Deutschland / Wirtschaftsbosse beim Kanzler, Mittelstand bei der FDP
Industriegipfel beim Kanzler, Mittelstandsgipfel bei der FDP – wegen der Wirtschaftsschwäche wollen die Parteien Handlungsstärke beweisen. Doch die Meinungen, wie die Wirtschaft wieder Tritt fassen kann, gehen in der Ampel weit auseinander.
Der Kanzler will keine Theaterbühne bespielen – und deshalb bleibt der Vorhang am Dienstagnachmittag im Kanzleramt zu. Nach seinem Treffen ab 16 Uhr mit wichtigen Industrievertretern und Gewerkschaftern bei Kaffee, Kuchen und Obst soll es keine Pressekonferenz geben, nicht einmal Auftaktbilder sind gestattet. „Wir müssen wegkommen von den Theaterbühnen“, hatte Olaf Scholz (SPD) am Wochenende als Devise für das Treffen ausgegeben. Sein Ziel sei ein „großes Miteinander“ in der Sache. Am Ende will Scholz eine „neue industriepolitische Agenda“ aufsetzen, um Unternehmen in Deutschland zu halten, Jobs zu retten und das Wachstum anzukurbeln.
Doch ein „großes Miteinander“ in der zerstrittenen Ampelkoalition ist eher nicht zu erwarten, zumal Scholz seine Koalitionspartner, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP), zu seinem vertraulichen Industriegipfel nicht eingeladen hat.
Lindner und die FDP-Fraktion veranstalteten am Dienstagvormittag deshalb ihren eigenen kleinen Wirtschaftsgipfel mit dem Arbeitgeberchef und mehreren Mittelstandsvertretern. Wirtschaft sei mehr als nur die Industrie, auch Handwerk, Handel, freie Berufe, Selbstständige gehörten dazu, sagte Lindner nach der 90-minütigen Unterredung im Bundestag. Die Ampel müsse die Bedingungen für alle Unternehmen verbessern, nicht nur für die Industrie.
Bundesweit Zehntausende Autojobs in Gefahr
Auch von der Union hat Scholz beißende Kritik einstecken müssen, weil er sich nur mit Industrievertretern trifft, darunter die Chefs der Autokonzerne VW, BMW und Mercedes. Die SPD-Bundestagsfraktion stellt sich deshalb demonstrativ hinter Scholz. „Der Bundeskanzler macht klar, dass die Sicherung von Arbeitsplätzen und Zukunftsinvestitionen in Deutschland – und nicht anderswo – Chefsache sind. Es ist richtig, dass die Gespräche stattfinden und diese gerade die Industrie vom Mittelstand bis zum großen Unternehmen im Blick haben“, sagte Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast. „Die Industrie ist unser Kern, der Deutschlands Stärke ausmacht.“
Mast sagte auch, was sich ihre Fraktion vorstellt an Verbesserungen für die Wirtschaft: Entlastung bei den Stromnetzentgelten und neue Kaufanreize für Elektroautos. Darauf hoffen auch die drei Autobosse im Kanzleramt. Gerade hat VW-Chef Oliver Blume angekündigt, drei Werke in Deutschland schließen zu müssen. Von den Beschäftigten verlangt er zehn Prozent Lohnverzicht. SPD und Gewerkschaften werfen ihm Managementfehler vor, die die Beschäftigten ausbaden sollten. Bundesweit sind jetzt Zehntausende Autojobs in Gefahr.
Die SPD-Pläne und auch der von Vize-Kanzler Habeck vorgeschlagene „Deutschlandfonds“ für mehr öffentliche Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe kosten Geld, das die Ampel nicht hat. Finanzminister Lindner verweist neuerdings nicht mehr nur auf die Schuldenbremse, die einzuhalten sei, sondern auch auf die europäischen Fiskalregeln, die ein neues kreditfinanziertes Sondervermögen verbieten würden. Statt die Wirtschaft auf Pump anzukurbeln, setzt die FDP auf Bürokratieabbau und Kürzungen bei Sozialausgaben, etwa beim Bürgergeld.
2025 möglicherweise wieder Null-Wachstum
In den nächsten Wochen müsse es parallel zu den Haushaltsverhandlungen „Richtungsentscheidungen“ geben, die er auch noch für möglich hält, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr am Mittag nach dem FDP-Treffen mit Wirtschaftsvertretern. Auf eine Frage zum Fortbestehen der Koalition sagte FDP-Chef Lindner: „Es gibt auch so etwas wie eine Regierungsverpflichtung und für Deutschland ist es allemal besser, wenn eine Regierung eine gemeinsame Richtung findet, sie beschreibt und umsetzt.“ Er spreche auch noch regelmäßig mit Scholz und Habeck. Kommende Woche, so ist zu hören, könnte nach langer Zeit ein Koalitionsausschuss mit Spitzenvertretern der drei Ampel-Parteien anstehen.
Viel Zeit bleibt jedoch bis zum geplanten Ende der Haushaltsverhandlungen Mitte November nicht. Dennoch will der Kanzler dem Vernehmen nach noch weitere Gespräche mit den Industrievertretern führen. „Das, was dabei rauskommt, werde ich diesem Parlament vorschlagen, auch auf den Weg zu bringen, damit es vorangeht in Deutschland“, hatte er im Bundestag versprochen.
In der Wirtschaft herrscht derweil Alarmstimmung. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) rechnet auch 2025 nicht mit einer Erholung. Die Rückmeldungen der Unternehmen in einer aktuellen DIHK-Konjunkturumfrage ließen vielmehr befürchten, dass es noch schlechter kommen könnte, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben am Morgen. Nach einer Stagnation im laufenden Jahr rechnet die DIHK auch für das kommende Jahr lediglich mit einem Null-Wachstum. Dies wäre dann das dritte Jahr in Folge ohne realen Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt – und deutlich weniger als die Regierung erwartet, die noch auf 1,1 Prozent Wachstum im Wahljahr hofft.
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