Teil 2: Erklärungen von Virologe Muller / Wie sinnvoll Schnelltests in der Schule sind
Seit vergangener Woche werden alle Schüler und Lehrer in Luxemburg einmal die Woche mit einem Schnelltest auf das Coronavirus getestet. Wie sinnvoll und wie zuverlässig sind solche Tests? Das Tageblatt hat Prof. Dr. Claude Muller, Virologe am LIH, mit geläufigen Meinungen über die Schnelltests konfrontiert.
Schnelltests haben keinen guten Ruf. Sie gelten allgemein als unzuverlässig im Vergleich zu normalen PCR-Tests. Letztere sind so etwas wie der Goldstandard beim Testen von Sars-CoV-2 geworden. Viele Leute betrachten Schnelltests als überflüssig oder sehen durch ihren Einsatz zusätzliche Gefahren, weil man sich nach einem solchen Test in falscher Sicherheit wägen könnte. Nach einer Pilotphase vor den Osterferien hat das Bildungsministerium den Einsatz solcher antigener Schnelltests nun flächendeckend in sämtlichen Bildungseinrichtungen des Landes eingeführt. Vergangene Wochen haben die Schüler einen Testkit mit nach Hause bekommen. Ab dieser Woche testen sich die Schüler in ihrer Klasse selbst damit.
Claude Muller, Virologe am LIH (Luxembourg Institute of Health), sagt gegenüber Tageblatt, dass Schnelltests immer wieder schlechtgeredet werden. Stattdessen sollte genau geschaut werden, welches Potenzial in ihnen steckt. Er ist der Meinung, dass solche Schnelltests durchaus selber von den Kindern durchgeführt werden können. Dazu brauche es kein hochqualifiziertes Personal, sagt er. „Es ist im Prinzip eine sehr einfache Sache. Es ist nichts, was wehtut oder gefährlich ist“, so der Virologe. Für ihn erfolgt die Einführung solcher Schnelltests viel zu spät. „Erst jetzt fangen wir an, sie systematisch in den Schulen und anderen Stellen zu benutzen“, sagt er. Dabei gibt es sie schon ziemlich lange.
Während der Pandemie ist das Prinzip, dass man sich so verhalten muss, als wäre das Gegenüber Virus-positiv. Corona-positive Personen sind positiv, ob sie getestet sind oder nicht. Und sie werden durch den Test auch nicht infektiöser.Virologe am LIH
Muller versteht nicht, wieso manche davon ausgehen, dass es ein großes Problem ist, wenn ein Schnelltest positiv ausfällt. „Die Leute fragen: Was machen wir dann? Mit dieser Frage wird versucht, Stimmung gegen die Schnelltests zu machen,“ Apothekenvertreter haben sich laut Muller gar aus der Verantwortung zum Mitmachen gestohlen, indem sie behaupteten, die Apotheke müsste anschließend zugemacht und grund-desinfiziert werden. „Völliger Unsinn! Es gehen tagtäglich in den Apotheken Kunden ein und aus, die Corona-infiziert sind“, sagt Muller. „Während der Pandemie ist das Prinzip, dass man sich so verhalten muss, als wäre das Gegenüber Virus-positiv. Corona-positive Personen sind positiv, ob sie getestet sind oder nicht. Und sie werden durch den Test auch nicht infektiöser.“ Durch den Test wisse man lediglich, dass die Person tatsächlich positiv ist, und kann zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um die Person zu isolieren. „Wissen ist also besser als Nichtwissen“, sagt Muller.
