Editorial / Wir werden mehr, bekommen aber immer weniger Kinder – doch ist das ein Problem?
672.050 Nachbarn und Nachbarinnen waren wir zum 1. Januar 2024 auf unseren 2.586 Quadratkilometern. So viele waren wir noch nie.
Wie die Statistiker vom Statec nachgerechnet haben, kamen im vergangenen Jahr 26.964 Menschen in Luxemburg hinzu, 16.588 kehrten dem Land im selben Zeitraum den Rücken. Wir werden also weiter mehr – aber nicht mehr so schnell, wie das schon einmal der Fall war. In der Tat ist die letztjährige Wachstumsrate von 1,7 Prozent eine der niedrigsten der letzten zehn Jahre, wie Statec schreibt. Das Niveau von vor der Pandemie haben wir noch nicht wieder erreicht.
Auffällig an den Statec-Zahlen ist die fallende Geburtenrate, sowohl bei Luxemburgern wie bei unseren ausländischen Mitbürgern. Bei den Luxemburgern liegt sie bei 1,09 Kindern pro Frau, bei den Ausländern bei 1,43. Was einen Schnitt von 1,25 Kindern pro Frau ergibt. So niedrig lag diese Rate seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr.
Da stellen sich Fragen. Woran liegt das? Und ist das überhaupt ein Problem?
Rund 10.000 Menschen mehr zählte Luxemburg am 1. Januar im Vergleich zum Vorjahr. Die Herausforderungen, die dieses Wachstum mit sich bringt, wurden bereits Hunderte Male rauf- und runtergebetet. Jedes Jahr kommt in Luxemburg ein neues Bettemburg, Schifflingen, Mersch oder Mamer hinzu. Das macht Druck auf die Schulen, die Straßen, den Wohnungsmarkt und vieles mehr. All das ist ebenso hinlänglich bekannt wie das Dilemma, dass es Wachstum braucht, um Ausgaben zu finanzieren.
Der aufgrund unserer wirtschaftlichen Entwicklung, der geografischen Lage im Herzen Europas sowie der politischen Stabilität fast schon garantierte jährliche Zuwachs hat eine progressive Politik in manchen Feldern überhaupt erst möglich gemacht. So konnte die Vorgängerregierung nahezu alle Verhütungsmittel (sogar die operativen) gratis anbieten – eine ebenso mutige wie fortschrittliche politische Entscheidung.
Luxemburg wurde so zum Land, in dem nicht nur der öffentliche Transport, sondern auch die Schwangerschaftsverhütung nahezu umsonst ist. Anders ausgedrückt, konnte sich die Politik erlauben, den Menschen mehr Freiheit zu bieten, ganz nach dem Motto: Kein Problem, wenn ihr keine Kinder wollt, für Zuzug ist sowieso gesorgt. Menschen kommen nach Luxemburg, weil wir ein reiches Land sind, das gute Jobs und eine großartige Infrastruktur im Angebot hat sowie den Menschen viel mehr Sicherheit bietet als fast alle anderen Länder weltweit.
Doch das Ganze hat einen Haken. Alles andere, und besonders das Wohnen, ist sehr teuer geblieben und verteuert sich weiterhin. Der wirtschaftliche Druck, der auf vielen Menschen in Luxemburg lastet, wird Jahr für Jahr erdrückender. Immer mehr ziehen ins nahe Ausland, weil sie sich das Wohnen hierzulande nur mehr schwer leisten können. Das macht die eigene Zukunft unsicherer und die Angst größer, wie es einem denn wohl in fünf, zehn oder zwanzig Jahren finanziell gehen wird. Das sind nicht die optimalen Voraussetzungen für eine optimistische Familienplanung. Wer also gerne eine höhere Geburtenrate hätte, muss nach einer sozialeren Politik verlangen. Trotzdem ist der jährliche Zuzug vieles, aber keine Gefahr und auch kein Problem. Er ist eine Herausforderung, aber vor allem auch eine Auszeichnung. Wegen des Wetters zieht schließlich niemand hierher.
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