Außenministertreffen / Wie sich die NATO um die Ukraine-Fragen windet
Beim 75-Jahre-Gipfel will die NATO sich Anfang Juli in Washington als einiges und entschlossenes Bündnis präsentieren. Doch bei der Vorbereitung durch ihre Außenminister in Prag zeichnete sich in der Allianz weiter Uneinigkeit zu den wichtigsten Ukraine-Dossiers ab.
Am Ende des zweitägigen informellen Treffens der NATO-Außenminister in Prag war das große Problem vom Anfang keines mehr: Das von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg markierte Krisenthema mangelnder Verteidigungsmöglichkeiten der Ukraine gegen grenznahe Angriffe von russischem Boden aus hatte sich über Nacht erledigt. Sowohl Washington als auch Berlin verfügten, dass die Restriktionen an der Front bei Charkiw aufgehoben seien: Die ukrainischen Streitkräfte dürften Systeme wie Panzerhaubitzen oder Raketenwerfer aus westlichen Hilfslieferungen nun auch auf Ziele in Russland richten. Für Stoltenberg war das die zwingende Folge eines veränderten Krieges, wenn Frontverlauf und Grenzverlauf gleich geworden seien. Doch die Liste der Probleme für die NATO vor ihrem Jubiläumsgipfel in Washington ist damit nicht kleiner geworden.
„Signifikante Fortschritte“ habe das Bündnis bei dieser Konferenz gemacht, fasste Stoltenberg am Freitagnachmittag in Prag zusammen, allerdings habe es „keine Beschlüsse“ gegeben. Das war von einem Format auch nicht erwartet worden, das auf offene Aussprache statt geschlossene Abstimmung setzt. Doch die Meinungsunterschiede in der Allianz sind bei den aktuell herausforderndsten Hürden kaum kleiner geworden.
Schon beim NATO-Gipfel vor einem Jahr in Litauen hatten östliche NATO-Staaten und die Ukraine selbst auf irgendeine Form einer Einladung zur Mitgliedschaft in der NATO gerechnet – als Motivationsschub für die unter dem russischen Angriffskrieg leidenden ukrainischen Menschen und erst recht die ukrainischen Streitkräfte. Zynisch meinte Litauens Außenminister Gabrielis Landsbergis am Freitag in Prag, die NATO sei „ziemlich gut darin, nette Worte zu sagen und Versprechen zu machen, aber wir müssen endlich anfangen, an dieser Stelle auch zu liefern“. So viel zeichnet sich nach der Konferenz jedoch ab: Auch in fünfeinhalb Wochen wird beim NATO-Gipfel von Washington kein Lieferservice bestellt. Das Wort Einladung wird aller Voraussicht nach auch in der neuen Abschlusserklärung fehlen. Es sei denn, das Bündnis stellt sie in einen Zusammenhang mit den Umständen und Voraussetzungen, die dafür erfüllt sein müssten und stellt zugleich fest, dass die noch nicht gegeben seien.
Stoltenberg will jährlich 40 Milliarden Euro
Aber es ist eine neue Ersatzlieferung absehbar. In Litauen hatte die NATO erklärt, für die Ukraine sei der Zeitpunkt für eine NATO-Mitgliedschaft näher gerückt, weil sie den gewöhnlich aus zwei Schritten bestehenden Beitrittsprozess auf einen Schritt reduzierte. Nun bereitet sich das Bündnis darauf vor, die bislang von den USA initiierte und geführte Ukraine-Kontaktgruppe in Bündnis-Regie zu überführen. Die Treffen von NATO- und Nicht-NATO-Staaten im sogenannten Ramstein-Format hatte die jeweiligen dringendsten ukrainischen Waffen-, Munitions- und Ausbildungswünsche und deren Erfüllung durch den Westen koordiniert. Die Befürchtungen wuchsen, dass das in einer zweiten Präsidentschaft Donald Trumps vorbei sein könnte. Der Krieg Russlands aber nicht. Und so will das Bündnis die Ukraine-Militärhilfe „trumpfest“ machen.
Stoltenberg versucht, die neue NATO-Ukraine-Koordinierung mit einer dauerhaften Selbstverpflichtung zu verbinden. Hatte er für seinen Vorschlag eines mehrjährigen Hundert-Milliarden-Programmes nicht genügend Unterstützer gefunden, versuchte er nun in Prag, ein 40-Milliarden-Projekt auf die Schiene zu heben. Seine Argumentation: Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges hätten die NATO-Staaten jährlich 40 Milliarden in Waffen für die Ukraine investiert. Sie sollten sich verpflichten, dies auch in den nächsten Jahren zu tun. Mit diesen Waffen, so Stoltenberg, werde die Ukraine nicht nur aktuell unterstützt, sondern auch für ihre künftige Abschreckungsfähigkeit gegenüber folgenden Angriffsdrohungen gestärkt. Und dies sei dann ein weiterer Schritt in Richtung einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine.
Ungarn und Moskau empört über NATO-Verbündete
Jedenfalls wäre eine Unterscheidung zwischen aktuell gebrauchten und künftig zur Abschreckung nötigen Waffensystemen „künstlich“, meinte Stoltenberg. „Wir müssen jedes Jahr mindestens dieses Unterstützungsniveau aufrechterhalten, und zwar so lange wie nötig“, erläuterte der Generalsekretär in Prag. Die NATO beginne jetzt erst mit der Ausarbeitung der Details. Ziel sei es, die Lasten innerhalb des Bündnisses gerecht zu verteilen.
NATO-Land Ungarn macht da nicht mit. Auch die jüngsten Entscheidungen von Bündnispartnern zu weniger Restriktionen für den Einsatz der Waffen gegen militärische Ziele in Russland löste in Moskau wie in Budapest Empörung aus. Auch Italien blieb bei seinem Nein für die von ihm gelieferten Systeme. Anders hatten die Vertreter der USA, Frankreichs, Großbritanniens und rund einem Dutzend weiterer NATO-Länder argumentiert. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock ging die breite Debatte darüber gegen den Strich: Aus ihrer Sicht sei es nicht richtig, dass man jedes Detail über die Art, wie sich die Ukraine verteidige, „in der Öffentlichkeit ausbreitet“, kritisierte Baerbock in Prag.
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