Home-Office / Wie Telearbeit den Alltag verändert
In den letzten Monaten haben viele Menschen erste Erfahrungen mit dem Home-Office gemacht – und dabei festgestellt, dass „Télétravail“ mehr Veränderungen mit sich bringt als nur eine Verlegung des Arbeitsplatzes. Eine Betroffene hat ihre Erfahrungen mit uns geteilt.
Nicht jeder Beruf kann im Home-Office ausgeführt werden. Man stelle sich einen Landwirt vor, der seine Kühe im Wohnzimmer melkt oder eine Chirurgin, die ihre Patienten in der heimischen Küche, zwischen Pasta und Schalotten, operiert. Fakt ist aber, dass viele Menschen, besonders in Luxemburg, einen Arbeitsplatz haben, für den sie nicht viel mehr als einen Computer, ein Telefon und eine stabile Internetleitung brauchen. So arbeiten zum Beispiel mehr als zehn Prozent der Arbeitnehmer in Luxemburg im Finanz- und Versicherungsgewerbe.
Jahrelang wurde von der Ausweitung des Home-Office gesprochen. Von einem „Recht auf Telearbeit“ ging die Rede. Vor den Nationalwahlen 2018 ging die Demokratische Partei des Premierministers so weit, zu behaupten, ein Gesetzesrahmen für die Heimarbeit sei eine der ersten Aufgaben, die eine neue Regierung nach der Wahl angehen müsse. Aber: Erst als 2020 das Coronavirus in Luxemburg ankam, platzte der Knoten. Für unzählige Arbeitnehmer, die zuvor jahrelang jeden Morgen und jeden Abend im Stau gestanden haben, um sich zu ihrer Arbeitsstätte zu begeben (und in die Obhut ihres Arbeitgebers), war es auf einmal möglich, von zu Hause aus zu arbeiten.
Arbeitsgesetz gilt auch zu Hause
Schnell beflissen sich Experten, hilfreiche Tipps zu geben, wie die Telearbeit am besten gelingt. Einige Experten schlagen vor, man solle sich etwa auch im Home-Office so kleiden, als ginge man ins Büro. Am besten solle man noch dazu seinen Arbeitsplatz zu Hause vom privaten Bereich räumlich abgrenzen, was vielen Arbeitnehmern in Luxemburg wohl aufgrund der Immobilienpreise nicht möglich sein wird.
Aber schnell gab es auch die eine oder andere Kritik und Mahnung. So sorgte der CSV-Abgeordnete Laurent Mosar für Aufsehen mit seiner Forderung zur Begrenzung der Telearbeit. Er sah Gastronomiebetriebe durch das Home-Office in Gefahr. Der OGBL produzierte dagegen ein Video, in dem er – korrekterweise – daran erinnert, dass das Arbeitsgesetz auch im Home-Office gilt. Gesetzliche Arbeitszeiten dürfen auch zu Hause nicht überschritten werden und die Ruhezeiten müssen eingehalten werden. „Télétravail bedeutet nicht, dass der Arbeitnehmer 24/24 zur Verfügung steht“, heißt es in dem Video. Auch könne es nicht sein, dass der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer verlange, jeden Handgriff, den er tue, akribisch zu protokollieren – in normalen Zeiten würde so etwas nicht verlangt –, oder dass der Arbeitnehmer für sein Arbeitsmaterial aufkommen muss.
Was aber denken Arbeitnehmer, die in den letzten Monaten im Home-Office gearbeitet haben? Empfinden sie diesen Arbeitsmodus als neugewonnene Freiheit oder als Bürde? Jill Diederich arbeitet für eine luxemburgische Nichtregierungsorganisation. Vor der sanitären Krise spielte sich ihr Arbeitsleben vor allem im Büro ab, mit Arbeitszeiten, die ungefähr zwischen 8 Uhr morgens und 5 Uhr nachmittags lagen. Wenn sie nicht ins Büro ging, dann weil sie für die Organisation thematische Workshops mit Schulklassen betreute. Auch vorher schon hat sie hin und wieder Arbeiten von zu Hause aus erledigt, allerdings in einem viel kleineren Ausmaß als heute.
