Interview / „Wir fühlen uns sehr bedroht, aber nicht alleine“: Moldawiens Außenminister zu Besuch in Luxemburg
Moldawiens Außenminister Nicu Popescu stattete Luxemburg am Donnerstag einen Besuch ab. Empfangen wurde der überzeugte Pro-Europäer unter anderem von Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Asselborn machte später bei der Vorstellung seines Amtskollegen vor der Presse darauf aufmerksam, um wie viel schwieriger es für Menschen in Moldawien ist, durch diese Krise zu kommen als für Luxemburgerinnen und Luxemburger. Das Land ist arm, zum Teil von Russland besetzt und grenzt an die Ukraine. Nico Popescu, den das Tageblatt am frühen Donnerstagmorgen traf, will trotzdem optimistisch bleiben.
Tageblatt: Moldawien ist weder in der NATO noch in der Europäischen Union. Ihr Land grenzt an die Ukraine und ein Teil des moldawischen Staatsgebiets, Transnistrien, wird seit knapp 30 Jahren von Russland besetzt. Wie sehr sehen Sie Ihre Unabhängigkeit und Sicherheit bedroht? Und wie alleine fühlen Sie sich mit dieser Bedrohungslage?
Nicu Popescu: Wir fühlen uns sehr bedroht, aber nicht alleine. Moldawien ist seit 1994 ein neutrales Land. Der NATO wollten wir in den vergangenen 30 Jahren nicht beitreten, der Europäischen Union aber schon. Dementsprechend glücklich sind wir, dass wir dieses Jahr zu einem EU-Kandidaten-Land wurden. Trotzdem gibt es dieses allgegenwärtige Gefühl der Unsicherheit. Wir sind außerhalb der Ukraine das fragilste und am stärksten von diesem Krieg betroffene Land. Wir hatten eine riesige Flüchtlingswelle, unsere Wirtschaft wurde vom Krieg schwer erschüttert. Die Angst vor einem möglichen nuklearen Zwischenfall in der Ukraine reißt auch nicht ab. All das ist eine schwere Last, die auf unserer Gesellschaft liegt.
Wo sehen Sie die dringendsten Probleme für Ihr Land?
Ich sehe einen extrem schweren Winter auf uns zukommen. Da werden wir Hilfe brauchen.
Sie beziehen Ihr Gas weiter aus Russland, steckt Ihr Land trotzdem in der Energiekrise?
Wir brauchen Hilfe dabei, die Kosten dafür zu stemmen. Gas ist für jeden teuer, auch für reiche Länder, und wir bezahlen denselben Preis. Würden wir unser Gas auf den Spot-Märkten kaufen, müsste mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung mehr als die Hälfte ihres Einkommens für das Heizen ausgeben. Das Durchschnittsgehalt in Moldawien liegt bei rund 300 Euro im Monat. Wir müssen alles dafür tun, damit die Energiekrise nicht zu einer humanitären Katastrophe für alle Moldawierinnen und Moldawier wird.
Auch Strom ist ein Problem. Seit den russischen Raketenangriffen auf zivile Infrastruktur der Ukraine in den vergangenen Tagen kann Kiew keinen Strom mehr exportieren. Sie haben Ihren Gesamtbedarf aber zu einem Drittel mit Strom aus der Ukraine gedeckt. Wie geht es weiter?
Wenn Russland die Ukraine angreift, ist das auch eine Attacke auf uns, auf unsere Fähigkeit, Licht und Heizung und warmes Wasser zu haben. Rumänien hilft jetzt schon viel, wir können den ganzen Strom kaufen, den rumänische Unternehmen nicht brauchen. Auch die von Rumänien, Frankreich und Deutschland ins Leben gerufene Unterstützungsplattform für Moldawien, an der sich mehr als 40 Länder beteiligen, darunter auch Luxemburg, ist eine große Hilfe. Es ist kompliziert, aber jeder versucht uns zu helfen. Diese Krise nimmt Ausmaße an, die sogar große EU-Länder an den Rand ihrer Handlungsfähigkeit bringen – also müssen wir zusammenhalten, uns koordinieren und uns gegenseitig helfen. Dann wird Europa stärker aus dieser Krise herausgehen.
Russland hat vergangene Wochen Raketen durch den moldawischen Luftraum auf die Ukraine gefeuert. Wie gefährlich ist das für die zivile Luftfahrt?
Nach der Sperrung des Luftraums zu Beginn des Krieges ist inzwischen wieder ein Flugkorridor nach Rumänien geöffnet. Es waren die ersten klar registrierten Zwischenfälle dieser Art seit Kriegsbeginn. Demnach: Es ist gefährlich, aber es ist bislang nichts, was systematisch geschieht. Trotzdem bleibt es eine brutale und rücksichtslose Verletzung des Luftraums eines unabhängigen und neutralen Staates.
