Gespräch mit Escher Kinderarzt / Wie sinnvoll Impfungen bei Kindern sind
Sollten wir Kinder und Jugendliche impfen? Diese Frage stellen sich nicht nur Eltern, sondern auch Wissenschaftler, Mediziner und Politiker. Nächste Woche könnte die luxemburgische Regierung eine Entscheidung dazu fällen. Das Tageblatt hat sich mit dem Escher Kinderarzt Dr. Johannes Bauer über die Sinnhaftigkeit einer solchen Impfung für junge Menschen unterhalten. Er erläutert auch Möglichkeiten, wie solche Impfungen organisiert werden könnten.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat kürzlich der EU-Kommission die Zulassung des Impfstoffes von Biontech/Pfizer für Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren empfohlen. Die Entscheidung der EU-Kommission steht demnach noch aus, gilt aber lediglich als Formsache. Die Luxemburger Regierung hat allerdings noch keinen konkreten Plan, wie und ob dieser Impfstoff in jener Alterskategorie verimpft werden soll. Zurzeit werden auch Vakzine der Firma Moderna an Kindern ab sechs Monaten getestet.
Das luxemburgische Gesundheitsministerium hat den „Conseil supérieur des maladies infectieuses“ zum Thema Impfung bei Kindern und Jugendlichen um eine Stellungnahme gebeten. „Zurzeit können wir ihnen dazu noch keine weiteren Informationen geben“, so Monique Putz, Sprecherin des Ministeriums, auf Tageblatt-Nachfrage. Das Thema werde nächste Woche nochmals im Regierungsrat auf der Tagesordnung stehen. Wie sich der Rat entscheiden wird, steht demnach noch offen.
Es stellt sich folgende Frage: Sollten wir alle Kinder und Jugendliche impfen, sobald wir die Möglichkeit dazu haben? Dr. Johannes Bauer ist Kinderarzt in Esch. Der gebürtige Deutsche sieht die Entscheidung ganz klar bei den Erziehungsberechtigten. Er könne eine Impfung lediglich empfehlen. Die Frage, ob man alle Kinder und Jugendlichen impfen sollte, bezeichnet er als schwierig, weil die meisten Kinder bei einer Covid-Infektion keine beziehungsweise nur sehr milde Symptome haben, sagt er. „Das kann ich durch meine Arbeit hier in der Praxis bestätigen.“ In der Regel sind Covid-Symptome bei Kindern deutlich milder als jene bei einer Grippe. Aber „die meisten“ Kinder seien eben nicht „alle“ Kinder.
Kinder können durchaus ernsthaft krank werden. Es ist aber zum Glück nur sehr selten.Kinderarzt
„Ich hatte ein Kind in meiner Praxis, das mit PIMS (Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome) behandelt werden musste“, sagt Bauer. „Das Kind hatte anfangs nur Fieber, rasch verschlechterte sich sein Allgemeinzustand. Am Ende landete das Kind auf der Intensivstation.“ Eine Woche lang musste es dort behandelt werden. Danach ging es ihm wieder gut, sagt Bauer. PIMS war die Folge einer Covid-19-Infektion, die das Kind sechs Wochen zuvor hatte. „Ich weiß nicht, ob das Kind während der Infektion überhaupt Symptome hatte“, sagt der Arzt. Dieser Fall ist laut Bauer auch für die Eltern sehr belastend, weil sie sich dann die Frage stellen, ob sie vielleicht nicht vorsichtig genug waren, oder ob sie den Umgang mit dem Coronavirus zu sehr auf die leichte Schulter genommen haben. „Kinder können durchaus ernsthaft krank werden. Es ist aber zum Glück nur sehr selten.“ Fälle von „Long-Covid“ hatte Dr. Bauer in seiner Praxis noch keine. Einige junge Mütter haben laut Bauer als Folge einer Corona-Infektion Geruchs- und Geschmackssinn verloren. „Da gab es schon sehr heftige Fälle“, sagt er. Dies sei nichts Lebensbedrohliches, schränke aber die Lebensqualität ein.
