Hintergrund / Worum es bei der Europawahl geht – und wie die nächste EU-Kommission besetzt wird
Für das Europaparlament steht es außer Frage: Die Europawahl am 9. Juni ist ein historisches Ereignis. „Nutze deine Stimme, sonst entscheiden andere für dich“, wirbt das Parlament um eine hohe Wahlbeteiligung. Diesmal gehe es um die Verteidigung der Demokratie, mahnt Parlamentspräsidentin Roberta Metsola.
Doch wer die Demokratie gefährdet, sagt Metsola nicht. Sind es die Rechten? Gilt es, die EU gegen die AfD und Putin zu verteidigen? Oder ist der eigentliche Gegner eine niedrige Wahlbeteiligung? Schwer zu sagen. Die Botschaften zur Europawahl sind aufrüttelnd und dramatisch, aber auch diffus und vage.
Das war nicht immer so. Bei der letzten Wahl 2019 war noch klar, worum es ging: ums Klima – und um die Besetzung der EU-Spitze. Der konservative Spitzenkandidat Manfred Weber und der sozialdemokratische EU-Kommissar Frans Timmermans traten damals an, um zu führen. Der Wahlsieger, so hieß es, werde Kommissionspräsident. Doch es ist anders gekommen. Am Ende wurde es Ursula von der Leyen, die nicht einmal kandidiert hatte. Der sogenannte Spitzenkandidaten-Prozess ist damals krachend gescheitert, der demokratische Schaden wurde bis heute nicht behoben. Das Parlament hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Regeln zu erklären.
Dabei sind sie recht einfach: Die rund 373 Millionen Wahlberechtigten in der EU wählen am 9. Juni 720 Abgeordnete, davon 96 aus Deutschland und sechs aus Luxemburg. Diese dürfen dann – nach der Konstituierung des neuen Parlaments vermutlich im Juli – die neue Kommissionsspitze wählen.
Das Vorschlagsrecht hat allerdings nicht das Parlament, sondern der Europäische Rat – also die Staats- und Regierungschefs. Die Entscheidung über die nächste EU-Kommission fällt deshalb auch nicht bei der Europawahl am 9. Juni, sondern beim EU-Gipfel am 27. und 28. Juli.
Unterstützung vieler Chefs
Eine echte Chance hat nur von der Leyen. Sie kandidiert zwar nicht für einen Parlamentssitz und steht daher auch nicht auf den Wahlzetteln für die Europawahl. Direkt wählen kann man sie nicht. Doch sie kommt aus der Europäischen Volkspartei, die in den Umfragen vorn liegt.
Zudem haben sich viele Chefs, neben dem luxemburgischen Premierminister Luc Frieden auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz, bereits für eine zweite Amtszeit der EVP-Politikerin ausgesprochen. Scholz unterstützt zwar auch den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Nicolas Schmit aus Luxemburg. Doch einen Wahlsieg trauen ihm nicht einmal die eigenen Genossen zu.
Gewiss, von der Leyen ist umstritten. Die Europäische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sie und ihre Behörde – es geht um eine milliardenschwere Impfstoff-Beschaffung beim US-Pharmakonzern Pfizer im Jahre 2021, das sogenannte Pfizergate. Für Ärger sorgt auch von der Leyens Flirt mit rechten Parteien und Politikern. Sie will mit Italiens postfaschistischer Regierungschefin Giorgia Meloni und all jenen Kräften im Europaparlament zusammenarbeiten, die sich zur EU, zur Ukraine und zum Rechtsstaat bekennen – die EKR-Partei eingeschlossen. Damit öffnet sie den Kreis weit nach rechts – bis hin zur ehemaligen polnischen Regierungspartei PiS.
Es könnte sehr knapp werden
Dass sie rechts blinkt und wechselnde Mehrheiten anstrebt, hat sogar Kanzler Scholz alarmiert. „Für mich ist klar, wenn die nächste Kommission gebildet wird, darf sie sich nicht auf eine Mehrheit stützen, bei der es auch die Unterstützung von Rechtsextremen braucht“, sagte er.
Ob das reicht, um von der Leyen vom Thron zu stoßen, bleibt abzuwarten. Selbst wenn – der oder die Ersatzkandidatin würde wiederum vom EU-Gipfel ausgesucht. Die Wähler haben bei dieser wichtigen Personal-Entscheidung nichts mitzureden – auch wenn das Parlament einen anderen Eindruck erweckt.
Die frisch gewählten Abgeordneten kommen erst später zum Zuge: wenn es gilt, die neue Kommissionsspitze zu bestätigen. Beim letzten Mal ist es dabei sehr knapp geworden. Von der Leyen bekam nur neun Stimmen „über den Durst“. 383 Abgeordnete stimmten für sie, 374 waren für die Mehrheit nötig. Diesmal könnte es noch enger werden.
Sozialdemokraten, Grüne und Linke drohen bereits damit, von der Leyen nicht zu unterstützen, wenn diese mit Rechten gemeinsame Sache macht. Ob es so weit kommt, entscheidet sich aber ebenfalls erst nach der Europawahl; die Wähler haben darauf keinen direkten Einfluss.
- Was läuft am Wochenende? - 28. November 2024.
- EU-Parlament gibt grünes Licht für von der Leyens Kommission - 27. November 2024.
- Eine Person lebensgefährlich verletzt – Experten ermitteln, Straße bleibt noch gesperrt - 27. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos