Grundschule / Wie Schüler Digitales ohne Bildschirm lernen
Ab September werden die Grundschüler in die Welt der digitalen Kompetenzen eingeführt. Im Gespräch mit zwei Verantwortlichen des Script, die das Projekt koordinieren, und einem implizierten Grundschullehrer haben wir uns das neue Konzept und dessen Auswirkungen anhand praktischer Beispiele erklären lassen.
Claude Reuter malt zwei schwarze Linien auf ein Blatt Papier. Sie durchkreuzen sich. Dann packt er den kleinen Ozobot aus der Schachtel und stellt ihn auf eine der Linien. Der kleine Roboter mit einem Durchmesser von knapp drei Zentimetern folgt dem gezeichneten Strich. An der Kreuzung biegt er nach rechts ab. Reuter nimmt ihn in die Hand und setzt ihn wieder auf die gleiche Startposition. Diesmal biegt der Ozobot nach links ab.
„Der Ozobot arbeitet nach dem Zufallsprinzip“, erklärt Reuter. Reuter ist sowohl Grundschullehrer als auch Mitarbeiter des Script („Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques“) und koordiniert das Projekt des Codierens in der Grundschule. Ein Projekt, das seit zwei Jahren besteht. Rund 20 Klassen in verschiedenen Schulen des Landes nehmen an dem Pilotprojekt teil. Reuter ist dort federführend.
An der Unterseite des Ozobot sind Sensoren verbaut, so Reuter. Sie erkennen Linien und Farben. „Wenn man eine schwarze Linie malt, dann läuft er dieser Linie nach. Kommt er an eine Kreuzung, dann taucht das erste Problem auf.“ Um dem vorzubeugen, müsse man dem Roboter einen Befehl erteilen, auf den er dann reagiert. Das passiert in Form von Farbcodes. Das sind Balken, etwa so breit wie die aufgezeichnete Linie, die einfach auf den Strich aufgemalt oder -geklebt werden. Wie die Codes lauten, steht auf einer Liste, die man sich neben das Blatt legen kann.
Ganz ohne Bildschirm
Je nach Farbzusammenstellung läuft der Ozobot nach rechts, nach links oder geradeaus. Man kann ihm auch den Befehl erteilen, an einer bestimmten Stelle schneller oder langsamer zu laufen oder für drei Sekunden stehenzubleiben. „Das Ganze passiert ohne Bildschirm“, betont Reuter. Er nennt das „unplugged“.
Luc Weis, Direktor des Script, sagt, dass man in etwa in der Mitte der Grundschulzeit Bildschirme einbeziehen könne. Davor sei es nicht unbedingt notwendig. Den Ozobot gibt es in verschiedenen Varianten. Eine davon kann man auf den Bildschirm eines Tablets stellen und dort übernimmt der Roboter dann den zuvor eingegebenen Code, der vorgibt, wie er sich bewegen soll.
Diesen Gedanken, was ist ein Algorithmus, möchten wir gerne möglichst früh in die Köpfe der Leute hineinbekommenDirektor des Script
Ab September soll das Coding Einzug in die Grundschule erhalten. Erst im „Cycle 4“ im Mathematikunterricht, dann ab September 2021 in den übrigen „Cycles“ auf transversale Art. Für Weis ist es erst mal wichtig, dass die Kinder verstehen, was ein Algorithmus ist. „Das ist eine Handlungsreihe, eine Reihe von Befehlen, die man einem Computer geben kann“. Er vergleicht es mit einem Kochrezept. „Wenn man sich an das Rezept hält und Punkt für Punkt in der richtigen Reihenfolge durchführt, dann kommt in der Regel auch das dabei heraus, was man vorhatte. Hält man sich nicht daran, dann entstehen sogenannte ‚bugs‘, also Fehler. Vielleicht schmeckt es dann auch, aber es ist etwas anderes als das, was man machen wollte.“ Christian Lamy, Vizedirektor des Script, spricht von einem „Aha-Effekt“ bei den Kindern, wenn sie alles richtig eingegeben haben. Die Kinder sagen: Diese Maschine gehorcht mir.
„Wir kommunizieren mit Computer über Algorithmen. Diese müssen eindeutig sein, sonst macht der Computer einen Fehler. Diesen Gedanken, was ist ein Algorithmus, möchten wir gerne möglichst früh in die Köpfe der Leute hineinbekommen“, sagt Weis. Für ihn sollten Kinder nicht nur in den Medien unterwegs sein und das „erleiden, was in den Medien geschieht“, sondern „selbst zum Akteur werden“, um zu verstehen, was dahinter passiert. Sonst könne man schnell zu einer Marionette werden.
Transversaler Unterricht
Problemlösen, logisches und strukturiertes Denken, mit einer wissenschaftlichen Einstellung an das Problem herangehen, das gab es alles schonVizedirektor des Script
Für Lamy ist das digitale Konzept nichts Nagelneues. „Problemlösen, logisches und strukturiertes Denken, mit einer wissenschaftlichen Einstellung an das Problem herangehen, das gab es alles schon, insbesondere im Mathematikunterricht. Das war schon immer ein Auftrag an die Lehrer.“ Nun sei es umso aktueller und akuter, dass die jungen Menschen sich in diesen Bereichen fit machen. „Wir merken, dass es eine Dimension ist, die in der Schule oft ein wenig untergeht.“
Weis nennt ein Beispiel für transversalen Unterricht unter Einbeziehung des Digitalen. Er und Lamy haben im Juni vergangenen Jahres eine der 20 Pilotschulen besucht, wo das digitale Konzept getestet wird. Am Anfang des Schuljahres haben die Kinder des „Cycle 3“ den Ozobot entdeckt. Am Ende des Jahres haben sie im Deutschunterricht eine eigene Version des Rotkäppchen-Märchens verfasst. Im Kunstunterricht haben sie das Spielfeld gebastelt, wo die Geschichte szenisch dargestellt wurde. Dort wurden auch die vier Ozobot als Rotkäppchen, Wolf, Oma und Jäger „verkleidet“. Die digitale Komponente bestand darin, die vier Ozobot so zu programmieren, dass sie parallel zur Erzählerstimme in einer Szene ihre jeweilige Stellung auf dem Spielfeld einnahmen. Die Ozobot spielten die Szenen, die der Erzähler gerade vorlas, nach.
Das Ziel ist ja nicht, Informatiker auszubilden, so wie es auch nicht das Ziel ist, Schriftsteller im Deutschunterricht auszubildenGrundschullehrer und Mitarbeiter des Script
„Die Lehrerin sagte zu uns: Das ist jetzt nicht mehr Aufwand als davor, es ist nur eine andere Herangehensweise und die Kinder sind mehr motiviert, weil der Roboter ins Spiel kommt“, so Weis. Der Script-Direktor verweist auf die Aussagen des Bildungsministers, man schaffe eine andere Methode, um an die Sache ranzugehen. „Es ist genau das.“
Stereotypen abschaffen
„Das Ziel ist ja nicht, Informatiker auszubilden, so wie es auch nicht das Ziel ist, Schriftsteller im Deutschunterricht auszubilden“, ergänzt Reuter. Es gehe darum, eine Grundbasis zu schaffen, die das Interesse der Schüler wecken soll. Dabei gehe man auch gegen Stereotypen vor, die gerne im Zusammenhang mit Mädchen und Roboter im Raum stehen. „Wenn man früh mit der digitalen Erziehung anfängt, dann sieht man, dass es da keine Unterschiede zwischen Mädchen und Jungs gibt.“
Weis geht davon aus, dass man die Lehrer mit dieser neuen Herangehensweise nicht überfordert. Es handele sich im Grunde um gängige Problemlösungen, die auch heute schon ähnlich auftauchen. „Wir merken in unseren Pilotklassen, dass es sehr viel Motivation bei den Kindern generiert, so zu arbeiten, und dass weder Schüler noch Lehrer wirklich Ängste haben, wenn die Lehrer im Vorfeld wissen, was da passiert. Weil es eben nicht voraussetzt, dass man an einem Computer sitzt und eine Programmiersprache können muss.“ Aus den Pilotklassen kam bereits viel Feedback zurück, das vom Script evaluiert wurde. Weis zieht als Fazit, dass die Schüler gut mit den Aufgaben klarkommen. Auch könne man die neue Herangehensweise gut in den Unterricht integrieren. „Man kann also weitermachen wie bisher, man hat nur andere Werkzeuge und dadurch weitere Möglichkeiten.“
Um die Lehrer darauf vorzubereiten, wurden mehrere Maßnahmen getroffen. Am 10. März wird bei einer Veranstaltung der Medienkompass vorgestellt. Er zieht den Gesamtrahmen für die Medienbildung. Am 7. Mai bekommen die Grundschullehrer detaillierte Informationen, was genau von ihnen erwartet wird und welche Unterstützung sie bekommen werden. Sie erhalten einen Starterkit, der aus dem Ozobot und anderem digitalen Material besteht. Daneben werden Fortbildungen angeboten, die allerdings nicht verpflichtend sind. Das Script übernimmt die Rolle des Koordinators und ist zurzeit dabei, insgesamt 30 Tutorials als Videos à je 3 bis 5 Minuten aufzunehmen. Diese können den Lehrern als Exempel dienen, wie sie das Digitale in ihren Unterricht einbringen können.
Lehrer unterstützen
Daneben werden aktuell 15 spezialisierte Lehrer, einer für jede Region des Landes, mit der Bezeichnung ICN („Instituteurs spécialisés en compétences numériques“) rekrutiert. Ihre Mission ist die Unterstützung der Lehrer im digitalen Schulalltag. Diese werden in die Klassen kommen und am Unterricht teilnehmen. „Die Lehrer sollen das Gefühl haben, eine Ansprechperson in der Region zu haben.“ Die Kritik der Lehrergewerkschaft, die kürzlich monierte, sie sei nicht mit in die digitalen Pläne einbezogen worden, lässt Weis nicht gelten. Die Pilotprojekte würden bereits seit zwei Jahren in 20 Klassen laufen. Mindestens 300 Kinder hätten direkte positive Erfahrungen damit gehabt. Das Script habe eng mit diesen Schulen und Klassen zusammengearbeitet. „Es wird ein bisschen so dargestellt, als würden wir uns hier im Elfenbeinturm Sachen ausdenken“, so Weis. Lamy fügt hinzu, dass die Arbeitsgruppe selbst auch aus Lehrern bestehe.
Man dürfe aber auch nicht vergessen, die Eltern der Kinder einzubeziehen, sagt Lamy. Denn die Kinder des „Cycle 4“ kommen ab September nach Hause und verwenden Begriffe wie Ozobot oder Coding. Damit dies den Eltern nicht chinesisch vorkomme oder sie das Gefühl bekommen, von ihren Kindern „abgehängt“ zu werden, organisiert das Script Informationsnachmittage an Wochenenden für die Eltern, wo sie zusammen mit ihren Kindern die neue Materie entdecken können.
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Digital? Wohl kaum. Das ist wie Schienen für eine Modelleisenbahn legen..