Diversität bei Jugendlichen / Wie Multikulti in Luxemburg funktionieren kann
Wenn viele verschiedene Kulturkreise innerhalb eines recht kleinen Gebietes zusammenleben, dann stellt sich die Frage, ob und wie das gelingen kann. Luxemburg scheint ein geradezu exemplarisches Beispiel für eine solche Multikulturalität zu sein. Das Tageblatt hat sich mit Kulturpsychologin Elke Murdock an der Uni.lu unterhalten und zu diesem Thema an einer von der ASTI („Association de soutien aux travailleurs immigrés“) organisierten Vortragsdebatte in der internationalen Schule Michel Lucius teilgenommen.
Mittagsstunde im internationalen „Lycée Michel Lucius“. Der Festsaal platzt aus allen Nähten. Viele Schüler und andere Akteure waren am Mittwoch gekommen, um der Frage nachzugehen, wie die heutige Generation die Diversität in der Schule erlebt.
Laura, 19, ist „Première“-Schülerin im „Lycée Michel Lucius“. Sie ist Mitglied des Schülerkomitees. Laura spricht Englisch, so wie viele Schüler in diesem Gymnasium. „Ich war sowohl in der Grundschule als auch nachher im ‚Lycée‘ mit der Diversität hier in Luxemburg konfrontiert“, so die Schülerin. Im Michel Lucius habe sie die Diversität am intensivsten erlebt, was wohl damit zu tun habe, dass es sich um eine internationale Schule handelt. „Ich hatte niemals Probleme in Bezug auf diese Diversität. Ich hatte auch niemals das Gefühl, ausgeschlossen zu sein.“ Dennoch habe sie von anderen Schülern gehört, dass diese negative Erfahrungen in Bezug auf die Diversität gemacht haben. „Ich glaube aber, dass es sich dabei um eine Minderheit handelt.“
Max hat letztes Jahr im Diekircher „Lycée classique“ seinen Abschluss gemacht. Nun hat er auf der Uni.lu ein Jurastudium angefangen. Er war Präsident des dortigen Schülerkomitees. Im Gegensatz zum „Lycée Michel Lucius“ hat jenes in Diekirch keine internationale Sektion. „In meinem Gymnasium gab es nie wirklich große Probleme zwischen den verschiedenen Nationalitäten. Das liegt vielleicht daran, dass es viele verschiedene Nationalitäten waren und es keine großen Gruppen derselben Staatsangehörigkeit gab“, erzählt Max. An der Uni hat er andere Erfahrungen gemacht. Er sagt, dass es dort Gruppen mit einer einzigen Nationalität gibt. „Da wird es schwierig, dass Studenten aus dieser Gruppe mit anderen Studenten, die nicht zu ihr gehören, reden. Sie fangen an, sich innerhalb dieser Gruppe einzuschließen. Das war im ‚Lycée‘ anders.“
Max erzählt von Flüchtlingen, die auf seine Schule kamen. Sogar für die sei es recht einfach gewesen, Luxemburgisch zu lernen. Auch haben sie sich gut in die schulische Gemeinschaft integrieren können. An der Uni seien circa ein Drittel der Studenten Luxemburger und ein Drittel Franzosen. „Jede Gruppe bleibt unter sich. Mit der Zeit scheint es besser zu werden. Doch ich habe den Eindruck, dass es eine gewisse Angst gibt, den ersten Schritt zu machen.“ Laura und Max sind beide Mitglieder der Jugendkonferenz CGJL („Conférence générale de la jeunesse au Luxembourg“).
Opfer rassistischer Angriffe
Eine junge Frau meldet sich zu Wort. „Ich kam in Luxemburg auf die Welt, wuchs hier auf, besuchte hier zur Schule und ging für mein Studium ins Ausland. Nun bin ich zurück. Ich wurde damals in der Schule Opfer von rassistischen Angriffen. Wir waren damals zwei Schüler, die eine dunkle Hautfarbe hatten. Wir schlugen dem Geschichtslehrer vor, über Sklaverei zu unterrichten, um die anderen Schüler aufzuklären, damit sie es unterlassen, uns zu hänseln. Doch der Lehrer weigerte sich, darüber zu unterrichten, weil es nicht auf dem Programm stand. Heute hat sich vieles geändert. Ich habe viele Freunde, die nun selbst Lehrer sind.“
Pierre Dielissen, Projektleiter des Zentrums für interkulturelle Bildung (IKL), ist neben der Kulturpsychologin Elke Murdock Referent der Vortragsdebatte. Dielissen arbeitet durch seine Projekte vor Ort in den verschiedenen Schulen und hat direkten Kontakt mit unterschiedlichen Schülern. Für ihn ist Diversität eine Tatsache. Er sagt, dass jede Schule anders ist. Jedes Mal stelle sich die Frage: Macht man aus dieser Tatsache eine Chance oder bleibt es eine Herausforderung? „Es ist eine große Chance, auf so viele verschiedene Sprachen zu treffen. Es ist eine Chance, so viele verschiedene Kulturen kennenzulernen“, sagt Dielissen. Dadurch könne man auch viel mehr über seine eigene Kultur lernen.
Vor allem, wenn Schüler die Unterrichtssprache nicht oder nur schlecht verstehen, dann befindet man sich in einer diskriminierenden SituationProjektleiter des Zentrums für interkulturelle Bildung (IKL)
Andererseits sei es für die Lehrer, die im Kontext der Diversität unterrichten müssen, eine Herausforderung. Insbesondere die sprachliche Situation sei oftmals eine Herausforderung. „Vor allem, wenn Schüler die Unterrichtssprache nicht oder nur schlecht verstehen, dann befindet man sich in einer diskriminierenden Situation. Es ist nicht unsere Rolle zu sagen, ob Diversität gut ist oder nicht. Es ist die Situation. Und wir müssen lernen mit dieser Situation zu leben“, sagt Dielissen.
Das perfekte Forschungsgebiet
Elke Murdock ist Kulturpsychologin. Seit ihrem ersten Psychologiestudium in den USA interessiert sie sich für die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Kulturen und versucht, diese zu verstehen. Sie stammt aus Deutschland, studierte und forschte in den USA, in Schottland, Deutschland und Luxemburg. Seit 2001 wohnt sie im Großherzogtum und seit 2010 forscht und lehrt sie an der Uni.lu. „In Luxemburg habe ich mein perfektes Forschungsgebiet gefunden“, so die Kulturpsychologin im Tageblatt-Gespräch.
„Ich brauche mich hier nur in den Zug oder den Bus zu setzen und ich habe Multikulti vor mir. Wenn man zuhört, wie Menschen einfach die Sprache wechseln, ganz automatisch, oder wenn man darauf achtet, wie viele Sprachen man auf einem Spielplatz hört, dann sieht man ja, dass das auch funktioniert“, sagt Murdock. Man kann also sagen, dass sie nun mitten in ihrem Forschungsgebiet lebt.
Was mich hier in Luxemburg fasziniert und was ich hier versuche zu verstehen, ist, wie Menschen mit Kulturkontakt umgehenKulturpsychologin an der Uni.lu
Für Murdock geht ein Kulturpsychologe davon aus, dass unsere Kultur, unser Denken, unsere Erfahrung und unser Handeln uns von Grund auf mitbestimmen. Ihr Interesse gilt dem Multikulturalismus oder wie man zusammenleben kann. „Was mich hier in Luxemburg fasziniert und was ich hier versuche zu verstehen, ist, wie Menschen mit Kulturkontakt umgehen“, sagt Murdock. Luxemburg sei ein kleines Land, in dem ganz verschiedene Kulturen zusammentreffen. Außerdem sei Luxemburg ein Grenzland. Man ist schnell in Belgien, Frankreich und Deutschland und nicht weit von Holland entfernt.
Immigrationsland
Zudem sei Luxemburg ein Immigrationsland und ein Land, das eine wechselvolle Geschichte mitgemacht habe. Auch durch die geografische Position ist die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen ein Teil von Luxemburg. „Das ist ein ganz besonderes Land. Und jetzt wird durch den sehr hohen Ausländeranteil wieder eine andere Herausforderung an Luxemburg gestellt. Wie kann ich das meistern? Wie kann ich die Gesellschaft strukturieren, dass sie ein positives Umfeld für alle darstellt?“, sagt Murdock.
Man ist hier kein Außenseiter, weil durch diese Vielfalt an Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund eben immer irgendeiner in der Minderheit istKulturpsychologin an der Uni.lu
Funktioniert Multikulti denn in Luxemburg? In ihrer Forschung, die auch vom FNR („Fonds national de la recherche“) unterstützt wird, hat Murdock herausgefunden, dass für diejenigen, die verschiedene Sprachen auf einem hohen Niveau sprechen und gar nicht mehr merken, ob sie Deutsch, Französisch oder Luxemburgisch reden, dieser multikulturelle Kontext eine ganz starke Bereicherung ist. Die könnten sich hier so richtig ausleben. Für andere Menschen mit mehrfachem Migrationshintergrund sei Luxemburg ein Magnet, weil es hier quasi zur Norm gehöre, eine solche Biografie zu haben. „Man ist hier kein Außenseiter, weil durch diese Vielfalt an Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund eben immer irgendeiner in der Minderheit ist“, so Murdock.