Schutz durch geimpfte Eltern
Neben dem Selbstschutz vor Covid oder dessen Folgen wie PIMS oder „Long-Covid“ können Kinder laut Kinderarzt durch eine Impfung ein „Stück weit mehr für voll genommen werden“. Zudem können sie durch eine Impfung die Gewissheit erlangen, niemanden mehr anzustecken, wobei Bauer relativiert, dass dies nicht zu hundert Prozent gilt. Er nennt als Beispiel Israel. Dort ist ein großer Teil der Bevölkerung geimpft und die Infektionsrate sinkt. Ein normales Leben sei fast wieder möglich. Das gelte dort auch für Kinder. Selbst kleine Kinder haben Angst, das Virus an ihre Eltern, Großeltern oder Freunde weiterzugeben. „Deshalb denke ich, dass die meisten Kinder, trotz geringem Risiko, selber an Covid zu erkranken, sich für eine Impfung entscheiden würden“, sagt Bauer. „Die Kinder wollen wieder ein normales Leben. Sie wollen sich wieder mit Freunden treffen und in die Vereine, Musik- und Sportgruppen gehen.“ Eine Impfung könne diese Freiheiten unbedenklicher zurückgeben.
Die Nebenwirkungen sind auf jeden Fall nicht stärker als bei den ErwachsenenKinderarzt
Dr. Bauer stellt fest, dass sich die Situation aufgrund der Tatsche, dass viele Eltern bereits geimpft sind, deutlich verbessert hat. Die einzigen Impfstoffe, die nun für Kinder infrage kommen, sind „Messenger-RNA-Impfstoffe“. Das sind jene der Unternehmen Biontech/Pfizer und Moderna. Bei beiden Impfstoffen wurden Tests gemacht. Moderna will einen Impfstoff für Kinder ab sechs Monaten anbieten. Bauer verweist auf die aktuelle Bilanz dieser Tests. „Die Nebenwirkungen sind auf jeden Fall nicht stärker als bei den Erwachsenen“, sagt der Kinderarzt. Wahrscheinlich seien die Nebenwirkungen sogar schwächer. „Diese neue Impfstoffgruppe überrascht, wie gut sie bei jungen Leuten anspricht“, sagt er. Er nennt sie nebenwirkungsarm. Laut Bauer hatten manche Kinder Fieber nach der Impfung. Dagegen habe es bei den Erwachsenen schon einige Fälle gegeben, die nach der Impfung ein bis zwei Tage im Bett lagen.
Ist die Mutter geimpft, erhält das Kind in den ersten Monaten nach der Geburt einen Schutz durch die Mutter. Die Antikörper gehen über die Plazenta von der Mutter zum Kind.Kinderarzt
Bei Moderna laufen zurzeit Untersuchungen für einen Impfstoff für Kinder ab sechs Monaten. „Wenn der Impfstoff gut vertragen wird, spricht nichts dagegen, diesen auch mit sechs Monaten zu verimpfen“, sagt Bauer. Das Immunsystem in diesem Alter stecke das genauso gut weg wie das eines Kindes mit zwei Jahren. „Ist die Mutter geimpft, erhält das Kind in den ersten Monaten nach der Geburt einen Schutz durch die Mutter. Die Antikörper gehen über die Plazenta von der Mutter zum Kind“, erklärt Bauer. Dadurch wird das Kind geschützt. Somit mache es Sinn, ab sechs Monaten mit den Impfungen zu beginnen, nicht früher, sagt der Arzt.
Wo aber sollte man die Impfungen für Kinder und Jugendliche verabreichen? Kinderarzt Dr. Bauer nennt drei Möglichkeiten. Das sind einerseits die bereits bestehenden Impfzentren. Diese könnte man seiner Meinung nach für Kinder entsprechend anpassen. Als zweite Möglichkeit nennt der Arzt mobile Impfteams, wie sie auch in Alters- und Pflegeheimen eingesetzt wurden. Diese Teams könnten in die Schulen gehen und die Kinder dort impfen. Die dritte Möglichkeit wären Kinder- und Hausarztpraxen.
