/ Die äußerste Grenze der EU: Die Journalistin Bettina Rühl über Luxemburgs Partnerland Niger
Niger ist eines der ärmsten Länder der Welt. Doch mittlerweile geben sich Europas Politiker in dem westafrikanischen Staat die Klinke in die Hand – hier beginnt Europas Grenzpolitik. Ein Gespräch mit der deutschen Journalistin Bettina Rühl über einen Staat, in dem die EU Schlepper entschädigt und wo Migranten Kunden sind.Zur Person
Zur Person: Die mehrfach ausgezeichnete deutsche Journalistin Bettina Rühl arbeitet seit 1988 freiberuflich und schwerpunktmäßig zu Afrika und lebt in Nairobi, Kenia. Bettina Rühl ist Mitglied im Weltreporter-Netzwerk.
Tageblatt: Was würden Sie jemandem als Erstes zu Niger sagen, der das Land nicht kennt?
Bettina Rühl: Ich würde die Schönheit der Wüste erwähnen, die Abgelegenheit. Früher hätte ich auch von der Ruhe und der Verschlafenheit von Niamey gesprochen. Und den Niger würde ich erwähnen, den Fluss.
Lässt sich Niger noch bereisen?
Sicherheitshinweise empfehlen, nicht aus Niamey rauszufahren. Als Journalistin ist das für mich ein bisschen anders, ich bereite solche Reisen anders vor und habe die Sicherheitsaspekte im Blick. Aber Touristen würde ich das im Moment nicht empfehlen.
Hat sich die Sicherheitslage in den vergangenen Jahren verändert?
Sie hat sich durchgehend verschlechtert. Viele Regionen sind vergleichsweise stabil, aber in den Grenzregionen zu Mali ist es extrem problematisch, genauso wie im Süden. Kämpfer der Terrorgruppe Boko Haram dringen aus dem Nachbarland Nigeria in den südlichen Bereich Nigers ein und sind dort so präsent, dass etliche Schulen geschlossen sind. Immer wieder werden Dörfer überfallen, die Leute haben wirklich ein riesiges Problem – und zwar primär mit importierter Gewalt.
Hat Niger keine eigenen islamistischen Gruppierungen?
Es gibt eigentlich keine islamistischen Gruppen, die im Niger entstehen. Das Hauptproblem sind die Gruppen, die aus den Nachbarländern kommen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu den Nachbarstaaten.
Warum ist das so?
Die Ursache dieser Gewalt ist Studien zufolge – und auch meiner Meinung nach – das Gefühl von ungerechter Verteilung von Ressourcen und von Menschenrechtsverletzungen durch den eigenen Staat. Dass Niger offensichtlich nicht das Gefühl von Ausgeschlossenheit mancher Bevölkerungsgruppen erzeugt, dass es trotz viel Chaos doch relativ stabil bleibt, ist bemerkenswert.
Länderinfos Niger
Niger ist mit seinen 1,26 Millionen Quadratmetern knapp doppelt so groß wie Frankreich und zählt 21,5 Millionen Einwohner. In der Hauptstadt Niamey leben etwas mehr als eine Million Menschen. Niger ist eine Republik, Präsident Mahamadou Issoufou ist seit 2016 in seiner zweiten Amtszeit. Niger liegt in Westafrika und leidet vergleichsweise weniger unter islamistischem Terror als andere Staaten der Sahelzone wie etwa Mali oder zuletzt vermehrt auch Burkina Faso, beides Nachbarstaaten Nigers. Trotzdem sollten Touristen Niamey nicht verlassen und auch dort ist die Militärpräsenz hoch. Uran (38%) und Öl (17%) machen zusammen mehr als die Hälfte der Exporte Nigers aus. Das BIP pro Kopf lag im Jahr 2018 bei 477,07 Dollar. Damit rangiert Niger auf Platz acht in der Liste der ärmsten Länder der Erde.
Wie stark sind die Auswirkungen des Libyen-Kollapses auf Niger?
Erheblich, aber das gilt für die ganzen Sahel-Länder. Ohne den Kollaps Libyens würde es die ganzen Schwierigkeiten in den Sahel-Staaten so nicht geben. Das hat 2011 angefangen, Gaddafi hatte viele Tuareg-Söldner aus den Sahel-Staaten, und davon sind etliche – gut bewaffnet aus dem Fundus von Gaddafi – zurückgekehrt in ihre Heimatländer, viele nach Niger und Mali. Das Problem ist alt, diese Grenze ist durchlässig. Was rüberkommt, sind vor allem Waffen. Geschmuggelt wird weiterhin.
Niger ist wichtiger Uran-Lieferant Frankreichs. Was hat das für einen Einfluss auf die Beziehungen beider Länder?
Frankreich hat natürlich große wirtschaftliche Interessen in Niger, und das ist sicher ein entscheidender Grund dafür, dass es in der Region seit 2014 auch militärisch sehr präsent ist. Mit einer Militäroperation namens „Barkhane“, die Burkina Faso, Niger, Mali, Mauretanien und Tschad umfasst. Dabei geht es offiziell um den Kampf gegen islamistische Terrorgruppen. Frankreich will damit sicher auch seine Wirtschaftsinteressen sichern – 2013 hat eine islamistische Terrorgruppe einen Terroranschlag auf eine Uranmine im Norden von Niger verübt. Betrieben wird sie von einem Tochterunternehmen des französischen Staatskonzerns Areva. Es ist umstritten, wie sehr der Uranabbau zum wirtschaftlichen Segen Nigers geworden ist. Der Großteil der Gewinne geht nach Frankreich, Obwohl der nigrische Staat an den Tochterunternehmen beteiligt ist, die den Abbau durchführen. Ein weiteres Problem sind die gesundheitlichen Folgen des Uranabbaus für die Arbeiter und die Bevölkerung.
Zuletzt stand Niger im Fokus vieler europäischer Staaten, wenn es um Fluchtrouten ging. Welche Rolle spielt Niger in der Flüchtlingspolitik der Europäer?
Tatsächlich haben sich Europas Staats- und Regierungschefs in Niger zuletzt die Klinke in die Hand gegeben. Niger hat viel Geld bekommen. Die EU versucht, ihre Grenze hierher vorzuverlagern. Seit Ende 2015 dürfen sich afrikanische Ausländer nördlich von Agadez nicht mehr bewegen. Dabei gehört Niger zum Westafrikanischen Wirtschaftsraum, der im Grunde allen Westafrikanern Bewegungsfreiheit bietet – visafrei, bis zu drei Monate. Dem widerspricht das neue nigrische Gesetz. Die EU pumpt reichlich Geld in den Niger – und das ist mehr oder weniger der Ausgleich. Fluchtursachenbekämpfung ist als Begriff aus der Mode gekommen, aber das ist die Idee dahinter.
Wir kaufen uns mit europäischem Geld eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit in Niger?
Die EU weist das zurück unter dem Hinweis, dass Niger ein souveräner Staat ist. Aber es ist schon eindeutig, auch meinen Recherchen nach, dass die EU Niger motiviert hat, den Transport von Ausländern in der Region zu verbieten. Im Austausch gegen Finanzhilfen vor allem für die Schlepper, die jedoch in der versprochenen Höhe und in einem einigermaßen vertretbaren Zeitraum nicht eingetroffen sind.
Grafik: Tageblatt
Finanzhilfen für Schlepper?
Ja, damit sie sich alternative Einkommensquellen aufbauen können. Denn bis 2015 waren die „Schlepper“ einfach Transportunternehmer, sie hatten ein legales Geschäft. Obwohl die EU auch da schon von Schleppern gesprochen hat. Aber sie sind damals ganz offen mit ihrem Gewerbe umgegangen, das war ja damals auch legal. Sie haben die entsprechenden Steuern und Abgaben gezahlt und die Migranten unter aller Augen von Agadez aus ganz gemütlich an die libysche Grenze gefahren.
Wie ist es jetzt?
Die Zahl ist deutlich zurückgegangen. Die Migration hat nicht vollständig gestoppt, doch ist sie jetzt kriminalisiert. Und wie das so ist, wenn etwas illegal ist, hat sich das Geschäft verhärtet. Das ist alles ein zweischneidiges Schwert. Wie viele Menschen sterben, ist schwer zu sagen, weil das in Wüstenregionen stattfindet, wo kein Mensch entlangkommt – das ist ja das Problem. Während das früher über die normalen Pisten ging und sich Transportunternehmer/Schlepper häufig Militärkonvois angeschlossen haben, um sich vor Kriminellen zu schützen, fahren sie jetzt alleine und ohne Schutz vor Überfällen.
Die EU betreibt in Niger ihr Resettlement-Programm. Dabei geht es um Menschen, die vom UNHCR aus Libyen zurück nach Niger gebracht werden, dort in Lagern unterkommen und je nachdem in einzelne EU-Länder geflogen werden. Das ist legale Migration ohne den gefährlichen Weg über das Mittelmeer. Wie sehen Sie das Programm?
Europa hat sich zahlenmäßig nicht überschlagen. Es sind Tausende in Niger – und es ist für viele der einzige Weg, noch einmal aus Libyen rauszukommen, wo noch Zehntausende mehr sitzen. Diese Zahlen muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: 50 Menschen vielleicht nach Luxemburg, und mal 150 nach Italien, Deutschland hat 273 genommen. Für diejenigen ist das großartig. Aber Niger, einer der ärmsten Staaten der Welt, muss sich um viele Tausende kümmern. Niger leistet viel und hat auch gesagt, dass es mehr nicht stemmen kann und möchte. Jetzt hat sich Ruanda bereit erklärt, Menschen, die aus Libyen evakuiert werden, aufzunehmen – damit dann Delegationen aus Europa sich die Leute, die sie aufnehmen wollen, dort in einem sicheren Bereich aussuchen können.
Funktioniert das wirklich so? Wie wird festgelegt, der darf und der darf nicht?
Ich habe mal versucht, eine deutsche Delegation bei dem Auswahlverfahren zu begleiten, aber da lässt man sich nicht in die Karten schauen. Klar ist, dass sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge nicht infrage kommen und Menschen aus Äthiopien und Eritrea recht gute Chancen haben. Die werden vom UNHCR vorinterviewt, dann kommen die Delegationen und sprechen noch mal mit ihnen. Mein Verdacht war, dass da die kräftigen, attraktiven, die mit den besten Schulabschlüssen ausgesucht werden. Aber dafür habe ich keine Belege gefunden. Humanitäre Kriterien spielen eine große Rolle, sofern sich das alles auf die Schnelle überhaupt überprüfen lässt.
Sehen Sie da Schwierigkeiten?
Das Hauptproblem an diesem Programm ist, dass die Vorauswahl in Libyen stattfindet, wo es drunter und drüber geht. Und ich nicht sicher bin, dass da immer die Bedürftigsten herausgesucht werden. Oder es die sind, die halt das Glück hatten, ausgewählt zu werden – und dann hocken sie noch monatelang im Niger und müssen da erneut ausgewählt werden. Aber gut, was will man machen. Als ich mit dem UNHCR in Niger gesprochen habe, haben die gesagt, wir müssen dankbar sein für jedes Leben, das wir retten oder erleichtern. Demnach: Das UNHCR findet das erfolgreich – und ich finde es eher deprimierend, wie viele Leute da immer noch ohne Hilfe zurückbleiben.
Wie geht Niger mit Migration um?
Migranten auf dem Weg nach Libyen, das waren Kunden. Davon lebten diese Regionen. Alle verdienten daran. Die Leute brauchten Proviant, Telefonkarten, Wasser, Transportmöglichkeiten. Für die Bevölkerung in den Wüstenregionen war dieser neue Wirtschaftszweig sehr willkommen, nachdem viele ihre Kamelherden durch schwere Dürren verloren hatten und die Touristen aus Sicherheitsgründen nicht mehr anreisten. Die Migranten, die infolge des libyschen Kollapses von 2011 erstmals vermehrt kamen, waren da eine wunderbare Einnahmequelle.
Die aber wieder etwas versiegt ist, oder?
Für die Bevölkerung ist das ein Problem. Die sagt jetzt: Also Moment mal, unsere Regierung hat das auf Wunsch der EU gestoppt und die EU hat uns bestimmte Leistungen versprochen. Die EU macht auch alles Mögliche, aber konkret die Versprechen, die den Transportunternehmern oder „Schleppern“ wegen der Verschärfung der Migrationsgesetze in Aussicht gestellt wurden, sind nicht in dem gewünschten Tempo und nicht in der Höhe geflossen.
30 Jahre Partnerschaft mit den Menschen der Wüste
Es sollte die erste Reise für Paulette Lenert werden als neue Ministerin der Entwicklungszusammenarbeit. Anfang des Jahres war das. Sicherheitsbedenken verhinderten das. Der Besuch musste kurzfristig verschoben werden.
