Verbraucherschutz / Wie vertrauenswürdig sind Online-Bewertungen wirklich?
Miese Restaurants, anspruchslose Freizeitaktivitäten und qualitativ minderwertige Produkte – und das trotz Fünf-Sterne-Bewertungen im Netz. Dass Online-Bewertungen nicht immer ganz vertrauenswürdig sind, dürfte inzwischen den meisten Internetnutzern klar sein. Und das Problem spitzt sich immer weiter zu – auch Luxemburg bleibt nicht davon verschont. Die EU will dem mit strikten Sanktionen und mehr Transparenz entgegenwirken.
Das Zeitalter der Digitalisierung bietet den Vorzug, dass man sich problemlos und zu jeder Zeit online über praktisch alle Produkte und Dienstleistungen informieren kann. Indem man sich auf die Erfahrungen vorheriger Kunden stützt, kann man sich so vor bösen Überraschungen schützen. Das Problem: Es ist nicht klar, wer eigentlich hinter diesen Bewertungen steckt und wie sie zustande gekommen sind. Ein „Sweep“ des Netzwerks der europäischen Verbraucherschutzbehörden vom 20. Januar 2022 führte zu beunruhigenden Ergebnissen: Mindestens 55 Prozent der untersuchten Websites „verstoßen möglicherweise“ gegen die EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, heißt es in einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission. Bei weiteren 18 Prozent hegten die Behörden Zweifel.
Auch das Luxemburger Verbraucherschutzministerium hat sich an der Datenerhebung beteiligt und dafür sechs für luxemburgische Verbraucher wichtige Websites analysiert – fünf davon sind ausländische Plattformen, teilt die Luxemburger Konsumentenschutzvereinigung (ULC) mit. Insgesamt wurden aber 223 Webseiten unter die Lupe genommen, darunter Online-Shops, Marktplätze, Buchungswebseiten, Suchmaschinen und Preisvergleichsdienste, so das Schreiben der Europäischen Kommission.
Was sind „Sweeps“?
Unter dem Begriff „Sweep“ versteht man im EU-Jargon eine Reihe von Kontrollen, die gleichzeitig auf diversen Webseiten durchgeführt werden, um Verstöße gegen das EU-Verbraucherrecht in einem bestimmten Sektor festzustellen.
Bei 144 davon lasse sich nicht nachweisen, dass die Websites die Authentizität ihrer Bewertungen sicherstellen. Die Untersuchungen ergaben zudem, dass 104 dieser Webseiten ihre Verbraucher nicht darüber informieren, wie ihre Bewertungen gesammelt und verarbeitet werden, heißt es in der Mitteilung. Nur 84 würden diese Information auf der Bewertungsseite selbst zugänglich machen, die übrigen würden dies nur „in ‚Kleindruck‘, zum Beispiel in ihren Geschäftsbedingungen, erwähnen“.
Auf 118 der 223 analysierten Webseiten gebe es keine Informationen darüber, wie gefälschte Bewertungen verhindert würden. Demnach hätten Kunden keine Möglichkeit zu überprüfen, ob die Bewertungen auch tatsächlich von Verbrauchern verfasst wurden. Auf 176 Webseiten werde nicht erwähnt, dass Anreize für Bewertungen, beispielsweise finanzieller Natur, gemäß internen Regelungen verboten sind oder wie solche Bewertungen andernfalls gekennzeichnet werden.
Die Verbraucherschutzbehörden werden sich mit den betroffenen Händlern in Verbindung setzen und diese dazu bewegen, die Mängel auf ihren Internetseiten zu beheben, geht aus der Mitteilung der Europäischen Kommission hervor. Dass das Problem gekaufter und gefälschter Bewertungen dadurch gänzlich behoben wird, ist allerdings zu bezweifeln. Doch es ist ein nötiger Schritt für den Konsumentenschutz.
Ein markanter Einfluss auf das Kaufverhalten
Die ULC bedauert, dass das Verbraucherschutzministerium keine weiteren auf Luxemburg bezogenen Details zu dieser Untersuchung preisgibt, an der es sich beteiligt hat – vor allem da in Kürze neue europäische Bestimmungen zu Benutzerbewertungen und -empfehlungen in Kraft treten werden. Das entsprechende 100-seitige Gesetzesprojekt (Nr. 7904) liege der Chamber bereits vor – aber dazu später mehr.
Die Bedeutung von Nutzerbewertungen auf das Kaufverhalten von Konsumenten sollte jedoch nicht unterschätzt werden und wurde bereits von diversen Studien hervorgehoben. So zeigt eine gemeinsame Studie der Europäischen Kommission und Ipsos, eines der größten Marktforschungsunternehmen der Welt, inwiefern sich Konsumenten beim Kauf unterschiedlicher Produkte und Dienstleistungen auf Online-Bewertungen verlassen.
71 Prozent der Befragten berufen sich bei der Wahl ihrer Ferienunterkünfte auf Bewertungen aus dem Internet. Auch bei der Wahl einer Fluggesellschaft informieren sich Verbraucher anhand der Erfahrungen vorheriger Kunden (61 Prozent). 55 Prozent schauen sich Online-Bewertungen vor dem Kauf eines elektronischen Geräts an und 51 Prozent vor dem Buchen einer Pauschalreise oder von Touren. 47 Prozent der Umfrage-Teilnehmer orientieren sich bei der Gestaltung ihrer Freizeit an Online-Bewertungen.
Bei der Wahl von Banken (32 Prozent), Kleidung (31 Prozent), Versicherungen (29 Prozent) sowie Gas- (29 Prozent) und Elektrizitätsdienstleistungen (27 Prozent) spielen laut der Marktstudie Online-Bewertungen hingegen eine weniger wichtige Rolle.
Amazon reicht Klage ein
Die Bedeutung von Nutzerbewertungen für die Kaufentscheidungen werde laut der ULC durch eine Reihe an Klagen von Amazon gegen diverse Subunternehmer weiter verdeutlicht. So beschuldigte Amazon die Unternehmen AppSally und Rebatest, Verkäufer mit Internetnutzern in Kontakt zu setzen, die bereit sind, positive Bewertungen im Austausch für Produkte oder Geschenkgutscheine zu hinterlassen. Die Gerichtsverfahren wurden laut ULC am 22. Februar angekündigt, berichtete Le Monde.
Es gibt keinen Platz für gefälschte Bewertungen auf Amazon oder irgendwo sonst in der BrancheVizepräsident für Vertriebspartnerdienste bei Amazon
Die Beschwerde beschreibt ein ausgeklügeltes System: Händler, die auf Dienste für gefälschte Bewertungen zurückgreifen, senden leere Kartons an eingeweihte Komplizen-Kunden, um Amazons Verifizierungssystem zu umgehen, so Le Monde. Bewertungen können nämlich nur dann abgegeben werden, wenn tatsächlich auch ein Paket verschickt wurde. Händler würden sogar Fotos bereitstellen, die die „zufriedenen Kunden“ zusammen mit ihrer unweigerlich positiven Kritik veröffentlichen sollen. Laut dem Spiegel werden allerdings auch mit Produkten gefüllte Pakete versendet, die dann als Bezahlung für die positive Bewertung angesehen werden.
Ein wichtiger Teil der Amazon-Klage bezieht sich auf die Eigenvermarktung der beiden Unternehmen, schreibt Le Monde. So stell sich AppSally als „die perfekte Wachstumswaffe für Ihr Unternehmen“ dar und bietet laut eigenen Aussagen Dienstleistungen an, „die Ihnen helfen, Ihre Konkurrenten von Ihrem Schlafzimmer aus auszustechen“. Rebatest fällt hingegen nicht durch eine aggressive Eigenvermarktung auf, sondern vielmehr dadurch, dass das Unternehmen praktisch mit kostenlosen Produkten wirbt.
Amazon is filled with fake reviews and it’s getting harder to spot them. https://t.co/mRgnN5IwjV
— CNBC (@CNBC) January 2, 2021
Im Oktober hat Amazon in den USA zehn weitere Klagen eingereicht und will so gegen „bösartige Akteure“ vorgehen, die mehr als 11.000 Webseiten und Social-Media-Gruppen betreiben, um falsche Bewertungen auf E-Commerce-Plattformen zu hinterlassen, berichtete der Nachrichtendienst Businesswire. Zudem seien fünf in Deutschland ansässige Websites abgemahnt worden. Alle fünf Akteure hätten sich inzwischen mit der Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung dazu bereit erklärt, ihre Aktivitäten einzustellen.
„Amazon wird auch weiterhin unnachgiebig sein, wenn es darum geht, bösartige Akteure, die versuchen, den Missbrauch von Bewertungen zu betreiben, zu identifizieren und zu verfolgen. Es gibt keinen Platz für gefälschte Bewertungen auf Amazon oder irgendwo sonst in der Branche“, meinte Amazons Vizepräsident für Vertriebspartnerdienste, Dharmesh Mehta, im Businesswire.
Omnibus für mehr Transparenz
Omnibus-Richtlinie
Der Gesetzentwurf Nr. 7904, auch Omnibus-Richtlinie genannt, basiert auf der EU-Richtlinie 2019/2161. Der Entwurf liegt der Abgeordnetenkammer bereits vor und steht „kurz vor der Abstimmung“. Die Regelung kategorisiert das Kaufen beziehungsweise den Verkauf von Bewertungen, wodurch Betriebe sich einen ungerechten Wettbewerbsvorteil verschaffen können, „eindeutig als illegal“, teilt das Verbraucherschutzministerium auf Nachfrage des Tageblatt mit.
Mit der Annahme der Omnibus-Regelung werden die Artikel L. 122-3 & 122-4 des Luxemburger Verbrauchergesetzbuchs entsprechend angepasst. Dadurch erlangt das Ministerium unter anderem die Befugnis, einstweilige Verfügungen zu erlassen und Unterlassungsklagen anzustrengen. Zudem könnten gemeinsame Aktionen auf EU-Ebene vorgenommen werden.