Nur geringe Nebenwirkungen
Impfungen in den Schulen anhand mobiler Teams hätten laut Bauer prinzipiell immense Vorteile für die Kinder. Technisch gesehen wäre dies die praktischste Lösung, weil sich die Kinder eh in der Schule befinden. Die Schüler könnten geschlossen als ganze Klasse geimpft werden. Die Kinder wären nicht einen ganzen Tag, sondern nur eine Stunde damit beschäftigt, sagt er. Diese Variante habe allerdings einen großen Nachteil. „Da es sicherlich Eltern gibt, die ihre Kinder nicht impfen lassen wollen, könnten diese Kinder schnell stigmatisiert werden“, sagt er. Sie müssten sich quasi in die Ecke stellen und wären ausgeschlossen. Die anderen Impfmöglichkeiten wären anonymer, so der Arzt.
Sollte man die Impfung bei jungen Menschen nun eher als individuellen Schutz für sich selbst oder aber als gesellschaftliche Pflicht sehen, um schneller eine Herdenimmunität zu erreichen? „Beides ist richtig und hat seinen Stellenwert“, so der Kinderarzt. „Jeder Elternteil wird das wahrscheinlich auch anders interpretieren und sieht in erster Linie den Schutz für sein Kind. Ich will auch, dass meine Kinder geschützt sind.“ Er selber würde seine Kinder sofort impfen, wenn er die Möglichkeit dazu hätte. „Ich sehe nur geringe Nebenwirkungen“, sagt er.
Wenn wir die Kinder nicht impfen, können wir nicht zu einer Herdenimmunität kommen.Kinderarzt
„Wenn wir die Kinder nicht impfen, können wir nicht zu einer Herdenimmunität kommen“, sagt er. Ob dieses Ziel mit der Impfung zu erreichen ist, kann er allerdings auch nicht sicher sagen. Man hält das für wahrscheinlich. Niemand könne in die Zukunft blicken. Die ursprünglich angedachte nötige Quote von 70 Prozent Geimpften sei durch die Verbreitung der neuen infektiöseren Varianten auf etwa 80 bis 85 Prozent gestiegen. „Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wenn man die Kinder nicht impft, kann man dieses Ziel nicht erreichen. Dann wird es immer wieder kleine Cluster geben.“
Ich sehe in meiner Praxis viele Kinder, die nicht so sind, wie ich sie vorher kannte, weniger lebendig, in sich zurückgezogenKinderarzt
In deutschen Medien haben sich mittlerweile heftige Diskussion zum Pro und Kontra der Impfungen bei Kindern und Jugendlichen ausgebreitet. Die Ständige Impfkommission (Stiko) gibt sich dabei aktuell sehr zögerlich, was das Impfen für junge Menschen angeht. Die Impfkommission sieht die Sinnhaftigkeit einer solchen Impfung höchstens bei vulnerablen Kindern. Dr. Bauer erklärt, dass die Stiko so zögerlich sei, weil es bisher nicht viele Daten gibt. „Die Stiko will alles wissenschaftlich wasserdicht machen“, sagt er. „Ich denke aber, das kriegt man gar nicht hin.“
Eltern haben viele Fragen
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, aber die Biologie ist trotzdem die gleicheKinderarzt
Für den Kinderarzt ist es wichtig, die Problematik im Ganzen zu betrachten. „Ich sehe in meiner Praxis viele Kinder, die nicht so sind, wie ich sie vorher kannte, weniger lebendig, in sich zurückgezogen.“ Bauer spricht von Depressionen und Vereinsamung bei Kindern. Die Impfungen sieht er als Ausweg, trotz fehlender harter Daten. Man müsse auch ein wenig nach Gefühl gehen und nicht rein mathematisch, sagt er. „Sonst sind wir auch in zehn Jahren noch nicht fertig mit der Entscheidungsfindung.“ Für Bauer ist es ein gutes Vorgehen, zu schauen, wie die Impfungen bei den Erwachsenen verlaufen sind. Sehr seltene Nebenwirkungen könne man natürlich bei 30.000 bis 50.000 geimpften Dosen vor der Zulassung nicht feststellen, sagt er. Man könne aber Einschätzungen dazu machen. Mit den Messenger-RNA-Stoffen sind inzwischen mindestens 100 Millionen Impfungen pro Typ verabreicht worden, sagt Bauer. „Da hat man schon eine ganz gute Orientierung. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, aber die Biologie ist trotzdem die gleiche“, sagt er. „Da ist nichts Wesentliches zu erwarten.“ Er könne allerdings keine Hand ins Feuer legen, dass nicht doch etwas bei den Kinderimpfungen anders läuft.