Für die Forscherin gilt das Motto: „Learning from Luxemburg“. In Luxemburg-Stadt sei der Ausländeranteil sogar bei 71 Prozent. Multikulti kann auch an seine Grenzen stoßen. Murdock sagt, dass es nicht einfach ist, mit so vielen verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den Kindergärten, den Schulen, im Alltag zu leben. Aber die Möglichkeit der Bereicherung durch andere Kulturen sei gegeben. Im konkreten Fall müssten aber Entscheidungen getroffen werden, um grundlegende Regeln auszuhandeln. Es ist das, was Murdock „the art of compromise“ nennt: die Kunst, Kompromisse einzugehen.
Perspektiven anderer zulassen
„Anything goes ist fehl am Platz.“ Man sollte stets die Menschenrechte, die Würde des anderen und die Gleichheit zwischen Mann und Frau respektieren. Es stelle sich also stets die Frage, wie man Kompromisse schließen und dabei verschiedene Kulturkreise und Horizonte verbinden kann. Dabei sei es wichtig, auch Perspektiven anderer zuzulassen, offen und tolerant zu sein. „For the benefit of all. Damit mehr Leute davon profitieren können.“
In der Schule befinden sich Kinder und Jugendliche von Anfang an in einem Umfeld der Diversität. Auf die Frage, auf was sie dabei achten, wenn sie Freundschaften schließen, hat die Masterarbeit einer Studentin Murdocks Antworten gefunden. In einem „Lycée“ im Süden Luxemburgs sah der Nationalitätenkuchen ähnlich aus wie jener der Bevölkerung hierzulande. Die Luxemburger waren in der Minderheit, viele Schüler hatten portugiesische, italienische und andere Wurzeln. Es sollte herausgefunden werden, ob es Unterschiede bei den Kriterien einer Freundschaftsschließung sowohl bei Luxemburgern als auch bei Schülern aus der ersten oder zweiten Generation mit Migrationshintergrund gibt. Fazit: „Wir konnten keine Unterschiede feststellen“, so Murdock. Freundschaften wurden nach dem Prinzip des Charakters ausgesucht und nicht etwa nach Kriterien der Sprache oder Nationalität. Die Sprache untereinander innerhalb der Schule war für fast alle Luxemburgisch oder Luxemburgisch und eine oder zwei andere Sprachen.
Unbewusste Wertevermittlung
Bei der Wertevermittlung spiele die Familie eine große Rolle, sagt Murdock und verweist auf das Forschungsgebiet ihrer Kollegin Isabelle Albert. Bei einem vom FNR unterstützten Forschungsprojekt wurden einerseits luxemburgische Eltern und andererseits portugiesische Eltern mit ihrem jeweils erwachsenen Kind, etwa 25 Jahre alt, gefilmt. Die Eltern wurden gefragt, welche Werte sie vermitteln, was ihnen wichtig ist. „Im Film war es interessant zu beobachten, wie die Eltern mit ihren erwachsenen Kindern interagiert haben. Oftmals haben Mütter oder Väter gesagt, wir haben nichts Besonderes gemacht im Hinblick auf die Wertevermittlung. Die Kinder haben dann eingelenkt und gesagt, dass die Eltern ihnen vieles vermittelt haben. Die ‚ahnungslosen‘ Eltern taten dies wohl unbewusst. Die Kinder haben es aber bewusst aufgenommen“, erzählte Murdock.
Um rechtspopulistischen oder -extremen Strömungen den Wind aus den Segeln zu nehmen, seien laut Murdock sowohl die Schule als auch die Eltern gefordert. Letztere spielen eine wichtige Rolle bei der Wertetransmission. Die Schulen wiederum sollten die Schüler zu kritischen und mündigen Bürgern erziehen. Somit könne man die vereinfachten Theorien und Lösungen der Populisten als solche entlarven. „Es gibt keine vereinfachenden Lösungen, dafür ist die Welt zu komplex“, so Murdock. „Mich fasziniert immer wieder, dass Luxemburg, obwohl es so klein ist, im Norden ein ganz anderes Umfeld als im Zentrum oder im Süden bietet. Es schafft den Lebensraum für ganz unterschiedliche Lebensentwurfsentscheidungen und die kann man auch zulassen.“
- Was Jugendliche im Internet treiben: Bericht zeigt Nutzungsverhalten auf digitalen Geräten - 8. Februar 2023.
- Kritik am FDC: Die „schmutzigen“ Investments des „Pensiounsfong“ - 7. Februar 2023.
- Ein Plan für mehr Naturschutz in Luxemburg - 3. Februar 2023.
Das kann gar nicht funktionieren.
Schauen Sie mal in die Natur und sperren sie alle Tierrassen in ein Gehege.
Das funktioniert schon lange, die Einen mag man, die Anderen nicht.
Das hat nichts mit Nationen oder Hautfarben zu tun. Meine eigene Mutter z.b., die mochte mich nie und ließ keine Gelegenheit aus mir es zu zeigen.