Betriebe, die diese Dienste nutzen, könnten bereits in Ländern belangt werden, in denen die Richtlinie schon in Kraft getreten ist – insofern sich ihr Firmensitz auch in einem Land befindet, in dem die EU-Richtlinie eingeführt wurde.
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass, so verlockend es auch klingen mag, diese Praktiken höchst unethisch und zu verurteilen sind. Zudem machen sich Unternehmen strafbar, wenn sie solche Dienste in Anspruch nehmen. Bereits jetzt sieht das Verbrauchergesetzbuch Sanktionen vor, die dem Strafrichter vorbehalten sind, teilte das Verbraucherschutzministerium auf Tageblatt-Nachfrage hin mit. Unternehmen müssten derzeit mit Geldstrafen zwischen 251 und 120.000 Euro rechnen. Nach der Umsetzung der Omnibus-Richtlinie könnten sich diese auf maximal vier Prozent des Jahresumsatzes des betroffenen Unternehmens beziffern.
Das Verbraucherschutzministerium rät Verbrauchern, Bewertungen im Web generell vorsichtig gegenüber zustehen. Sollt der Verdacht bestehen, dass man auf eine falsche, beziehungsweise eine gekaufte Bewertung gestoßen ist, könne man diese dem Ministerium, der ULC oder dem Europäischen Verbraucherzentrum (EVZ) melden.
„Wenn ein Gewerbetreibender Zugang zu Produktbewertungen von Verbrauchern gewährt, gelten die Informationen, anhand derer festgestellt werden kann, ob und wie der Gewerbetreibende sicherstellt, dass die veröffentlichten Bewertungen von Verbrauchern stammen, die das Produkt tatsächlich verwendet oder gekauft haben, als wesentlich“, schreibt das Luxemburger Verbrauchergesetzbuch nach der Umsetzung der Omnibus-Richtlinie vor. Demnach sind Gewerbetreibende also nicht dazu verpflichtet, den Wahrheitsgehalt der Bewertungen zu überprüfen – es sei denn, sie behaupten explizit, dass die Meinungen von Verbrauchern stammen, die das Produkt tatsächlich verwendet oder gekauft haben, so die ULC.
Klare Angaben auf E-Commerce-Plattformen
Die Luxemburger Konsumentenschutzvereinigung nennt die Letzshop-Webseite als Paradebeispiel für die Umsetzung der neuen Regelungen. So wird in deren Allgemeinen Geschäftsbedingungen angeführt, dass Letzshop die Bewertungen nicht überprüft und keine Verantwortung für diese und deren Inhalt übernimmt. Zudem wird verboten, Unwahrheiten zu verbreiten, Produkte von Dritten bewerten zu lassen oder solche zu veranlassen – davon abgesehen, dass auf der Webseite praktisch keine Bewertungen zu finden sind.
Bei Amazon hingegen sollen laut eigenen Angaben wöchentlich über 30 Millionen Bewertungen eingehen, so die UCL. Der E-Commerce-Dienst soll angeblich weltweit über 10.000 Mitarbeiter und zusätzlich künstliche Intelligenz einsetzen, um Bewertungen vor ihrer Veröffentlichung zu analysieren. Amazon gibt folgende Informationen über ihre Bewertungen: „Um die Gesamtbewertung der Sterne und die prozentuale Aufschlüsselung nach Sternen zu berechnen, verwenden wir keinen einfachen Durchschnitt. Stattdessen berücksichtigt unser System beispielsweise, wie aktuell eine Bewertung ist und ob der Prüfer den Artikel bei Amazon gekauft hat. Es wurden auch Bewertungen analysiert, um die Vertrauenswürdigkeit zu überprüfen.“
Darüber hinaus beinhaltet Amazons Bewertungssystem gesponserte Bewertungen, die unter dem Namen Amazon Vine geführt werden. „Kunden werden anhand ihres Ansehens in der Amazon Community und aufgrund ihrer präzisen und nützlichen Rezensionen zur Teilnahme an Amazon Vine eingeladen“, heißt es auf der Webseite. Amazon stellt den Vine-Mitgliedern dann kostenlose Muster von Produkten zur Verfügung, die Anbieter zum Programm beigesteuert haben und bewertet werden sollen. Die Rezensionen der Vine-Mitglieder sind für alle Kunden optisch gekennzeichnet. Über ihre Gewichtung gegenüber anderen Bewertungen verliert Amazon allerdings kein Wort.
Diese zum Teil sehr allgemein gehaltenen Informationen entsprechen laut ULC nicht den neuen EU-Anforderungen. So müssten E-Commerce-Plattformen angeben, ob alle Bewertungen veröffentlicht werden, wie sie beschafft wurden und wie die durchschnittliche Bewertungsnote berechnet wird. Zudem müsste angegeben werden, ob die Noten durch gesponserte Bewertungen oder durch vertragliche Beziehungen mit den auf der Plattform vertretenen Gewerbetreibenden beeinflusst werden.
Today, we took action against fake review brokers across 10,000+ social media groups.
We stop millions of suspicious reviews before they’re ever seen by customers, and we hold fraudsters accountable for trying to evade our detections. https://t.co/k8BaVae3yx
— Amazon News (@amazonnews) July 19, 2022
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