Eltereschoul Janusz Korczak / „Wir haben uns gefragt: Wie erreichen wir nun die Eltern?“
Die Arbeit der „Eltereschoul Janusz Korczak“, die zur „Fondation Kannerschlass“ gehört, besteht eigentlich darin, Kontakt mit den Eltern zu haben. Wegen der Pandemie muss sie Mitte März 2020 sämtliche Aktivitäten stoppen. Direktorin Jeannine Schumann erzählt im Tageblatt-Interview, was danach alles passierte und wie ihre Arbeit nun aussieht.
Tageblatt: Eine Elternschule heißt so, weil die Eltern ja eigentlich etwas lernen sollen. Wäre es Ihrer Meinung nach sinnvoll, dass Eltern einen Elternführerschein machen sollten, bevor sie auf Kinder losgelassen werden?
Jeannine Schumann: Ich finde, dass man so was auf jeden Fall machen sollte. Wir bieten mit der Elternschule schon seit rund 15 Jahren in den Entbindungsstationen eine kleine Einheit mit dem Namen „On n’est pas né parent, on le devient“ an. Einige Geburtsstationen ermöglichen uns dies im Rahmen der Geburtsvorbereitung. Das ist aber alles freiwillig. Unser Wunsch ist seit Jahren, dass wir die Eltern von Kindern zwischen 0 und 3 Jahren begegnen können. Wir kommen da aber politisch nicht weiter. Es gibt viele Hürden. Die Leute finden, dass das eine Einmischung in die Privatsphäre ist. Man kann auch sagen, dass Erziehung etwas Instinktives ist, das jeder tun kann. Ja, das stimmt, das hat viel mit Instinkt, Liebe und Vertrauen zu tun, aber unsere Gesellschaft ist so komplex, dass so viele Faktoren in der Erziehung von Kindern dazukommen. Ich glaube, es hat einen Wert, darüber mit jungen Eltern zu diskutieren und sie auf Sachen aufmerksam zu machen.
Wir kommen da aber politisch nicht weiter. Es gibt viele Hürden. Die Leute finden, dass das eine Einmischung in die Privatsphäre ist.Direktorin Eltereschoul
Die „Eltereschoul“ lebt ja eigentlich vom direkten Kontakt mit den Eltern. Das war ab Mitte März im vergangenen Jahr aufgrund des Lockdowns nicht mehr möglich. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Das Grundkonzept der Elternschule ist seit knapp 20 Jahren, dass wir die Eltern dort aufsuchen, wo sie sind. Alle unsere Projekte sind so entstanden: Wo sind die Eltern? Wo sind sie auch noch? Ein anderer wichtiger Aspekt unseres Konzeptes, der uns von anderen Angeboten unterscheidet, ist, dass wir stets die Gruppe der Eltern sehen wollen. Diese zwei Aspekte haben seit dem Lockdown im März vergangenen Jahres nicht mehr funktioniert. Wir konnten keine Gruppe mehr sehen. Zudem hatten wir die Beschränkung, dass ganz schnell sämtliche Institutionen, mit denen wir zusammenarbeiten, sagten: „Nein, ihr könnt nicht mehr kommen.“ Und in die Schulen, „Crèches“ und „Maisons relais“ durften wir selbstverständlich auch nicht mehr. Wir haben sehr schnell all unsere Arbeit am Anfang der Pandemie verloren. Das war schon ziemlich dramatisch, wenn man bedenkt, dass wir 2019 an die 600 Einsätze hatten.
Wir müssen also die Eltern zu Hause erreichen, und zwar mit dem Radio oder mit einem Brief, den der Lehrer ihnen schicktDirektorin Eltereschoul
Aber Sie haben neue Wege gefunden …
Wir haben uns gefragt: Was machen wir jetzt? Wie können wir die Eltern nun erreichen? Anhand mehrerer Zufälle hat sich dann etwas ergeben. Wir hatten stets guten Kontakt mit dem Radio 100,7. Dieses half uns, die Eltern zu erreichen und weiter am Ball zu bleiben. Um den 20. März konnte ich zum ersten Mal im Radio über unsere Situation reden. Es folgten mehrere Fortsetzungen der Sendung, wo wir Themen herausgepickt haben, die uns für die Eltern in dieser Situation wichtig erschienen. Nach einer Reportage hat sich eine Lehrerin bei uns gemeldet und meinte, wir sollten alles, was wir im Radio gesagt haben, aufschreiben. Sie wolle diese Informationen gerne an die Eltern ihrer Schüler weitergeben. So ist die Idee der Elternbriefe geboren. Das sind kurze Texte zu verschiedenen Themen, die die Eltern ganz besonders in der damaligen Lockdown-Situation interessierten. Da wurde uns klar, dass das funktioniert und wir die Eltern zu Hause via Radio oder Briefe, die sie von den Lehrern bekamen, erreichen konnten. Erst im Sommer haben wir dann mit der „Eltereschoul dobaussen“ angefangen. Das Ganze erforderte allerdings etwas mehr Vorlaufzeit und konnte nicht sofort von uns angeboten werden.