Bauer sagt, dass Eltern zu diesem Thema viele Fragen haben. Für ihn ist es wichtig, sie über das Pro und Kontra der Impfungen aufzuklären. „Wer die Entscheidung für sein Kind trifft, dem kommt nochmals eine ganz andere Verantwortung zu“, sagt er. „Ich sage den Eltern, dass die Impfung ein gewisses Risiko birgt, das nicht gleich null ist. Aber ich erachte dieses Risiko als sehr gering.“ Manche Eltern sagen dem Kinderarzt, dass sie ihr Kind nicht impfen lassen wollen. Diese Eltern sehen nur ihr Kind, was er sehr gut nachvollziehen kann und auch akzeptiert. Dennoch findet der Arzt es wichtig, die Eltern auch darüber aufzuklären, dass es nicht nur um ihr Kind, sondern auch um die Gesellschaft geht. „Beides ist wichtig, aber das Risiko liegt nur beim Kind.“
Für eine Impfpflicht, insbesondere bei Kindern, sieht Bauer keine Notwendigkeit. Zumindest nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Da müsse schon viel passieren. Niemand wisse, ob wir diese Pandemie definitiv in den Griff bekommen. „Ich bin da sehr zuversichtlich, dass wir das hinkriegen. In diesem Fall macht Impfpflicht keinen Sinn“, sagt er. „Wenn wir das aber nicht erreichen, dann muss man schon darüber nachdenken, dass man ganz gezielt die Bevölkerung in kürzester Zeit auf alle möglichen Varianten impft, um das alles auszurotten.“ Nur dann mache eine Impfpflicht einen Sinn. Er nennt das Beispiel der Pocken, wo es in den 1970er Jahren eine Impfpflicht gab. „Das war das letzte Mal, dass es hier in Luxemburg eine Impfpflicht gab“, sagt er. „Bei der Infektiösität, wie sie zurzeit beim Coronavirus vorliegt, sollte man mit der bisherigen Impfstrategie erfolgreich sein“, so der Arzt.
Ich hatte dieses Jahr einen einzigen GrippefallKinderarzt
Die Corona-Maßnahmen wie Maske und Abstand haben im vergangenen Winter dazu geführt, dass es kaum Infektionen mit der Grippe gab. „Ich hatte dieses Jahr einen einzigen Grippefall“, sagt er. Da habe ihn das Labor persönlich angerufen. Auch dort sei es der erste Grippefall gewesen. In den Jahren vor der Pandemie hatte Bauer in den Monaten Januar und Februar täglich drei Kinder mit Grippe in der Praxis. Er führt dies auf die Anti-Covid-Maßnahmen zurück. „Das hat Vorteile, aber auch Nachteile“, sagt er. Die Kinder waren den üblichen Viren nicht ausgesetzt und das kindliche Immunsystem konnte folglich auch nicht darauf reagieren. Das kommt noch nach. Bauer rechnet mit einer deutlich gesteigerten Zahl an Erkältungsfällen im nächsten Winter, vorausgesetzt, die Corona-Maßnahmen verschwinden. Bei Kindern, die Erkältungssymptome zeigen, könne man befürchten, dass sie sich mit Covid-19 infiziert haben. Bei geimpften Kindern könne man dies in der Regel ausschließen.
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Loost ‚t Fanger vun de Kanner [redigiert]
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