Forschung / Wie Studierende aus Luxemburg Gehirnzellen zur Raumstation schicken
Studierende der Universität Luxemburg bereiten sich darauf vor, im Labor entwickelte 3D-Zellkulturmodelle des menschlichen Mittelhirns in das Weltall zu schicken. Eine aufregende Gelegenheit, über die sich das Tageblatt mit einigen von ihnen unterhalten hat.
Worum geht es? Eine Gruppe von Studierenden hat sich für ein ganz besonderes Experiment entschieden. Sie wollen Gehirnzellen, die sie im Labor anhand von sogenannten „induzierten pluripotenten Stammzellen“* entwickelt haben, auf die internationale Raumstation schicken, um zu untersuchen, wie sie sich dort in der Mikro-Gravitation entwickeln.
Üblicherweise werden solche Zellen in der medizinischen Forschung benutzt, um Krankheiten wie Parkinson zu untersuchen. Doch mit den im Labor auf der Erde kultivierten 3D-Zellkulturmodellen des menschlichen Mittelhirns, auch Organoide genannt, sind die Forschenden nicht zufrieden. Sie wachsen zum Beispiel dichter zusammengepackt als in einem echten Gehirn. Die Studierenden wollen testen, ob dies verhindert werden kann, wenn die Zellen in der nahezu Schwerelosigkeit der Weltraumstation wachsen. Bei einer Schwangerschaft befindet sich das sich entwickelnde Gehirn in einem freischwebendem Zustand. Die Forscher vermuten, dass die Schwerelosigkeit diesen Zustand besser nachahmen kann, als es im Labor auf der Erde möglich ist.
Bei diesem Projekt – das den klingenden Namen „Brains“ trägt – arbeiten die Studierenden fächerübergreifend. Zum einen sind in ihrer Gruppe Studierende aus dem Biomedizin-Institut LCSB, zum anderen aus der Hightech-Schmiede der Uni, dem Institut SnT. Die Weltraumrobotik-Experten des SnT sind für die technische Seite des Experimentes zuständig – also dafür, die Zellen in speziellen von den Studierenden angefertigten Zellkultur-Boxen zu verpacken und automatische Messungen während des ISS-Aufenthalts durchzuführen. Bei der Auswertung des Experiments soll auch Maschinenlernen (oft laienhaft als künstliche Intelligenz bezeichnet) eingesetzt werden. „In den letzten Jahren wird Künstliche Intelligenz in der Medizin und der Biologie oft eingesetzt, um Bilder (wie Röntgenaufnahmen, Scans von Gehirnen oder Mikroskop-Aufnahmen) zu untersuchen“, erklärt Doktorand José Ignacio Delgado Centeno. So können tausende Bilder in kürzester Zeit untersucht werden.
„Parallel dazu machen wir das gleiche Experiment hier unten auf der Erde“, erklärt die Master-Studentin Daniela Vega Gutiérrez. „So können wir diese Proben und die von der ISS vergleichen und herausfinden, ob es wirklich einen Unterschied in der Entwicklung gibt.“ Wenn das Experiment abgeschlossen ist, werden sie ihre Ergebnisse veröffentlichen.
Die Chance, dieses aufregende Experiment durchzuführen, erhalten die Studierenden, weil sie mit ihrem Experiment bei einem Wettbewerb von der Jury ausgewählt worden sind. Der „Überflieger-Wettbewerb“ wurde in diesem Jahr vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR), der Luxemburgischen Weltraumbehörde (LSA), der deutschen physikalischen Gesellschaft (DGP) und dem Start-up Yuri organisiert. „Unser Betreuer, Prof. Dr. Jens Schwamborn, hat uns darauf aufmerksam gemacht“, erzählt Doktorandin Elisa Zuccoli. Drei deutsche Gruppen und eine luxemburgische Gruppe wurden ausgewählt. Die Studierenden werden mit ihrem Experiment nicht alleine gelassen. Vielmehr arbeiten sie mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerlinnen aus der Raumfahrt eng zusammen, um technische Details abzuklären.
Straffer Zeitplan
Die Forschenden haben in den nächsten Wochen und Monaten einen straffen Zeitplan. Bis September 2022 müssen alle Vorbereitungen getroffen und die Gehirnzellen abflugbereit sein. Ende viertes, Anfang erstes Trimester 2022/23 dann tritt das Experiment von Florida aus seinen Flug ins Weltall an. Natürlich werden die Studierenden den Launch hautnah mitverfolgen. Das Experiment bleibt 30 Tage lang an Bord der ISS. Dann werden die Mittelhirnorganoide mit Chemikalien „fixiert“ und zur Erde zurückgebracht, um analysiert zu werden.
Es ist nicht das erste Experiment dieser Art. Zellkulturen wurden bereits öfters mit in die Schwerelosigkeit gebracht – auch Hirnzellen. „Der Hauptunterschied liegt darin, dass sie nicht 30 Tage im Weltall waren, um dort heranzuwachsen, sondern bereits fertig ins Weltall gebracht wurden, um zu beobachten, wie sie dort altern“, so Zuccoli.
In den letzten Jahren hat sich die Weltraumindustrie stark verändert. Anfangs war der Weltraum staatlichen/militärischen Programmen vorenthalten. Dann begannen die ersten semi-privaten und privaten Satellitenbetreiber wie SES ihre Fernseh- und Kommunikationssatelliten zu betreiben. Seit einigen Jahren mischen auch private Unternehmen wie SpaceX kräftig im Launch-Business mit und drücken dort die Preise. Heute können Studierende ihre Experimente zur ISS schicken. „Ich finde es großartig, wie wir heute die Funktionen eines Gehirnes nachahmen können. Und das Experiment jetzt zur ISS schicken zu können ist eine großartige Botschaft. Die Wissenschaft öffnet sich für jüngere Generationen und für eine breitere Öffentlichkeit“, sagt Delgado Centeno.
„Ich fand es erstaunlich, dass Studierende an solchen Wettbewerben teilnehmen können. Wir erhalten die Möglichkeit, die notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln, um etwas ins All zu schicken. Außerdem können wir auf die Unterstützung von Fachleuten in diesem Bereich zählen, die uns in einem so frühen Stadium unserer Laufbahn anleiten und beraten können. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Möglichkeit habe“, sagt auch Master-Studentin Aelyn Chong Castro in einem E-Mail-Austausch mit dem Tageblatt.
Ob das Space-Masterprogramm in Luxemburg für die Studierenden ein Risiko oder eine solide Berufswahl ist? „Für mich ist es eine solide Berufswahl“, so Chong Castro. „Ich wusste schon in jungen Jahren, dass ich in der Raumfahrtindustrie arbeiten wollte. Aber in Mexiko haben wir nicht so viele Möglichkeiten wie hier in Europa. Das ist einer der Gründe, warum ich hierherkommen wollte, um diesen Traum zu verfolgen.“ Trotzdem werde sie nicht in den Raumfahrtbehörden arbeiten können, bedauert sie, denn das sei nur für Menschen innerhalb der Europäischen Union möglich. Das Space-Masterprogramm der Uni erlaube ihr, nicht nur die fachlichen Kompetenzen zu erlangen, sondern auch Kontakte in der Raumfahrtindustrie in Luxemburg zu knüpfen.
* d.h. Gewebezellen werden von den Forschenden im Labor reprogrammiert, sodass sie wieder Eigenschaften von embryonalen Stammzellen vorweisen. (Eine genauere Erklärung gibt es z.B. bei science.lu unter diesem Link)
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