Dann gibt es ja noch die Videokonferenzen, die Sie anbieten …
Die Elternbriefe und die Videokonferenzen hängen oft zusammen. Ein Elternbrief betrifft ein bestimmtes Thema und bei einigen haben wir zusätzlich ein Datum und eine Uhrzeit vermerkt, wann die Videokonferenz dazu stattfindet. Bei den ersten Briefen war das noch anders. Da stand noch die Aktualität im Vordergrund, nach dem Motto: „Haltet durch, es ist jetzt schwierig, aber das wird wieder!“ Im Herbst 2020, als wir dann mit den Videokonferenzen angefangen haben, sagten wir uns, dass die Briefe und die Videokonferenzen eigentlich etwas Zusammenhängendes sein könnten: der Elternbrief zum Schnuppern, gefolgt von einer Konferenz.
Der persönliche Kontakt musste also dem digitalen weichen. Wie kamen Sie damit zurecht?
Wir sind es als Sozialpädagogen gewohnt, in direktem Kontakt mit den Menschen zu sein. Die Online-Veranstaltungen waren am Anfang eine richtige Herausforderung für uns. Wir mussten Weiterbildungen machen, um den Umgang mit diesem Medium oder mit Powerpoint zu erlernen. Bei einer Präsenzveranstaltung ist das eine kleine Stütze, die man bei sich hat, im Online-Video ist es das wichtigste Instrument. Die Vorstellung muss ordentlich sein, das muss alles auf den kleinen Bildschirm passen und es muss ansprechbar rüberkommen. Da mussten wir viel dran arbeiten.
Könnten Sie sich vorstellen, die digitale Form auch nach der Pandemie weiterzunutzen?
Wir haben am Anfang viel da reingesteckt, aber für uns ist nun klar, dass das ein zweiter Kanal der „Eltereschoul“ bleiben wird. Wir sind alle froh, irgendwann wieder in Präsenz bei den Eltern zu sein, aber das mit den Videokonferenzen werden wir auch nach der Pandemie weiterführen. Weil wir gesehen haben, dass wir auf diese Weise eine Reihe von Eltern erreichen, die wir ohne dieses Medium und in reiner Präsenz nicht erreichen würden.
Dann haben Sie also eine größere Reichweite?
Es gibt ein banales Argument: Unser Anliegen ist es, ganz viel in die verschiedenen Institutionen zu gehen. Eigentlich ist das ein wenig exklusiv, weil es auch Institutionen gibt, die nicht mit uns zusammenarbeiten. Die Eltern dieser Kinder konnten wir bislang nicht erreichen. Durch das Videoformat kann sich das ändern. Denn hier haben alle Eltern die Chance, mitzumachen. Man muss sich dazu nur auf unserer Webseite das Programm ansehen. Die Bedingung, ob mein Kind zufälligerweise in eine „Maison relais“ geht, wo auch die Elternschule aktiv ist, entfällt somit. Dadurch machen wir das Projekt ein ganzes Stück weiter auf. Umgekehrt ist es aber auch so, dass wir viel in fragileren Einrichtungen wie Frauenhäuser, „Foyer jeune maman“ oder „Epicerie sociale“ agieren. Dieses Publikum erreichen wir natürlich nicht durch das Medium Videokonferenz. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir unsere Öffnungen für Aktionen „um Terrain“ zurückbekommen.
Das eine ergänzt also das andere?
Ganz klar. Das Video ist ein sehr guter Zusatz, der sehr gut funktioniert. In den ersten drei Monaten hatten wir 45 Online-Aktivitäten mit insgesamt rund 450 Teilnehmern. Das ist ein großer Erfolg. Denn die Leute müssen uns auch finden, ohne dass ein Erzieher sie darum bittet. Deshalb sind wir auch medial ziemlich aktiv, sonst hätten uns diese Leute nicht gefunden.
Stichwort Homeschooling: das war der erste Elternbrief. Wie erging es denn den Eltern im ersten Lockdown? Haben Sie Feedback bekommen?