Die Inflation in Moldawien liegt bei rund 34 Prozent, dazu die anderen Sorgen. Bedroht diese Lage Ihre Demokratie?
Die Liste der Gefahren ist leider lang: Separatisten, militärische Unsicherheit, schwer angeschlagene Wirtschaft, unser von Russland nicht beachteter Luftraum. Am dringendsten ist aber, wie ich bereits sagte, die Gefahr der Energiesicherheit, erstens was die Versorgung mit Strom und Gas angeht, zweitens die Kosten dafür. Das hat einen niederschmetternden Effekt auf unsere Bevölkerung – und das hat auch politische Folgen.
Der einzige Weg, den Konflikt um Transnistrien zu lösen, führt über die Diplomatie
Wie empfänglich wird ein Land wie Ihres in einer solchen Lage für russische Propaganda?
Die wirtschaftliche Verletzlichkeit meines Landes macht mir mehr Sorgen als die russische Desinformation und Propaganda. Damit kommen wir klar, russische Propaganda kennen wir seit Tag eins unserer Existenz. Für viele EU-Staaten mag das etwas Neues sein, aber wir leben seit 1991 in diesem feindlichen Umfeld. Und trotz dieser Versuche, uns zu beeinflussen, hat Moldawien in den vergangenen 30 Jahren ein demokratisches, pluralistisches System aufgebaut. All unsere Regierungswechsel fanden durch Wahlen statt. Alle Regierungen traten nach Wahlniederlagen von der Macht ab. Wir hatten kleine Schwierigkeiten, wir hatten Proteste und wir hatten 2019 eine Regierung, die ohne Mandat fünf Tage länger im Amt blieb, als sie sollte. Aber all das wurde friedlich, legal und im Rahmen unserer Institutionen gelöst. Ich glaube, dass Moldawien ein ziemlich gutes Level an demokratischer Widerstandsfähigkeit hat. Unsere Leute wollen Freiheit und die Möglichkeit haben, Regierungen abzuwählen. Auch jetzt gerade, wo wir reden, wird in unserer Hauptstadt demonstriert. Und das ist okay! Das ist das gute Recht der Leute und niemand wird von Sicherheitskräften verprügelt. So soll es sein.
Hat sich der Blick Europas auf Moldawien seit dem Krieg in der Ukraine verändert? Spüren Sie mehr Unterstützung?
Moldawien mag klein und nicht sehr bekannt sein. Aber auf diplomatischer und politischer Ebene gab es immer einen regen Austausch und viel Unterstützung. Beides hat in den vergangenen Monaten noch einmal stark zugenommen. Wir wollen Europa stärker machen. Das haben wir im Frühling bewiesen, als wir dazu beitrugen, die größte Flüchtlingskrise innerhalb Europas seit Ende des Zweiten Weltkriegs in den Griff zu bekommen. Aus Moldawien heraus fand Getreide aus der Ukraine – und auch Lebensmittel von uns – seinen Weg in die Welt.
Um irgendwann der EU beitreten zu können, wird es auch interne Reformen brauchen. Wie steinig wird dieser Weg?
Wir arbeiten ständig daran, Moldawien demokratischer zu machen und den Wohlstand zu steigern. Das wird noch zunehmen. Wir haben innerhalb eines Jahres 49 Plätze in der Rangliste für Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen Liste gutgemacht. Wir bauen unsere Wirtschaft nach umweltpolitischen Gesichtspunkten um und bekämpfen in unserem Justizsystem die Korruption. Auch unsere militärischen Kooperationen haben wir gestärkt – aber mit Ländern, die die moldawische Souveränität und ein europäisches Moldawien unterstützen. Außenpolitisch sind wir mit der EU auf einer Linie. Wir machen viel! Und alles geschieht, um irgendwann der Europäischen Union beizutreten.
Wie kann das Problem Transnistrien gelöst werden? Kann der Krieg in der Ukraine, sollte er mit einer Niederlage Russlands enden, auch für Transnistrien die Wende bedeuten?
Wir können nicht spekulieren. Was wir tun, Tag und Nacht, ist, zu versuchen, die Ruhe zu bewahren. Und das auf unserem gesamten Staatsgebiet, also auch in Transnistrien. Die Beziehungen sind kompliziert, sie sind angespannt, und der Krieg hat einen wahnsinnig negativen Einfluss. Unsere Regierung ist im andauernden Austausch mit der separatistischen Führung in Transnistrien. Es ist nie leicht, aber auf beiden Seiten gibt es ein klares Bestreben, den Frieden in unserem Land zu bewahren und den Krieg von unseren Grenzen fernzuhalten. Der einzige Weg, diesen Konflikt zu lösen, führt über die Diplomatie.
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