In der Tat ist Niger die vergangenen sechs Monate mehr und mehr zum Ziel islamistischer Anschläge geworden. Vor allem die südlichen Regionen sind betroffen. Auch wenn es Nachbarstaaten wie Burkina Faso und Mali, die ebenfalls Partnerländer der Luxemburger Kooperation sind, bislang ungleich härter getroffen hat, besteht ebenfalls in Niger erhöhte Alarmbereitschaft: Touristen wird empfohlen, die Hauptstadt Niamey nicht zu verlassen, die Militärpräsenz im Land wurde deutlich ausgeweitet.
Mit Dr. Lalla Malika Issoufou, der zweiten Frau des nigrischen Präsidenten Mahamadou Issoufou und Première Dame des Landes, hat Paulette Lenert eine von Luxemburg mitfinanzierte Kinderkrippe besichtigt (Foto: MAEE)
Trotzdem wurde der Auslandsbesuch von Paulette Lenert jetzt nachgeholt. Seit vergangenem Donnerstag ist die LSAP-Ministerin zusammen mit einer kleinen Delegation in Niger unterwegs. Schließlich galt es, 30 Jahre Kooperation mit Niger, einem der ärmsten Staaten der Welt, zu würdigen. Das jetzige gemeinsame Programm läuft kommendes Jahr aus. Auch deswegen sei es wichtig gewesen, zu schauen, wo wir dran sind, sagt Paulette Lenert, die wir am Sonntagmorgen am Telefon in Niamey erreichen.
Nicht alle Projekte kämen gleich gut voran, sagt sie. „Nicht so, wie wir uns das wünschen“, bedauert die Ministerin, verweist dabei aber auf die „verschlechterte Sicherheitsituation im Land“, die „einen Niederschlag auf unsere Kooperationsarbeit hat“. Die „Commission de partenariat“ – das Zusammenkommen mit den Autoritäten des Ziellandes – sei aber gut verlaufen, man habe „offen reden“ können. Hierbei wurde auch die Erhöhung des Budgets des jetzigen Kooperationsabkommens um 11,5 Millionen Euro beschlossen, womit der Fünfjahresbetrag auf insgesamt 97,5 Millionen Euro steigt.
Upgrade zur Botschaft
Während ihrer Tage in Niger traf die Luxemburger Ministerin auch den Präsidenten, den Premierminister und den Außenminister Nigers sowie den Verteidigungsminister, in dessen Beisein ein Krankenwagen an das Sahel-Militärbündnis G5Sahel überreicht wurde. Die besichtigten humanitären Projekte konzentrieren sich Paulette Lenert zufolge besonders auf den Bereich der Aufklärungs- und Präventionsarbeit mit Frauen und Mädchen. Im Hintergrund schwebt der demografische Wandel, mit dem Niger konfrontiert ist. Frauen werden so etwa mittels Sexualerziehung vor zu frühen Schwangerschaften gewarnt. Besichtigt wurde auch eine Kinderkrippe, die es jungen Müttern erlaubt, ihre Kinder dort betreuen zu lassen, um selber weiter studieren zu können.
Ein weiterer wichtiger Punkt des Niger-Besuches betraf Paulette Lenert zufolge die Sicherheit der eigenen Mitarbeiter vor Ort. Dabei handele es sich sowohl um die Angestellten in den Büros wie um die LuxDev-Mitarbeiter, die die einzelnen Projekte im Land durchführen. Was wohl auch höchste Zeit ist, wenn man bedenkt, dass in der Luxemburger Diplomatie-Vertretung in Nigers Hauptstadt lange Jahre nicht einmal ein Metalldetektor vorhanden war. Im Rahmen der Reise wurde schlussendlich verkündet, dass das Botschaftsbüro in Niamey heraufgestuft wird und jetzt zu einer richtigen Botschaft wird, die von einem „Chargé d’affaires“ geführt werden soll.
Niger und Luxemburg
Niger ist seit 30 Jahren Partner- und Zielland der Entwicklungszusammenarbeit Luxemburgs. Das 2016 begonnene und bis 2020 laufende Kooperationsabkommen umfasst ein Budget von 86 Millionen Euro. Insgesamt hat Luxemburg seine Partnerländer der Sahelzone – neben Niger noch Senegal und die beiden genannten Mali und Burkina Faso – im Jahr 2018 mit 102 Millionen Euro unterstützt.
Im Rahmen des Resettlement-Programms der EU nimmt Luxemburg 50 Schutzbedürftige aus Niger auf.
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hat diese zuvor aus libyschen Lagern nach Niger gebracht. Das Resettlement-Programm ist eine Form der legalen Migration, der gefährliche Weg über das Mittelmeer entfällt so und damit auch die illegale Einreise nach Europa.
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