Ja, haben wir. Wir machen zwar keine individuellen Beratungen, deshalb haben wir es weniger stark mitgekriegt. Aber wir haben es durch die Briefe mitbekommen, da wir hierdurch mit viel mehr Lehrkräften als sonst in Kontakt kamen. Vor der Pandemie bestanden unsere Kontakte meist zu außerschulischen Bereichen wie „Crèches“ und „Maisons relais“. Kurz vor der Pandemie hatten wir zufälligerweise einige Kontakte im Bildungsministerium, die uns dann geholfen haben, diese Elternbriefe an die Schulen zu vermitteln. Die Lehrer sagten uns, dass diese Art von Briefen genau das ist, was die Eltern jetzt brauchen. Und die Lehrer freuten sich, dass sie mal etwas anderes verschicken durften als nur Hausaufgaben.
Da sagten die Eltern: Nicht schon wieder, wir wollen nicht noch mal in dieses Homeschooling zurück!Direktorin Eltereschoul
Allerdings, als wir drei bis vier Monate später online gegangen sind mit unseren Videokonferenzen, da haben wir auch direkten Feedback von den Eltern bekommen, die eine heftige Zeit hinter sich hatten. Als an Weihnachten die Schulen für kurze Zeit wieder geschlossen wurden, haben wir am meisten Feedback bekommen. Da sagten die Eltern: Nicht schon wieder, wir wollen nicht noch mal in dieses Homeschooling zurück! Wir haben das Feedback etwas versteckter mitbekommen, als wir das Thema über den elterlichen Burnout angegangen sind.
Wie meinen Sie das?
Die Veranstaltung zum Burnout war sehr gut besucht. Das will nicht heißen, dass alle diese Eltern im Burnout waren, aber sie haben sich die Frage gestellt, ob ihre Symptome darauf passen oder nicht. Da konnten wir viele beruhigen und sagen, dass sie wahrscheinlich nur sehr gestresst sind und noch nicht gerade da angekommen sind, wo nichts mehr geht. Je nachdem, für welche Themen sich die Eltern interessierten, haben wir festgestellt, dass es damit zu hat, dass sie so viel mit ihren Kindern zusammen waren. Wir haben auch festgestellt, dass diese Jugendthemen plötzlich auf viel mehr Interesse gestoßen sind. Wieso fand das früher so wenig Anklang und wieso nehmen jetzt plötzlich so viele Leute an Veranstaltungen über Pubertät und Jugend teil? Die Familien waren in der Pandemie viel mehr mit ihrem jugendlichen Nachwuchs in Kontakt als vorher. Viele sprechen vom Homeschooling, das chaotisch war, insbesondere mit kleinen Kindern. Sehr ungewöhnlich war aber auch die Situation, dass zwei oder drei pubertierende Jugendliche rund um die Uhr zu Hause hocken mussten. Normalerweise sind diese fast die ganze Zeit unterwegs und haben neben der Schule viele andere Aktivitäten. Das war für viele Eltern auch eine ganz große Herausforderung.
Insbesondere in den vergangenen acht Wochen waren viele Menschen im Alter zwischen 40 und 45 Jahren im Krankenhaus. Das sind die Eltern unserer Kinder.Direktorin Eltereschoul
Und hinzu kommt sicherlich auch die Angst, die Kinder, aber auch Jugendliche vor dem damals noch ziemlich unbekannten Virus hatten?
Wir haben das Thema nicht umsonst in den Elternbriefen aufgegriffen. Einerseits stellt sich die Frage, wie man mit sehr kleinen Kindern darüber spricht, auch mit jenen, die noch gar nicht reden können. Denn wir wissen, dass kleine Kinder sehr feinfühlig sind, dass sie merken, wenn bei den Eltern etwas nicht normal ist. Andererseits sind wir speziell auf die Jugendlichen eingegangen. Natürlich wissen die Jugendlichen besser Bescheid. Aber oft gibt es dort das Problem, wenn etwas sie sehr plagt, dann bringen sie es nicht fertig, mit jemandem darüber zu sprechen. Da war unser Aufruf an die Eltern, darauf zu achten. Dieses Thema ist aber immer noch aktuell. Insbesondere in den vergangenen acht Wochen waren viele Menschen im Alter zwischen 40 und 45 Jahren im Krankenhaus. Das sind die Eltern unserer Kinder. Deshalb ist es sehr wichtig, mit ihnen darüber zu sprechen und alles gut zu erklären. Und mit dem Ausstieg aus dem Lockdown, da müssen die Jugendlichen das richtige Maß finden, zwischen totalem Abfeiern und immer noch aufpassen.
