Luxemburg / Die Initiative „Projet WG“ bringt Menschen zusammen – und die Nachfrage steigt
Der Wohnungsmarkt ist seit Jahren ein Aufreger im Land. Dabei geht es meistens um die Preise für Apartments oder Häuser und das knappe Angebot. Wer eine Immobilie besitzt, hat es geschafft. Das gehört zum Status. Wohngemeinschaften wirken in diesem Umfeld eher fremd. Wirklich? Der Aktivitätsbericht von „Life Asbl“, zu der „de WG Projet“ gehört, belehrt schnell eines Besseren. WGs sind im Aufwind – aus vielerlei Gründen.
Die Mobilnummer von Gary Diderich (40) ist begehrt. An diesem Tag kam der letzte Anruf von der Tochter eines Opernsängers, die händeringend ein Zimmer sucht. Auf der Warteliste stehen aktuell rund 300 Menschen. Diderich ist einer der führenden Köpfe hinter „de WG Projet“, einer Initiative, die sich auf das Gründen von WGs spezialisiert hat. Er ist außerdem Sprecher der Partei „déi Lénk“.
Das Thema Wohnen treibt ihn schon lange um. Joel und Bsrat wohnen erst seit ein paar Wochen in dem Haus mit Garten in Dippach. Noch hängen keine Schnappschüsse von gemeinsamen Essen oder andere Erinnerungen an den Wänden in dem großen Gemeinschaftsraum. Zwar versprühen die Sofas einladende Gemütlichkeit, aber die WG-Seele muss sich erst entwickeln.
Die beiden sind zwei von den insgesamt vier Bewohnern, beide anerkannte Asylbewerber und in Ausbildung. „Wir sind dabei, uns zusammenzufinden“, sagt Joel. Das Innere des Hauses ist so aufgeteilt, dass sich jeder in seine eigenen vier Wände zurückziehen kann. Noch gibt es keine Streitereien über nicht rechtzeitig rausgestellte Mülltonnen oder wegen des Putzplans, der nicht eingehalten wird oder Mitbewohner mit unterschiedlichen Ruhebedürfnissen.
WG als Erweiterung des Horizonts
„Wir sind da, wenn es Probleme gibt, und versuchen, eine Lösung zu finden“, sagt Diderich. „Wir“, das sind die Aktiven beim „WG Projet“, die an die Idee WG als Wohnform glauben und die Immobilien mieten. Marinella Rinaldis (44) ist eine davon. Die „Éducatrice“ in einem Flüchtlingsheim lebt selbst in einer WG. Sie hat sie in ihrem eigenen Haus aufgemacht. „Ein Haus macht nur Sinn, wenn es voll ist“, ist ein typischer Satz der WG-Verfechterin. Oder: „Andere Lebensformen kennenzulernen, ist für mich ein immenser Reichtum.“
So ähnlich könnte das auch Ivana Vujovic (20) gesagt haben. Sie lebt in Niederkorn in einer WG aus acht Personen, die aus fünf verschiedenen Ländern stammen. Es war ihre Chance, zu Hause auszuziehen und sie genießt die Gesellschaft. Die Bilanz der Initiative ist erstaunlich. 2021 hat die Initiative 113 Menschen in 20 WGs untergebracht. Weitere 33 Menschen sind in acht Wohnungen untergekommen.
30 dieser 146 Personen waren zu dem Zeitpunkt anerkannte Asylbewerber. In einem Land, in dem Haus- oder Apartmentbesitzer der Normalfall sind, war dieser Erfolg nicht abzusehen. WGs gehörten bislang nicht zum gesellschaftlichen Allgemeingut der Lebensform. Das hat sich geändert – auch auf Besitzerseite. Rund 2.500 Euro könnte der Eigentümer des Hauses in Dippach, in dem jetzt gerade die WG entsteht, monatlich einnehmen.
Immer mehr Immobilienbesitzer lassen sich darauf ein
„Er hat längere Zeit vermietet, aber schlechte Erfahrungen damit gemacht“, sagt Diderich. Verkaufen ist wegen seiner Kinder, die im Ausland studieren, keine Option. Die Vermietung auf Zeit ist da eine Alternative. Drei Jahre läuft der Mietvertrag mit „Life“, dem Hauptmieter, der auch dann bezahlt, wenn nicht alle Zimmer belegt sind.
Dann haben die Kinder – wieder zurück in Luxemburg – freie Hand. Dass der Besitzer in dieser Zeit rund 1.000 Euro weniger einnimmt, wird entgegen aller Erwartungen in Kauf genommen. Das ist kein Einzelfall mehr. „de WG Projet“ wird regelrecht überrannt mit Angeboten und Anfragen. 2020 kauft der Verein sogar ein Haus, ein zweites kommt hinzu. Die mediale Aufmerksamkeit bringt Schwung in die Sache.
„Seitdem konnten wir sozusagen fast jeden Monat eine WG eröffnen“, sagt Diderich. Das frühere Hindernis der „Haushaltsgemeinschaft“ hat die Initiative ausgeschaltet. Demnach müssen im Notfall andere WG-Mitglieder finanziell einspringen, wenn einer der Bewohner in Not gerät und „Revenu d’inclusion sociale“ (Revis) bezieht. Bei „de WG Projet“ hat jeder Bewohner seinen eigenen Mietvertrag mit einer Asbl und nicht mit dem Eigentümer der Immobilie.
Die Preise sind im Gegensatz zu den berüchtigten „Kaffis-Zëmmeren“ oder möblierten Zimmern mit 300 bis 600 Euro pro Monat moderat. Auf einschlägigen Immobilienportalen kosten möblierte Zimmer in Luxemburg zwischen 800 und 1.000 Euro monatlich. Da kommen in einem Haus mit mehreren Zimmern schnell mehrere Tausend Euro monatliche Einnahmen zusammen.
Diderich und seine Mitstreiter sind ursprünglich angetreten, dem Wucher etwas entgegenzusetzen. Zwischenzeitlich ist es mehr und mehr zu einem sozial-gesellschaftlichen Engagement geworden. Ohne dass es so heißt, ist es dringend notwendige „Gestion locative sociale“.
„de WG Projet“
Die Initiative beschäftigt mittlerweile vier Personen in Teil- und Vollzeit. Eine Person deckt die Aufgaben der Verwaltung ab. Die drei anderen sind Servicetechniker, die in den gemieteten Objekten nach dem Rechten schauen. Im Rahmen der „Gestion locative sociale“ (GLS) ist die Miete gedeckelt. Im Gegenzug für die reduzierte Miete brauchen Vermieter nur auf 50 Prozent der Mieteinnahmen Steuern zu bezahlen. In den letzten drei Jahren sind Generationen übergreifende WGs, WGs für Alleinerziehende, Frauen oder junge Erwachsene entstanden sowie interkulturelle WGs wie die in Dippach.
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Für eine WG muss man gemacht sein. Nicht jeder kann wgën.
Wenn die Gäste ausgezogen sind, braucht das Haus eine Generalrevision!