Immer wieder fällt in Gesprächen über Schnelltests der Begriff „falsche Sicherheit“. Muller weist darauf hin, dass keine der Maßnahmen, die wir ergreifen, perfekt ist, und das weiß mittlerweile jeder. „Mit dem gleichen Argument könnten wir auch andere Maßnahmen ablehnen“, sagt er. Dabei handele es sich bei den Schnelltests nicht um eine falsche Sicherheit, sondern um eine zusätzliche Sicherheit. „Wenn jemand positiv getestet wird, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass er tatsächlich auch positiv ist“, so der Virologe. Dies gelte insbesondere, wenn Leute sich einen kleinen Vorrat an Tests angelegt haben und sich regelmäßig mit dem gleichen Produkt, also der gleichen Marke, testen. „Wenn der Schnelltest bei diesen Leuten immer wieder negativ ausfällt und dann einmal positiv ist, dann ist es sehr, sehr wahrscheinlich, dass sie auch wirklich positiv sind.“ In diesem Fall gebe es kein Problem mehr mit falsch-positiven Resultaten, so der Virologe. Die Rate an falsch-positiven und an falsch-negativen Tests entspreche wissenschaftlich ausgedrückt der Spezifität bzw. der Sensitivität.
Schnelltests detektieren Infizierte mit hoher Viruslast
Muller erklärt, dass manche Menschen in ihrem Blut Antikörper haben können, die im Schnelltest kreuzreagieren. In diesem Fall könnte ein Schnelltest bereits beim ersten Mal (und den darauffolgenden Malen) positiv ausschlagen, auch wenn die Testperson negativ sei. Das wäre dann falsch-positiv. Ist ein Schnelltest zunächst negativ und schlägt irgendwann positiv aus, könne man solche kreuzreagierenden Antikörper ausschließen und das Resultat ist tatsächlich positiv. Allerdings gibt es laut Muller noch weitere Faktoren, die ebenfalls zu einer unspezifischen Reaktion führen können. Die kreuzreagierenden Antikörper seien aber ein wichtiger Faktor, der im oben genannten Fall wegfällt.
Laut Herstellerangaben weist das nun in Luxemburgs Schulen zum Einsatz kommende Produkt der Marke „Beijing Lepu Medical Technology“ eine Spezifität von 99,26 Prozent auf. Das heißt, dass auf hundert Negative tatsächlich 99,26 als Negativ diagnostiziert werden. Bei weniger als einem Prozent der Negativen wird demnach ein falsch positives Resultat angegeben.
Neben der Spezifität gilt als weiteres Kriterium für die Zuverlässigkeit eines Produktes die Sensitivität. Diese liegt laut Angaben des Herstellers bei 92 Prozent. Das bedeutet, dass von hundert Infizierten acht nicht detektiert werden. Muller unterscheidet zwischen infiziert und infektiös. Ein PCR-Test könne vielleicht alle Infizierten detektieren, aber auch jene, die aufgrund einer niedrigen Viruslast nicht unbedingt ansteckend sind. Da der Schnelltest weniger empfindlich als der PCR-Test regiert, detektiert er in der Regel insbesondere Infizierte mit einer hohen Viruslast, also jene, die tatsächlich ansteckend sind. Trotzdem: Einige wenige, die ansteckend sind, werden übersehen.
Nach fünf Wochen wird in dieser Klasse ein Kind fälschlicherweise in Quarantäne geschickt. Ist das schlimm?Virologe am LIH
Das Wichtigste sei also, dass Schnelltests jene erwischen, die eine relativ hohe Viruslast haben, sagt Muller. Er nennt als Beispiel den Einsatz von Schnelltests am Eingang eines Altenheimes. Ein Schnelltest mit einer Sensitivität von rund 90 Prozent könne demnach am Eingang neun von zehn Infizierten abfangen. „Damit wäre sehr viel erreicht“, sagt Muller. Das Risiko wäre alleine durch diese Maßnahmen um den Faktor zehn reduziert. Die anderen Maßnahmen würden die eine von zehn Personen abfangen, die vom Schnelltest nicht erfasst wurden. Diese Person hat wahrscheinlich eher eine geringere Viruslast.