Die „Eltereschoul“ hat aber nicht alle Aktivitäten auf Online umgeschaltet. Auf manchen Spielplätzen im Land kann man Mitarbeiter von euch in gelben Westen antreffen …
Im vergangenen Sommer haben uns u.a. die „Foyers jeunes maman“ oder die „Epiceries sociales“ darum gebeten, wiederzukommen. Da dies drinnen aber nicht möglich war, haben sie uns draußen empfangen und spontan etwas für unseren Aufenthalt im Freien eingerichtet. Da entstand die Idee, dass wir mehr hinausgehen müssen. In unseren normalen Alltag haben wir dann ein Projekt mit dem Namen „Le coin des parents“ integriert. Wir stehen abends vor verschiedenen „Maisons relais“ und sprechen die Eltern an, die ihre Kinder dort abholen. Eine Kollegin kam auf die Idee, dies auch auf Spielplätze auszuweiten. In den Orten, wo wir in der „Maison relais“ aktiv sind, sagen die Erzieher den Eltern, dass wir zu bestimmten Zeiten auf dem Spielplatz sind. Sie helfen uns, die Eltern dorthin zu bringen.
Wir animieren die Leute dazu, nachzudenken, wenn sie als Eltern am Ende sind, wo ihr kleiner Hafen ist, wo sie sich zurückziehen können, wo sie neue Energie tanken könnenDirektorin Eltereschoul
Wie läuft das ab? Wenn Eltern zufällig auf dem Spielplatz sind, können sie euch einfach ansprechen und über ihre Sorgen reden?
Es gibt zwei Wege. Wenn wir irgendwo hingehen, stellen wir uns nie einfach irgendwo hin, wie auf der „Foire“ an einem Stand und warten, bis jemand kommt. Wir sind selber aktiv. Wir sprechen alle Leute an, die auf dem Spielplatz sind. Wir stellen uns vor und sagen, dass wir von der „Eltereschoul“ sind. Wir haben immer ein Thema dabei. Das sind manchmal Kleinigkeiten. Wir haben eine schöne Übung, die „Insel der Erholung“ heißt. Da bekommen die Leute ein Blatt, auf dem eine Insel gemalt ist. Wir animieren die Leute dazu, nachzudenken, wenn sie als Eltern am Ende sind, wo ihr kleiner Hafen ist, wo sie sich zurückziehen können, wo sie neue Energie tanken können. Es gibt aber auch Eltern, die mitbekommen haben, dass wir zu einer gewissen Uhrzeit auf einem bestimmten Spielplatz sind, und kommen gezielt zu uns, um uns Fragen zu stellen.
Kommen die Eltern auch untereinander ins Gespräch?
Wir unterstützen das. Vor der „Maison relais“ ist das ziemlich ähnlich wie auf dem Spielplatz. In der „Maison relais“ sehen wir viele Eltern, die noch nie ein Wort miteinander gewechselt haben. Es ist dort viel anonymer als beispielsweise in einer „Crèche“. Wenn wir mit einer Mutter im Gespräch sind – wir machen ja keine Beratung – und merken, dass jemand interessiert rüberschaut, dann nehmen wir den sofort mit ins Gespräch. Dann kann es vorkommen, dass man in diesem kleinen Kreis eine Interaktion bekommt. Unsere Erfahrung ist aber auch, dass die Eltern auf dem Spielplatz viel entspannter sind als nach der „Maison relais“. Um 17 Uhr wollen die Eltern nur noch schnell nach Hause.
Haben Sie Pläne für weitere Projekte?
Wir werden in den nächsten Monaten Podcasts aufnehmen. Die sollen 20 bis 25 Minuten dauern. Auf diese Weise können wir den Eltern bereits etwas mit auf den Weg geben. Die Idee kam uns, als wir bei unseren Online-Aktivitäten gesehen haben, dass viele Eltern auf dem Handy zuschauen und nicht unbedingt zu Hause sind. Ein Podcast könnte unser Angebot gut ergänzen, weil die Leute diesen auch hören können, während sie bügeln oder spazieren gehen. Ein weiteres Projekt heißt „Walk and talk“. Im Sommer wollen wir mit Gruppen, die sich schon besser untereinander kennen, im Wald spazieren gehen. Dann kommt noch die „Eltereschoul mam Vëlo“ dazu. Das soll unsere Präsenz auf den Spielplätzen sichtbarer machen. Das Fahrrad soll mit einem Anhänger versehen sein, mit dem wir unser Material transportieren können. Mit dem Fahrrad können wir nachmittags gleich mehrere Spielplätze ansteuern oder es auf Märkten oder Schulfesten einsetzen. Die Finanzierung steht aber noch aus.
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Ech géif aus der kescht sprangen, wann déi ons do géifen uquatschen, ongefrot an ongewollt, mat psychogelaaber!