Bosnien / Wirtschaftliche Folgeschäden der Hochwasserkatastrophe machen zu schaffen
Noch sind nicht alle Opfer der Hochwasserkatastrophe in Bosnien geborgen. Doch bereits jetzt hat der dysfunktionale Balkanstaat an den Folgeschäden schwer zu tragen – und für die Geißel der Korruption einen hohen Preis zu bezahlen: Zumindest die fatalen Erdrutsche hätten vermieden werden können.
Bosniens normalerweise smaragdgrüne Flussperle trägt einen schlammigen Trauerflor. Zehn Tage nach den Überschwemmungen und Erdabgängen an der Neretva treibt noch immer ein Tausende von Tonnen schwerer Teppich von in den Fluss gespülten Autoreifen, Müllsäcken, Baumstümpfen, Plastikflaschen und Unrat auf den braun getrübten Fluten.
26 Todesopfer sind bisher geborgen, nach der Leiche einer vermissten Person wird noch immer gesucht. Unablässig schaufeln in dem von den Erdrutschen besonders hart getroffenen Dorf Donja Jablanica die Bagger Schutt, Schlamm und mächtige Felsbrocken von verschütteten Straßen und Hausruinen.
Aufgetürmte Berge, schlammverkrustete Autowracks und die merkwürdig verdreht in der Luft hängenden Schienen, deren Bahndamm weggespült wurde, zeugen am Flussgestade von den immensen Verwüstungen durch die Wasser- und Geröllmassen: Allein in der Region Jablanica wird der Schaden auf über 25 Millionen Euro geschätzt.
Die wirtschaftlichen Folgeschäden für den angeschlagenen Vielvölkerstaat sind hingegen wegen der Lahmlegung der wichtigsten Verkehrsachse des Landes noch kaum abzusehen: Der möglicherweise monatelange Ausfall der Zugverbindung von Sarajevo nach Mostar und weiter zum kroatischen Adriahafen Ploce trifft Bosniens Güterverkehr und Schwerindustrie ins Mark.
Zumindest in der Nacht ist die stark beschädigte und nur notdürftig ausgebesserte Überlandstraße von Jablanica nach Mostar in dieser Woche wieder für den Verkehr freigegeben worden: Tagsüber bleibt die Straße vorläufig weiter Rettungskräften und Baufahrzeugen vorbehalten – und gesperrt.
Doch vor allem die zerstörten Bahndämme und Gleise machen Bosniens Wirtschaft zu schaffen. In dem für das Land wichtigsten Hafen Ploce stauen sich laut dem Webportal „klix.ba“ bereits 400.000 Tonnen an nicht zustellbaren Gütern für Bosniens Industrie. Auf drei bis 3,5 Millionen Euro im Monat beziffert allein die Eisenbahngesellschaft des bosniakisch-kroatischen Teilstaats der Föderation (ZFBiH) ihre Einnahmeausfälle.
Finanziell noch härter trifft der Wegfall des wichtigsten Transportweges zur Adria die Großunternehmen der Metall-, Chemie- und Bauindustrie im Hinterland. Denn das kostspielige Ausweichen auf die Häfen im kroatischen Rijeka oder im montenegrinischen Bar ist mit erheblichen Mehrkosten verbunden. „Nach den Überschwemmungen geraten auch die Firmen in Bosnien ins Rutschen“, titelt besorgt das regionale Portal von „Radio Free Europe“: Allein der Kokshersteller GIKIL im nordbosnischen Lukovac bei Tuzla rechne bis Jahresende mit Mehrkosten von 4,5 Millionen Euro – und müsse seine Produktion dennoch auf ein „Minimum“ zurückfahren.
Doch nicht nur der erwartete Preisschub durch erhöhte Transportkosten macht Bosniens Wirtschaft zu schaffen. Erschwert wird die Wiederherstellung der zerstörten Bahndämme auch durch rechtliche Barrieren und die Schwerfälligkeit von Bosniens dysfunktionalem Staatslabyrinth.
Korruption und Vetternwirtschaft
Allein die aufwändige Prozedur zur öffentlichen Ausschreibung von Staatsaufträgen dürfte Wochen erfordern: Die von der Wirtschaft geforderten Ausnahmeregelungen im Katastrophenfall sind im heimischen Gesetz über öffentliche Anschaffungen nicht vorgesehen. „Wenn wir eine erleichterte Prozedur hätten, könnten Bosniens Eisenbahn die Sanierung der Schienen in wenigen Wochen erledigen“, klagt ZFBiH-Chef Denis Dzafic.
Doch vor allem für Korruption, Vetternwirtschaft und unfähige oder bewusst tatenlose Aufsichtsbehörden hat Bosnien einen hohen Katastrophenpreis zu bezahlen: Denn zumindest die fatalen Erdrutsche an der Neretva und ihren Nebenflüssen hätten vermieden werden können. Nicht nur illegaler und intensiver Holzeinschlag an den Hängen hat die Gefahr von Erdabgängen vermehrt. Auch illegal oder unsachgemäß betriebene Steinbrüche sorgen an der Neretva seit Jahren immer wieder für Erdrutsche.
In Donja Jablanica ließen die immensen Niederschläge in der Nacht zum 4. Oktober die Abbaugrube des direkt über dem Dorf betriebenen Steinbruchs erst wie einen See volllaufen. Und als dessen 20-Meter-„Damm“ brach, ergoss sich eine tödliche Geröll- und Schlammlawine ins Tal: Allein in Donje Jablanica waren 19 Todesopfer zu beklagen.
Keinerlei Lehren gezogen
Mit einer klaren Antwort auf die drängende Frage, wie und warum der Steinbruch auch ohne die erforderlichen Genehmigungen fast drei Jahrzehnte betrieben werden konnte, lassen Bosniens Politiker noch immer auf sich warten. Auch die nun auf der Neretva wie schon zuvor auf der Drina treibenden und gegen die Staumauern der Wasserkraftwerke drückenden Müllberge sind nicht nur das Ergebnis der Gleichgültigkeit der Anwohner, sondern auch der Tatenlosigkeit der zuständigen Behörden: Unzählige wilde Mülldeponien in Ufernähe werden bei Hochwasser und Starkregen in Bosniens Flüsse gespült.
Eine Hand wäscht die andere. Die Vettern- und Parteienwirtschaft floriert nicht nur in anderen Regionen des Vielvölkerstaats, sondern auch in den Nachbarstaaten. „Die Überschwemmungen, die sich in Bosnien ereigneten, sind auch in Serbien möglich“, warnt die Belgrader Zeitung Danas.
Tatsächlich scheinen die Politfürsten der Region aus der Hochwasserkatastrophe an der Save 2014 und den sich mehrenden Wetterkapriolen durch den Klimawandel kaum oder keinerlei Lehren gezogen zu haben. Gelobte Großinvestitionen zur Stärkung von Flussdeichen sind oft ausgeblieben. Statt langfristiger Katastrophenprävention und überfälligen Investitionen in den Umweltschutz bleibt bei den lieber auf publikumswirksame Prestigeprojekte setzenden Balkanregenten vor allem das möglichst einträgliche Durchwursteln bis zur nächsten Wahl angesagt.
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