Open Access / Wie Wissenschaft neue Wege geht
Der freie Zugang zur Forschung steht im Mittelpunkt eines Deals, den die Nationalbibliothek mit dem Verlagshaus Taylor & Francis geschlossen hat. Dem klassischen Geschäftsmodell der Wissenschaftsverlage geht es nach 250 Jahren an den Kragen.
Wissen ist eine der wertvollsten Ressourcen unserer Gesellschaft. Es hat die Eigenschaft, dass es nicht aufgebraucht wird, wenn es benutzt oder geteilt wird. Und durch das Internet ist der Zugang zu Wissen heute so einfach wie nie zuvor. Aber nicht immer …
Viel Wissen entsteht in der Forschung. Forschende ringen der Welt bei ihrer Arbeit Geheimnisse ab, die sie in ihren Fachaufsätzen niederschreiben und mit anderen teilen, damit diese sie prüfen, kritisieren, überarbeiten oder anwenden können. Diese Fachartikel stehen oft aber nicht gratis zur Verfügung, sondern hinter der Paywall der Wissenschaftsverlage. Immer mehr Menschen in der Wissenschafts-Community sehen darin ein Problem.
Beim klassischen Publikationsmodell von wissenschaftlichen Fachaufsätzen werden Steuerzahler gleich mehrfach zur Kasse gebeten. Erstens indem sie dabei helfen, die öffentliche Forschung an Universitäten oder an öffentlichen Forschungseinrichtungen, wie Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST), Luxembourg Institute of Health (LIH) oder Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser), zu finanzieren. Zweitens weil die Verlage die eingereichten Fachartikel unentgeltlich von Wissenschaftlern auf ihre Güte hin überprüfen lassen. Schließlich müssen Bürger ein drittes Mal bezahlen, wenn sie die Publikationen lesen wollen. Entweder direkt, durch das Abo einer Fachzeitschrift oder den Kauf eines einzelnen Artikels im Internet, oder indirekt, über eine mit Steuergeldern finanzierte Bibliothek.
35 Euro – für einen Artikel
Letzteres kann mitunter schwer zu Buche schlagen. Ein einzelner Artikel kann 35 Euro kosten. Für Studierende (aber auch für andere), die sich auf den neuesten Stand der Wissenschaft bringen müssen, ein nicht unwichtiger Kostenfaktor. Kein Wunder, dass wissenschaftliche Artikel heute in sogenannten Schattenbibliotheken im Internet gesammelt und geteilt werden, wie Musikdateien Ende der 90er Jahre. Die bekannteste unter ihnen ist die Plattform Sci-Hub, die für sich den Anspruch hat, Ungleichheit beim Zugang zu Wissen in der Welt zu bekämpfen. Eigenen Angaben zufolge versammelt die Seite fast 85 Millionen Fachaufsätze. Damit ist Sci-Hub den Verlagen ein Dorn im Auge.
Die Alternative zu dem klassischen Publikationsmodell heißt Open Access (OA) – öffentlicher Zugang. In diesem Modell werden die Artikel der Wissenschaftler gratis angeboten. Die Verlage finanzieren sich über unterschiedliche Geschäftsmodelle, aber in den meisten Fällen bezahlen die Forschenden eine Summe für die Publikation (und setzen sie auf die Spesenrechnung).
Weltweit geht der Trend hin zu OA. Auch in Luxemburg tut sich etwas. Auch weil der staatliche Wissenschaftsfinanzier „Fonds national de la recherche“ (FNR) angefangen hat, Gelder an die Bedingung zu knüpfen, dass Forschungsergebnisse OA veröffentlicht werden. Der FNR ist Mitglied einer Gruppe nationaler Forschungsförderer unterstützt von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Forschungsrat (cOAlition S), die sich für einen freien Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen einsetzt, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden. FNR-Direktor Marc Schiltz ist Aktivist auf diesem Gebiet.
Als weiterer wichtiger Player hat sich auch die Nationalbibliothek dem Thema längst angenommen. Vor kurzem teilte sie mit, dass sie mit dem britischen Verlag Taylor & Francis Group ein neues dreijähriges Abkommen unterzeichnet habe. Neben dem Zugang zu den Zeitschriften des Verlages für Bibliotheksnutzer wurde vereinbart, dass Wissenschaftler der Partner-Institutionen (Uni, LIH, LIST) bis zu einer festgelegten Obergrenze Artikel, ohne Verlagsgebühren zu zahlen, in den Open-Access-Publikationen des Verlagshauses veröffentlichen können.
Unvermeidliches Thema
Open Access sei seit einigen Jahren ein unvermeidliches Thema, erklären Patrick Peiffer und Juliane Schulze vom Konsortium der Nationalbibliothek im Gespräch mit dem Tageblatt. Ihre Abteilung verwaltet die Digitalbibliotheken der Nationalbibliothek und ihrer Partner. Durch diese Aufgabe hat die Abteilung gute Kontakte mit allen relevanten Verlegern.
Wie Juliane Schulze erklärt, hat die Politik des FNR durchaus einen Einfluss auf die Entscheidungen des Konsortiums. Der FNR betrachtet Zeitschriften, die nur einen Teil der Artikel OA anbieten (hybrid), kritisch und fördert Veröffentlichungen in solchen Blättern nur unter bestimmten Bedingungen. Durch das neue Abkommen mit der Nationalbibliothek erfüllt Taylor & Francis diese Bedingungen nun, erklärt Juliane Schulze.
Carolyn Kirby ist bei Taylor & Francis zuständig für Open Access. In einem E-Mail-Austausch mit dem Tageblatt sagt sie: „Wir wollen die größtmögliche Reichweite und Wirkung für die Forschung, die wir veröffentlichen, und ein Open-Access-Modell unterstützt dies. Die Forschung, die wir Open Access in Taylor&Francis-Zeitschriften veröffentlichen, erhält typischerweise über sechsmal mehr Downloads und 32% mehr Zitierungen als Abonnement-Artikel.“ Die veröffentlichten Artikel gewinnen also an Reichweite und Veröffentlichungen haben eine bessere Chance, in reale Ergebnisse umgesetzt zu werden, wenn sie politische Entscheidungsträger, Praktiker und andere, die in einem bestimmten Bereich forschen, erreichen, erklärt Kirby.
Für den Verlag bergen OA-Modelle aber auch Risiken. Im Idealfall hat eine Fachgemeinschaft ein starkes Interesse an Open Access, eine Finanzierung dafür und produziert genug Inhalte, um der Fachpublikation die Umstellung auf ein vollständiges Open-Access-Modell zu ermöglichen. „Was die Dinge schwieriger macht, ist, wenn wir eine Mischung aus Bereitschaft für Open Access und uneinheitlicher Finanzierung haben“, so Kirby. Dann müsste der Verlag auf eine Mischung verschiedener Publikationsmodelle zurückgreifen.
Öffentlicher Druck
Kirby glaubt, dass OA irgendwann das Standardmodell für wissenschaftliches Publizieren wird – wenn auch nur langsam. Und manchmal braucht es dafür einen Schubs in die richtige Richtung. Nach dem öffentlichen Druck auf die Verlage gefragt, sagt sie: „Wir nehmen kollektiv Änderungen an einem System vor, das seit fast 250 Jahren besteht. Das funktioniert am besten, wenn die verschiedenen Interessengruppen – akademische Einrichtungen, Verlage, Geldgeber – zusammenarbeiten, um Probleme oder Veränderungen im System anzugehen. Teilweise hat das die Herausforderung und den Druck von diesen Partnern gebraucht, was produktiv sein kann.“ Manchmal kann der Druck von außen aber auch problematisch sein, sagt die Verlagsmitarbeiterin. Zum Beispiel, wenn Druck ausgeübt wird, einen einzigen Ansatz in den teilweise sehr unterschiedlichen Forschungsbereichen mit ihren eigenen Finanzierungszwängen und Kommunikationsbedürfnissen umzusetzen.
Die Plattform Sci-Hub beschreibt sich selbst als Vertreterin des Open Access. Auf der Seite heißt es: „Open Access ist eine neue und fortschrittliche Form der wissenschaftlichen Kommunikation, die veraltete Subskriptionsmodelle ablösen wird. Wir stellen uns gegen unfaire Gewinne, die Verlage durch die Schaffung von Grenzen für die Wissensverbreitung einstreichen.“
Zu Schattenbibliotheken sagt Kirby: „Piratenplattformen, darunter auch Sci-Hub, stehlen und verbreiten Forschungsarbeiten von Verlagswebsites, oft unter Verwendung gestohlener Benutzeranmeldeinformationen, die sie auf verschiedene Weise erhalten, darunter auch durch Phishing. Nach Angaben der Washington Post hat das US-Justizministerium gegen die Gründerin von Sci-Hub, Alexandra Elbakyan, wegen Verbindungen zwischen ihr und dem russischen Geheimdienst ermittelt.“ Demnach soll Elbakyan ihre mutmaßlichen Hackerfähigkeiten in den Dienst des GRU gestellt haben, um US-Militärgeheimnisse von Rüstungskonzernen zu stehlen. Elbakyan streitet die Vorwürfe ab.
Patrick Peiffer von der Nationalbibliothek denkt bereits viel weiter als OA. Das große Ziel, auf das hingearbeitet werde, sei eine offene Wissenschaft – die sogenannte Open Science. Das bedeutet, dass Wissenschaftler mehr Informationen rund um ihre Arbeit teilen, damit die Ergebnisse für andere besser nachvollziehbar und reproduzierbar sind. Heute sei es bereits Standard, dass Forschende mitteilen, welche Software sie im Rahmen ihrer Arbeit verwendet haben und gesammelte statistische Daten (falls es solche gibt) mitliefern. In Zukunft aber, so Peiffer, soll sich die wissenschaftliche Kommunikation weiter öffnen. Wissenschaftler sollen zum Beispiel bereits im Vorfeld ihrer Arbeit veröffentlichen, was genau sie vorhaben und wie sie vorgehen wollen. Dadurch wird verhindert, dass die Fragestellung einer Arbeit im Nachhinein so zurechtgebogen wird, dass sie zu den Forschungsergebnissen passt, erklärt Peiffer. Open Access, sagt er, sei nur ein kleines Rädchen in dieser großen offenen Wissenschaft der Zukunft.
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