Die Arbeit im Home-Office bewertet sie positiv. Damit ist sie nicht allein. Die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter kann dem Home-Office etwas abgewinnen. Laut einer rezenten Statec-Studie sind 82 Prozent der Menschen damit zufrieden oder sogar sehr zufrieden.
Ausschlafen erlaubt
Als die Krise Luxemburg erreichte, ging alles sehr schnell. „Wir haben relativ direkt auf Home-Office umgestellt“, so die junge Frau, die zusammen mit ihrem Lebensgefährten im Norden des Landes lebt. So schnell wie der Wechsel des Arbeitsortes kam, kam auch eine Veränderung der Arbeitsgewohnheiten. „Generell stehe ich jetzt später auf. Ich bin kein Morgenmensch.“ Statt um 8 Uhr im Büro zu sein, steht sie heute um 8 Uhr erst auf und fängt um 9 Uhr an zu arbeiten. Statt bis 5 Uhr arbeitet sie in der Regel bis 6 Uhr. Hinzu kommt, dass sie seit März keine Schulklassen mehr besuchen kann, was vorher ein großer Teil ihrer Arbeit war.
Das Home-Office erlaubt es aber auch, flexibler mit den Arbeitszeiten umzugehen: „Ich arbeite vor allem abends sehr gut. Wenn ich tagsüber nicht weiterkomme, dann erledige ich die Arbeit abends.“ Dabei kämen auch schon einmal Arbeitszeiten von 9 Uhr abends bis 1 Uhr nachts zustande. Geraten die Arbeitszeiten aus dem Ruder? Laut Statec arbeiten Menschen im Home-Office im Schnitt 4 Stunden mehr in der Woche als ihre Kollegen (40 statt 36 Stunden). Sie arbeiten auch öfters abends und an den Wochenenden.
Die Arbeitszeiten im Blick zu behalten, falle ihr im Home-Office tatsächlich schwerer, gibt Diederich zu. Einen festen Block, in dem sie arbeitet, gibt es in ihrem Terminkalender nicht mehr. Oft habe sie am frühen Nachmittag ein Tief. Dann könne sie sich sowieso nicht auf die Arbeit konzentrieren und erledige eben Arbeiten im Haushalt. Dafür hänge sie dann am Abend zwei Stunden dran. „Für mich ist es schwer, das präzise zu trennen.“ Ob sie dadurch mehr arbeitet, kann sie nicht einfach beantworten. „Ich nehme mir morgens vor, was ich erledigen will, und höre auf, wenn das erledigt ist.“ Zum Anfang der Krise habe sie noch zu festen Zeiten gearbeitet. Das habe sie aber nach und nach aufgegeben. Generell sagt Diederich jedoch, dass sie zu Hause produktiver ist als im Büro.
Home-Office erschwert Teamarbeit
Auch wenn sie sich allgemein für das Home-Office ausspricht, sagt sie: „Ich fände es gut, wenn es einen Tag in der Woche gäbe, an dem jeder ins Büro geht.“ An diesem Tag könnten die Mitarbeiter ihre Arbeit aufeinander abstimmen. „Ich finde, das Home-Office erschwert die Teamarbeit“, sagt sie. Während im Büro einige Arbeitsschritte im Flur oder beim gemeinsamen Mittagessen geplant werden, muss jetzt aktiv Zeit für Besprechungen eingeplant werden und nachgehakt werden, wo die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit dran sind.
„Ich finde, flexible Arbeitszeiten sollten normalisiert werden“, so Diederich. Das erlaube es ihr zum Beispiel, (unter normalen Umständen) mittags ins Schwimmbad zu gehen oder mit Freunden, die weniger flexibel sind, weil sie Schichtdienst leisten, ein Eis zu essen und abends zu arbeiten. „Ich weiß, dass es Menschen gibt, die feste Arbeitszeiten brauchen“, schränkt sie ein. „Am Ende ist wichtig, was dabei herauskommt.“
Gewerkschaftler befürchten unter anderem, dass Arbeitgeber das Home-Office nutzen, um Arbeitnehmer, fernab jeder gewerkschaftlichen Kontrolle, dazu zu drängen, Überstunden zu machen, und dass das Arbeitsgesetz leichter übergangen werden kann.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos