Interview / „Wir bewegen uns im grünen Bereich“: Gesundheitsministerin Paulette Lenert über die aktuelle Lage der Pandemie
Der dritte Corona-Winter steht vor der Tür. Doch ein Ende der Pandemie könnte in Sicht sein, das hofft zumindest die Weltgesundheitsorganisation. Gleichzeitig warnt die Behörde vor vorzeitiger Euphorie. Gesundheitsministerin Paulette Lenert beteiligte sich zu Beginn der Woche an der mehrtägigen Konferenz des regionalen Komitees der WHO für Europa. Das Tageblatt hat am frühen Mittwochnachmittag kurz vor ihrem Rückflug nach Luxemburg mit ihr telefoniert und über eine mögliche Herbstwelle, die Impfkampagne und ihre persönliche Bilanz der Pandemie gesprochen.
Tageblatt: In Deutschland erwartet der Gesundheitsexperte Christian Drosten eine Corona-Welle noch vor diesem Dezember. Im vergangenen Jahr wurde Luxemburg von der Herbstwelle auf dem falschen Fuß erwischt. Ist man in diesem Jahr besser vorbereitet?
Paulette Lenert: Es werden weitere Coronawellen in diesem Jahr vorausgesagt, doch keiner kann genau sagen, ob, wann oder in welchem Ausmaß. Aber wir sind vorbereitet. Oder besser gesagt: Wir sind ein eingespieltes Team, nach zwei Jahren Pandemie.
Die Überwachungsmechanismen laufen weiter, die haben wir auch nicht zurückgefahren. Damit meine ich zum Beispiel die Abwasserauswertungen, die Sequenzierung der Proben durch das LNS, das Monitoring unserer Indikatoren wie die Anzahl der verfügbaren Betten in den Krankenhäusern und die Reproduktionsrate. Außerdem sind die Werkzeuge, die wir gegen Corona einsetzen, weiterhin verfügbar. Die sanitäre Reserve ist bereit, falls wieder mehr Leute gebraucht werden. Beispielsweise, um das Contact Tracing kurzfristig hochzufahren, wenn die Fallzahlen wieder steigen würden.
Wir haben ausreichend Medikamente und Impfstoffe in unseren Reserven und die Impfkampagne im Herbst wird bald anlaufen. Das Impfzentrum in der Victor-Hugo-Halle ist bereits geöffnet und weitere Impfzentren können bei Bedarf ebenfalls wieder eingerichtet werden. Die „Maisons médicales“ sind überdies drauf vorbereitet, zur Not als Covid-Zentren zu funktionieren. Und auch unsere Kommunikation ist bereit, die Informationskampagnen wieder zu verstärken. Kurzum: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.
Das war jetzt eine lange Liste. Beginnen wir konkret bei den verfügbaren Impfstoffen: Sind die 43.200 Dosen des neuen Pfizer- und die 42.600 Dosen des neuen Moderna-Impfstoffs, die für diese Woche erwartet wurden, angeliefert worden?
Sie sind angekommen und es werden weitere Lieferungen noch im September erwartet, sodass wir diese Impfstoffe zeitnah einsetzen können.
Zeitnah heißt? Im kommenden Monat?
So schnell wie möglich. Sobald wir die Empfehlungen des „Conseil supérieur des maladies infectieuses“ (CSMI) haben, können die neuen Dosen verimpft werden. Laut meinen Informationen dürften wir am 19. September den „Avis“ bekommen und dann können wir loslegen.
Welche Impfstrategie verfolgt Luxemburg denn nun in diesem Herbst? Insbesondere für die Menschen, die nicht in die beiden inzwischen schon eingeladenen Gruppen (Personen über 60 Jahre oder mit Risikofaktoren) fallen. Müssen wir uns darauf einstellen, alle einen Booster-Shot zu bekommen?
Da werden wir uns an die Empfehlungen der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) halten. Sollte die Behörde eine Booster-Impfung für weitere Altersgruppen empfehlen, gehe ich davon aus, dass unsere nationalen Institutionen, wie bisher auch, dies umsetzen werden. Bisher allerdings gibt es keine neuen Impulse und wir warten auf eine richtungsweisende Mitteilung.
Wie ist es mit den mobilen Einheiten in den Alters- und Pflegeheimen?
Unsere mobilen Impfteams kamen bei der jüngsten Runde an Booster-Impfungen in den Alters- und Pflegeheimen zum Einsatz. Da nun auch die Grippe-Impfungen im Herbst anstehen, die von den Allgemeinärzten in den einzelnen Häusern verabreicht werden, können wir die beiden Impfungen kombinieren. Diese Impfungen sollen nun auch bald beginnen. Aber unsere mobilen Einheiten können, falls Bedarf besteht, zusätzlich beigeschaltet werden.
Die Victor-Hugo-Halle ist derzeit wieder als Impfzentrum im Einsatz. Braucht Luxemburg künftig ein eigenes nationales Impfzentrum, das ständig verfügbar ist?
Nein, das glaube ich nicht. Mit den provisorischen Impfzentren im Land haben wir gut funktioniert, auch weil die Erreichbarkeit gegeben war. Aber auf Dauer brauchen wir diesen Aufwand nicht. Wir sind aktuell in einer Pandemie, da müssen wir das Mehraufkommen durch die Zentren auffangen. Im Normalfall aber ist die Notwendigkeit schlicht nicht gegeben. Da reichen die Hausärzte als Ansprechpartner für die Impfungen.
Sie haben vorhin schon die Belegung der Krankenhausbetten, insbesondere auf den Intensivstationen, als Indikator angesprochen. Laut den aktuellsten Zahlen Ihres Ministeriums scheint es ruhig zu sein …
Absolut. Wir konnten in diesem Sommer feststellen, dass trotz der zirkulierenden Variante kaum Druck auf unseren Betten lastete. Wir haben im Hintergrund natürlich immer noch den Stufenplan, der für den Notfall bereitliegt. Doch wir bewegen uns bisher im grünen Bereich.
Luxemburg setzt weiter auf Contact Tracing. Wie viele Menschen sind hier immer noch im Einsatz?
Momentan haben wir rund 100 Verträge mit verschiedenen Personen für das Contact Tracing. Die Verträge sind aber ganz flexibel, sodass wir im Ernstfall wieder hochfahren können. Es ist unser Anspruch, alle positiv Getesteten persönlich anzurufen, weil wir einfach merken, dass es ein guter Weg ist, sie noch mal zu sensibilisieren. Zu verdeutlichen, wieso es wichtig ist, die Isolierung einzuhalten, und auf was man achten soll. Momentan kann die Mannschaft etwa 200 Anrufe am Tag stemmen und das wollen wir auch so beibehalten, solange wir das Budget haben.
Beim Contact Tracing kamen auch externe Arbeitskräfte dazu. Die wurden beispielsweise bei Luxair rekrutiert, um dem Unternehmen während der Krise auszuhelfen. Laufen solche Verträge noch?
Ich glaube, wir haben immer noch Leiharbeitskräfte im Einsatz. Zehn davon von der Luxair. Die Restlichen haben meist einen zeitlich befristeten Arbeitsvertrag.
Bisher war immer etwas unklar, wie viel das Contact Tracing die Regierung eigentlich kostet.
Das ist unterschiedlich. Das kann ich Ihnen jetzt nicht so genau sagen. Das sind aber immer noch laufende Kosten. Es ist eben noch Pandemie.
Wie ist es mit den Corona-Medikamenten? Hat das Gesundheitsministerium eine Übersicht, wie oft diese verschrieben werden?
Genaue Zahlen kann ich Ihnen jetzt nicht nennen. (Lenert berät sich im Hintergrund kurz mit Santé-Direktor Jean-Claude Schmit.) Im Moment werden die Medikamente relativ wenig verschrieben. Da die Santé die Medikamente verteilt, haben wir einen Überblick darüber.
Wie beurteilen Sie die allgemeine Einstellung der Bevölkerung gegenüber der Pandemie? Die Masken sind ja schließlich komplett aus dem Alltag verschwunden, es kommen wieder größere Menschenmassen zusammen und die Quarantäneregeln sind deutlich gelockert.
Wenn keine Variante kommt, die wieder stärker krank macht – und das können wir nicht voraussehen, könnte aber jederzeit eintreten –, sind die aktuellen Maßnahmen ausreichend. Doch sollte der Fall eintreten, dass wieder eine schlimmere Variante aufkommt, gegen die die Impfungen weniger Wirksamkeit zeigen, müssen wir wieder mehr Vorsicht walten lassen. Auch hier haben wir einen Notfallplan mit strengeren Einschränkungen. Den brauchen wir momentan noch nicht. Doch ich gehe persönlich davon aus, wenn es so weit kommen sollte, dass die Menschen gelernt haben, damit umzugehen und die Notwendigkeit der Maßnahmen auch verstehen. Es gibt aber keinen Grund zur Panik. Wenn eine schlimmere Variante aufkäme, würden wir die Alarmglocken läuten.
Heute lebt Luxemburg relativ locker mit der Pandemie. Rückblickend: Wurde am Anfang – mit Lockdowns, Maskenpflicht, Versammlungseinschränkungen – zu stark durchgegriffen?
Das ist schwer zu generalisieren. Ich kann nur sagen, dass ich es persönlich nicht bedauere, dass wir in bestimmten Momenten sehr schnell und strikt gehandelt haben. Vor allem, wenn wir gesehen haben, dass andere Länder länger abgewägt und gezögert haben und danach fatale Folgen geerntet haben. Etwa, als Deutschland die Pandemie-Regeln für Weihnachten 2021 lockerte.
Außerdem kann man die Situation heute nicht mit damals vergleichen. Die Impfung war ein großer Gamechanger. Man sieht sehr deutlich, dass wenn eine große Mehrheit der Bevölkerung geimpft ist, der Druck auf das Gesundheitssystem sinkt. Die Lage heute ist einfach anders.
Ist die Pandemie vorbei?
Bei uns ist noch immer Krisenmodus.
Das heißt, es ist noch nicht die Zeit gekommen, eine endgültige Bilanz zu ziehen?
Nein. Eine globale Bilanz ziehen wir, wenn die Pandemie vorbei ist.
Was hat Luxemburg konkret nach zwei Jahren gelernt?
Wie wertvoll Daten sind. Als die Pandemie begonnen hat, gab es überhaupt kein Monitoring. Wir waren eines der Länder, die dies auf nationaler Ebene relativ schnell eingeführt haben, und haben schnell gemerkt, wie unabdinglich die Daten waren, um einen Überblick über die ganze Situation zu behalten. Eine Lektion, die ja nun auch auf europäischer Ebene umgesetzt werden soll, um auf die Zukunft vorbereitet zu sein.
Bereuen Sie heute eine bestimmte Entscheidung als Gesundheitsministerin in der Pandemie?
Man ist im Nachhinein immer schlauer. Rückblickend hätte man sich schneller ausrichten können, als die Zahlen so schnell angestiegen sind. Es gibt sicher Details, die besser hätten laufen können, aber alles in allem gibt es nichts, wo ich nun sage, dass wir komplett anders hätten handeln müssen.
Was ist Ihre persönliche Bilanz nach zwei Jahren Pandemie?
In welcher Hinsicht? (lacht)
Wie blicken Sie als Privatperson auf Ihren Job, auf die Belastung der zwei Jahre zurück?
Hier beim Treffen des Regionalen Komitees für Europa der Weltgesundheitsorganisation, wo ich auf Kollegen aus ganz Europa getroffen bin, ist mir aufgefallen, mit welcher Stabilität Luxemburg durch die Pandemie gekommen ist. Ich bin eine der wenigen Gesundheitsminister, die immer noch auf ihrem Posten sind, nach all den Monaten Pandemie. Ich habe mit unseren großen Teams und den vielen verschiedenen Akteuren immer wieder positive Momente erlebt. Wir können immer noch zusammen lachen und freuen uns auf unsere Arbeit. Für mich persönlich nehme ich mit, dass ich ganz viel Erfahrung gesammelt habe. Auch wenn wegen der Pandemie verschiedene Dossiers ins Hintertreffen geraten sind.
Nächstes Jahr sind Wahlen. Dann kommt auch eine politische Abrechnung der Wahlberechtigten über den Umgang mit der Pandemie. Was denken Sie, wie diese ausfallen wird?
Ich glaube nicht, dass die Pandemie uns angreifbar macht. Weil Luxemburg nach den Coronajahren doch gut dasteht. Das zeigen auch die bisherigen Vergleiche mit dem Ausland. In die kommenden Wahlen werden sicher auch die aktuellen Krisen einfließen. Wir haben die anstehende Tripartite wegen der hohen Inflation und der Energiekrise. Als Regierung werden wir am Ende auf jeden Fall sagen können: Wir sind krisenerprobt.
Werden Sie bei der Tripartite dabei sein?
Natürlich! Sie können sich vorstellen, dass das nicht einfach ist. In den eigenen Ministerien haben wir noch keine Normalität, und dann kommt schon die nächste Krise.
Mit welchem Gefühl gehen Sie in die Tripartite hinein?
Ich mache mir Sorgen um die ganze Situation. Uns stehen keine einfachen Zeiten bevor und Lösungen zu finden, wird ebenfalls ziemlich schwierig werden. Es ist kein Thema, bei dem man nun schon sagt: Wir sehen ein klares Ende. Wir sind zuversichtlich, dass alle Beteiligten sich des Ernstes der Situation bewusst sind.
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Die Pandemie Hysterie ist vorbei. Der Schnupfen kommt wieder, keine Frage.Doch wir haben neue Alte Impfstoffe auf Lager. Die Pharmakassen sind gut gefüllt.Alles gut.