Erfahrungen aus dem „Lycée“ / Wie Schüler die letzten Schulwochen erlebten
Das Schuljahr 2019/2020 stand im Zeichen von Corona. Insbesondere die letzten Wochen vor den Sommerferien hatten es in sich. Zwei „Lycée“-Schüler berichten dem Tageblatt, wie sie diese Zeit erlebt haben. Ein Bericht.
Am Freitag, 13. März, als klar war, dass die Schulen am darauffolgenden Montag schließen würden, hat der „Régent“ seine Schüler zu sich gerufen. „Wir haben uns gefragt: Was soll das nun werden?“, sagt Max Scheitler (21). Der Primaner aus dem „Lycée Bel-Val“ hatte, wie vermutlich die meisten anderen „Première-Schüler“ auch, vor allem seinen Abschluss im Kopf. „Zwei Monate vor dem Examen kommt nun das hier“, erzählt er im Tageblatt-Gespräch.
Rückblickend kann er heute sagen, dass alles erstaunlicherweise gut geklappt hat. Auf Facebook hat er ein Foto gepostet, auf dem er sein Abschlussdiplom in der Hand hält. Das mit dem E-Learning habe hervorragend funktioniert, sagt er. „Das lief alles reibungslos ab und wir hatten genug Zeit, um uns auf den Lernstoff vorzubereiten.“ Im Vergleich zu den vorigen Examen sei das diesjährige nichts Unvorstellbares gewesen. „Wir hatten zwar einen anderen Lernstoff, aber es ist immer noch das gleiche ‚Première-Examen‘.“
Wir haben uns gefragt: Was soll das nun werden? Zwei Monate vor dem Examen kommt nun das hier.Primaner und Präsident des Schülerkomitees
Immer in Erinnerung wird Max die Diplomüberreichung bleiben. Diese wurde in Form eines Autokinos organisiert. Die Idee ging auf eine Lehrerin zurück, die dies der Direktion mitteilte, die daraufhin nach einer technischen Überprüfung, ob dies machbar sei, ihr Okay gab. Schüler und Eltern konnten mit ihrem Auto auf Belval anreisen. In ihrer Frontscheibe legten sie eine Markierung aus, wodurch der Schüler identifiziert werden konnte. Auf dem Parking wurden sie eingewiesen. Der Ton wurde über einen UKW-Sender ins Auto übertragen. Die Insassen bekamen eine Tüte mit Getränken und Popcorn ausgehändigt. „Das war toll“, sagt Max.
Jeweils wurde eine ganze Klasse ausgerufen, die sich zur Bühne begeben sollte. Dann wurden die einzelnen Namen der Schüler aufgerufen, um ihr Diplom entgegenzunehmen. Statt Applaus gab es jedes Mal ein Hupkonzert. „Es war eine einmalige Sache. Ich bin froh, dass das so gemacht wurde“, sagt Max. Er fand diese Feier viel schöner als die üblichen Diplomüberreichungen, wo alle im großen Festsaal sitzen. Manchmal könne der Einsatz von Sicherheitsmaßnahmen auch sehr schöne Sachen hervorbringen. Diese originelle Diplomüberreichung hat Max fast ganz vergessen lassen, dass er aufgrund von Corona nicht richtig feiern konnte. Die Begeisterung für diese Feier habe in ganz Luxemburg die Runde gemacht, sagt Max. Er habe sogar positives Feedback von Schülern aus Wiltz bekommen.
Primaner Max Scheitler begrüßt die Schulöffnungen
Max ist nicht nur Primaner, sondern auch Präsident des Schülerkomitees. Diese Funktion hat er seit zwei Jahren inne. Wieso wird man Schülerkomitee-Präsident? „Ich wollte etwas an meinem Lyzeum bewirken.“ Er hat sich dort für viele Sachen eingesetzt. Vier Jahre lang war Max zudem Beauftragter der CNEL (nationale Schülerkonferenz). „Ich war der Ansprechpartner, wenn es darum ging, etwas mitzunehmen auf die Versammlungen in der Stadt.“ Auch hat Max beim Jugendparlament mitgemacht.
Max hatte zwar nach seinem Examen keinen Unterricht mehr im Lyzeum, hat aber als Präsident des Schülerkomitees „so einiges“, wie er sagt, mitbekommen. „Größtenteils waren die Schüler sehr froh darüber, wieder in der Schule zu sein.“ Die Organisation aufseiten der Schule sei gut gewesen und die neuen Corona-Regeln seien dementsprechend auch respektiert worden. Etwas Durcheinander habe es allerdings bei den Lehrern gegeben. Diese mussten ihr Programm für die A- und B-Wochen entsprechend anpassen. „Als dann ab dem 29. Juni die Klassen wieder zusammengeführt wurden, mussten sich die Lehrer erneut umdisponieren und sich nach der neuen Situation richten“, sagt Max.
Das Problem lag darin, dass die Lehrer am 29. Juni die beiden Gruppen nicht auf dem gleichen Wissensstand hatten. Eine Gruppe hatte demnach eine Woche Vorsprung mit dem Lernstoff. Nun mussten ab diesem Datum aber beide Gruppen zusammen unterrichtet werden. Das habe zu Problemen geführt. „Viele Schüler haben mir gesagt, dass sie die A- und B-Wochen lieber bis zum Ende des Schuljahres beibehalten hätten.“ Das sei gar nicht so schlecht gewesen und habe gut funktioniert, so das allgemeine Feedback.
Schule ist ein Lebensrecht. Das braucht ein Kind – unabhängig von dessen Alter.Primaner und Präsident des Schülerkomitees
Die Statistiken am Ende des Schuljahres zeigen, dass die meisten Schüler ihr Schuljahr gut abschließen konnten. Dies sei insbesondere auf das Homeschooling zurückzuführen, das gut geklappt habe, schlussfolgert Max. „Dennoch sind manche Schüler beim E-Learning komplett aus der Bahn geraten und haben sich verloren“, sagt er. Deshalb sei es so wichtig gewesen, dass die Schulen wieder geöffnet haben. Max nennt es Freiheit. Die Freiheit, in die Schule gehen zu dürfen. „Schule ist ein Lebensrecht. Das braucht ein Kind – unabhängig von dessen Alter.“
Max hat sich für einen Bachelorstudiengang in Physik an der Uni Luxemburg eingeschrieben. Sollte das nicht klappen, lautet sein Plan B: ein Bachelor in Maschinenbau, gefolgt von einem Master. „Am liebsten würde ich in die Forschung gehen“, sagt er. „Wenn das nicht möglich ist, mache ich das Staatsexamen und werde Lehrer.“
Schüler Kai Ries prangert Ungerechtigkeiten an
Für Kai Ries (17), Schüler einer 4e im „Lycée Bel-Val“, waren die letzten Schulwochen nach der Aufhebung des Splittings „wirklich anstrengend“. „Es verging kein Tag, an dem ich keine Kopfschmerzen hatte“, sagt er im Tageblatt-Gespräch. Das Klima in der Klasse habe sich in diesen Wochen nochmals verschlechtert. Kai sagt, dass die zwei Gruppen aufgrund der langen Trennung nicht mehr richtig zueinandergefunden haben. „Manche hatten keine Lust auf die anderen. Es gab viele Streitigkeiten unter den Schülern.“ Trotz der schlechten Stimmung mussten die Schüler ihre letzten Prüfungen absolvieren. „Als die Klassen gesplittet waren, war das einfacher für mich.“
Kai ist in seiner Freizeit politisch aktiv. Er ist der CSJ beigetreten und engagiert sich für die jungen Christsozialen im Kanton Mersch als Schatzmeister. Bei den Europawahlen ist die Mutterpartei der CSJ, die CSV, bei ihm immer mehr in den Mittelpunkt gerückt. Er sagt, dass ihn diese Partei besonders interessiere, da sie sich für den Mittelstand und die Bürger einsetze. Kai setzt sich für Gleichberechtigung ein. Dazu gehören für ihn unter anderem die sexuelle Orientierung, die Frauenrechte und auch die Black-Lives-Matter-Bewegung.
Wir saßen nur rum, manche haben geschlafen, andere gespielt. Wir saßen da wie Ölsardinen.4e-Schüler
Ungerecht findet Kai die Tatsache, dass man die Schüler nun beschuldigt, sich auf Partys angesteckt zu haben, während man sie „wie Ölsardinen“ in einer Klasse zusammenpfercht. „Wir sind zu 28 bis 30 Schülern in der Klasse“, sagt er. Seit der Aufhebung des Splittings sei der Sicherheitsabstand nicht mehr einzuhalten. Immerhin habe die Direktion seines Lyzeums ab der Zusammenlegung der Klassen veranlasst, dass in den Klassenzimmern die Maskenpflicht eingeführt wurde. Vor dem 29. Juni war das anders. Es galt keine Maskenpflicht und die Abstände konnten eingehalten werden. Nur bei zwei Lehrern mussten sie zu dem Zeitpunkt die Masken in der Klasse anbehalten.
In den letzten Wochen nichts Sinnvolles gelernt
„Ich habe nicht viel Angst vor dem Coronavirus“, sagt Kai. Dennoch mache er sich Sorgen um seine Eltern. Diese seien vulnerable Personen und er wolle das Virus nicht mit nach Hause schleppen und sie dort anstecken. Was Kai nicht versteht, ist die Tatsache, dass in den letzten zwei Wochen fast nichts Sinnvolles mehr in der Schule gelernt wurde. „Wir saßen nur rum, manche haben geschlafen, andere gespielt. Wir saßen da wie Ölsardinen.“
Das war die Zeit nach dem 29. Juni. Die Zeit davor hat Kai allerdings in sehr guter Erinnerung. „Ich habe mich gefreut, dass ich wieder in die Schule gehen konnte.“ Das mit den A- und B-Gruppen habe gut funktioniert, sagt er – und zählt auf: „Der Sicherheitsabstand war gewährleistet, es war ruhig in der Klasse, wir konnten gut arbeiten. Letzteres konnten uns auch die Lehrer bestätigen.“
Eine Krise soll man gemeinsam lösen – und nicht im Alleingang Entscheidungen treffen4e-Schüler
Kai hätte es bevorzugt, wenn man das Prinzip des Splittings bis zum Ende des Schuljahres durchgezogen hätte. Auch für die „Rentrée“ wünscht er sich das System der A- und B-Gruppen, insbesondere weil man sich ja nun schließlich in der zweiten Welle befinde. Dass die Klassen zusammengeführt wurden, erklärt sich Kai damit, dass Bildungsminister Claude Meisch testen wollte, wie das funktioniere. Dann könne er sich im September, falls dieses System eingesetzt würde, darauf berufen und argumentieren, dass es machbar sei. Sein Fazit, das an den Bildungsminister gerichtet ist, lautet: „Eine Krise soll man gemeinsam lösen – und nicht im Alleingang Entscheidungen treffen.“
Corona in der Schule
Die Corona-Pandemie beeinflusst viele Bereiche unseres Lebens. Insbesondere in den Schulen hat die Politik im Laufe der Krise immer wieder verschiedene Wege eingeschlagen und für viel Diskussionsstoff gesorgt. Wir lassen in unserer Serie „Corona in der Schule“ verschiedene Akteure des Bildungswesens zu Wort kommen, die uns über ihre Erlebnisse der letzten Wochen vor den Sommerferien berichten und uns Einschätzungen geben, wie es zur „Rentrée“ im September weitergehen könnte.
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