, die die Feinmotorik fördert – und gleichzeitig viel Spaß macht, verraten die Gesichter der Teilnehmer.
Die meisten von ihnen sind deutlich jünger als der Altersdurchschnitt im Rest des Wohn- und Pflegeheims. Einen Bereich für solche Patienten einzurichten, war wichtig, auch um Generationenkonflikte im Rest des Hauses zu vermeiden. „Allein schon in puncto Musik: Da können manchmal geschmackliche Welten aufeinandertreffen. Während die älteren vielleicht lieber André Rieu oder so hören, wollen jüngere Menschen eher was Modernes“, erklärt Schmitz. Viele von ihnen sind aber auch aktiver, drängen mehr nach außen. Das könnte andere, die vielleicht eher einen ruhigen Lebensabend verbringen wollen, verunsichern.
Schmitz und Kirsch betonen, dass es sich bei der Einheit „Auf den Tulpen“ nicht um einen reinen Wohnbereich für Menschen mit einer Korsakow-Demenz – häufig als Folge von langjährigem starken Alkohol- oder Drogenkonsum – handelt. Auf solche Fälle sei eher das Reha-Zentrum in Colpach spezialisiert. „Genauso wie auch die Wohnbereiche „Stäreschnäiz“ und „An der Oase“ (im alten Gebäude) keine ‚Sterbestationen‘ sind“, so Schmitz. Es gehe immer nur darum, die Bedürfnisse der Bewohner so gut wie möglich zu erfüllen. Diese seien aber von Demenz zu Demenz, Stadium zu Stadium, Person zu Person und Tag zu Tag anders. „Was von unseren Mitarbeitern erfordert, dass sie ihre Bewohner auch einfach gut kennen.“
Die Wohneinheiten mit je zwölf Bewohnern werden jeweils von einem Team mit vier Pflegern, ein bis zwei Erziehern und ein bis zwei Küchenangestellten versorgt. „Aber zum Beispiel hier auf der Station braucht es einfach mehr Betreuungspersonal aufgrund der vielen Aktivitäten“, sagt Kirsch. Außerdem gibt es im Haus noch Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Psychomotoriker, Psychologen und fünf Therapiehunde. „Deren Besuch, egal wo, immer ein Highlight ist.“ Wenn von außen weitere Spezialisten, wie zum Beispiel Optiker, gebraucht werden, können auch im Haus Termine ausgemacht werden.
Direkt neben dem Aufenthaltsbereich, wo weiter die Tupfer geschwungen werden, sieht man durch Glaswände in die therapeutische Küche hinein. Der Tisch ist bereits gedeckt, orange Servietten zieren die Gläser. Die ersten Vorbereitungen für das Mittagessen laufen schon. Diese Kücheneinheiten finden sich auch in den Wohneinheiten des älteren Gebäudes, das Personal ist speziell weitergebildet. Die Lage kommt nicht von ungefähr: „Damit unsere Bewohner mitkriegen, was in der Küche läuft“, sagt Schmitz. Die Küche sei ein zentraler Treffpunkt und ein wichtiges Element, das die Personen mit Demenz zum Beispiel regelmäßig daran erinnere, dass sie essen und trinken müssen. Mittlerweile können sich die Familien auch fürs Essen auf der Einheit anmelden. „Das war während Corona leider nicht möglich“, sagt Schmitz.
Auswirkungen der Pandemie
Vieles sei durch die Pandemie zum Erliegen gekommen. Aktivitäten wie die Herbstkirmes, der Weihnachtsmarkt oder Fastnacht feiern konnten nicht mehr stattfinden oder nur die engste Familie konnte sich anmelden. „Der Austausch zwischen den Familien der Bewohner und sogar den Bewohnern selbst kam zum Erliegen“, so Schmitz. Das soll sich aber künftig wieder ändern.
Corona sei eine „schwere Zeit“ gewesen. „Ein paar Bewohner sind an oder mit Corona gestorben“, sagt Schmitz. Ob man als Haus schwerer oder leichter getroffen gewesen sei als andere, wüssten sie nicht. Aber langfristige Auswirkungen gibt es selbst bei Bewohnern, die die Pandemie gesundheitlich gut überstanden haben. Viele der üblichen Aktivitäten hätten abgesagt werden müssen und mehr Betreuung war auf den Wohneinheiten selbst gefordert, berichtet Kirsch – allerdings unter den sanitären Vorschriften. Dadurch seien Kompetenzen verloren gegangen.
Auch auf die Baustelle hatte Corona seine Auswirkungen: Obwohl es nie einen „Stillstand“ gab, sei es zu Verzögerungen gekommen, vor allem wegen Lieferengpässen. „Wir haben dann in der Regel versucht, alles so früh wie möglich zu bestellen, um die langen Lieferzeiten mit einzuplanen.“ Umso glücklicher sei man nun über die Eröffnung des neuen Flügels.
Die Einzugsphase ist übrigens noch lange nicht abgeschlossen: „Wir müssen unseren Bewohnern Zeit geben, sich aneinander zu gewöhnen. Wenn zwölf Menschen gleichzeitig einziehen, geht das nicht“, erklärt Schmit. „Außerdem merken wir, wie andere auch, den Mangel an Fachkräften. Es bringt nichts, die Zimmer alle zu belegen, wenn wir nicht das Personal haben, jeden Bewohner gebührend zu versorgen. Das müssen wir Schritt für Schritt angehen.“
Wer ist die ala?
Wer über die Demenz in Luxemburg spricht, kommt an der „Association Luxembourg Alzheimer“, kurz ala, nicht vorbei. 1987 gegründet, gehört die Vereinigung heute zu den wichtigsten Anlaufstellen für von Demenz betroffene Personen und ihre Angehörigen. Die beiden Gründer Paul Diederich und Jeannot Krecké haben selbst eine Mutter und einen Vater, die an Demenz erkrankt sind, und fühlten sich damals mit der Diagnose alleine gelassen. Was dann als reines Beratungstelefon beginnt, hat sich mittlerweile zu einer großen Organisation gemausert, die sich um Aufklärungsarbeit, Beratung und Pflege kümmert. Neben dem großen Wohn- und Pflegeheim in Erpeldingen an der Sauer bietet die Organisation auch sechs Tagesstätten, einen mobilen Pflegedienst (ala Plus) und eine Beratungshotline an.
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