Muller würde Testverweigerer nach Hause schicken
Was die Spezifität betrifft, werde oft argumentiert, dass Schnelltests viele Falsch-Positive diagnostizieren. Es ist richtig, dass bei niedriger Inzidenz die Zahl der falsch-positiven zunimmt, sagt Muller. Das ist generell auch bei jedem anderen Labortest so. Bei einer Inzidenz von 0,7 auf Hundert und der genannten Spezifität von 99.3 Prozent ist die Hälfte der Positiven falsch-positiv, erklärt der Virologe. „Das hört sich nach viel an, ist es aber nicht.“ Er nimmt als Beispiel eine Schulklasse mit 20 Kindern, die sich einmal die Woche testen. Nach fünf Wochen habe man in dieser Klasse hundert Tests gemacht. Bei einer Spezifität von rund 99 Prozent wäre von hundert Tests einer falsch positiv. Muller resümiert: „Nach fünf Wochen wird in dieser Klasse ein Kind fälschlicherweise in Quarantäne geschickt.“ Er fragt: „Ist das schlimm?“ Nach spätestens zwei Tagen liegt ein PCR-Test vor und das Kind kann gegebenenfalls zurück in die Klasse.
Wer sich also hier außerhalb der Solidaritätsgemeinschaft stellt, kann damit im Homeschooling weitermachenVirologe am LIH
Muller würde es zudem vorziehen, dass Schüler zweimal pro Woche getestet würden. Er kann auch die Nachsicht mit den Schülern bzw. Eltern nicht verstehen, die ihre Kinder nicht testen lassen. „Dieser Test ist nicht invasiv oder irgendwie gefährlich und bietet einen hohen zusätzlichen Schutz für die Klassenkameraden und deren Eltern“, sagt er. „Wer sich also hier außerhalb der Solidaritätsgemeinschaft stellt, kann damit im Homeschooling weitermachen.“ Distanzunterricht ist für Muller zumutbar; andere wissentlich durch das Risiko einer Infektionskrankheit mit unklarem Ausgang zu gefährden, ist für ihn nicht zumutbar.
Das Problem von Niesattacken beim Einführen eines Wattestäbchens in die Nase kennt Muller. Kann die Testaktion in einer Klasse auf diese Weise gar zum Superspreading-Event degenerieren? Der Experte erklärt, dass man der Gefahr von Niesattacken entgegenwirken kann, indem man ein Taschentuch an den Stil des Stäbchens hält, wenn man es einführt. Danach müsse man sich die Hände waschen. Muller lässt das Niesen nicht als Gegenargument gelten.
Für den Virologen aus dem LIH sei es zu einfach, zu behaupten, dass Schnelltests unzuverlässig seien. „Das haben wir damals auch bei den Masken gehört.“ Schnelltests werden seit langer Zeit in vielen Ländern gegen unterschiedliche Infektionskrankheiten eingesetzt. Tatsächlich waren die ersten Antigen-Schnelltests für Sars-CoV-2 weniger gut, gibt Muller zu. „Es ging mehr um Schnelligkeit auf dem Markt als um Qualität. Aber die Schnelltests haben bereits seit Monaten eine gute Qualität.“
Muller geht sogar so weit, dass er die Schnelltests als Gamechanger gegen steigende Infektionszahlen betrachtet. Denn die Tests seien vergleichsweise günstig und könnten mit ihrer einfachen Handhabung oft und regelmäßig eingesetzt werden. Dadurch könne man punktuell zu mehr Normalität zurückkehren. Neben dem Einsatz in den Schulen sieht es Muller als sinnvoll an, sie ebenfalls bei Veranstaltungen, Sammelunterkünften oder zulässigen privaten Besuchen einzusetzen.
Teil 1 am Mittwoch
Im ersten Teil (Mittwochsausgabe) hat das Tageblatt einer Schülerin beim Schnelltest über die Schulter geschaut und mit dem Präsidenten der Nationalen Elternvertretung, Alain Massen, gesprochen. In diesem zweiten Teil haben wir uns mit Claude Muller, Virologe am LIH, über die Sinnhaftigkeit und die Zuverlässigkeit von Schnelltests unterhalten.
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