Spanien / Wut und Solidarität im Zeichen der Not: Wie freiwillige Helfer die Lasten der Flut tragen
Tausende fühlten sich nach den tödlichen Fluten in Spanien von den Behörden im Stich gelassen. Die Wut der Betroffenen entlädt sich, während Solidarität aus aller Welt ein Zeichen setzt. Ein gebürtiger Valencianer berichtet vom Leid der Betroffenen.
Spanien erlebte Ende November eine Naturkatastrophe von erschütterndem Ausmaß: Verheerende Fluten rissen mehr als 220 Menschen in den Tod und verwüsteten weite Landstriche. Kaum zwei Wochen später folgte eine neue Welle heftiger Unwetter, diesmal konzentriert auf die Provinzen Málaga und Tarragona. Erneut verwandelten starke Regenfälle Straßen in reißende Ströme und sorgten für weitreichende Überschwemmungen. Marc Cascant (47), gebürtiger Valencianer und seit 2013 in Luxemburg ansässig, berichtet dem Tageblatt, wie seine Angehörigen die Katastrophe hautnah erlebten.
Die Städte Paiporta, Alfafar, Albal und Catarroja, die Cascant mit seiner Kindheit verbindet, standen unter Wasser – verwüstet von Überschwemmungen, die alles mit sich rissen, Menschenleben kosteten und Familien in tiefer Not zurückließen. Physisch gehe es Bekannten und Familie gut, doch „das Trauma ist da, und die Wut ebenso“, berichtet er. Die Betroffenen würden sich von den Behörden im Stich gelassen fühlen. Ihr angestauter Frust entlud sich beim Besuch des Königspaars am 3. November im Katastrophengebiet – sechs Tage nach Beginn der Unwetter. Die Flutopfer warfen Schlamm und Gegenstände auf das Paar und riefen ihnen „Mörder“ entgegen. Ihr Besuch wurde infolgedessen vorzeitig abgebrochen.
Grenzüberschreitende Solidarität
Der Unmut der Menschen sei nachvollziehbar, meint Cascant: Zum Zeitpunkt des offiziellen Besuchs sei weder von der Zentralregierung noch von der Valencianischen Regierung Hilfe mobilisiert worden. Die erste Hilfe habe es von tausenden Freiwilligen, ausgestattet mit Schaufeln und Eimern, und lokalen NGOs gegeben. Menschen unterschiedlichster Herkunft und Gesellschaftsschichten hätten sich selbst organisiert, um zu retten, was noch zu retten war. Cascant zeigt sich tief beeindruckt von der Solidarität, die selbst über Landesgrenzen hinausging: Auch aus den Herkunftsländern vieler Einwanderer – etwa Marokko und Rumänien – seien finanzielle und materielle Hilfen eingetroffen. „Es ist eine Solidarität ohne Grenzen, die weit über kulturelle Unterschiede hinausgeht“, meint Cascant.
Als Mitarbeiter von „Amnesty International Luxembourg“ wird Cascant bei diesem Gedanken politisch: Die Solidarität stehe in krassem Gegensatz zu dem Bild, das die extreme Rechte verbreite. Diese nutze die Katastrophe, um Migration für die prekäre Finanzlage und Infrastruktur verantwortlich zu machen und das Land zu spalten. Sogar für Plünderungen, die in manchen Gegenden aus Nahrungsmangel entstanden, wurde Migration als Sündenbock herangezogen.
Mangel an politischer Weitsicht
„Was wir erleben, ist eine klare Auswirkung des Klimawandels und des Mangels an politischer Weitsicht, und wir zahlen den Preis mit unserem Leben und unserer Sicherheit“, kritisiert Cascant. Diese Katastrophen würden die tiefgreifenden und schnellen Klimaveränderungen widerspiegeln, die sich immer stärker und häufiger manifestieren. Die jüngsten Fluten verursachten Schäden in Milliardenhöhe.
Meteorologen erklären, dass die Unwetter auf das für den Mittelmeerraum charakteristische Phänomen des „Kalten Tropfens“ („Gota Fría“ auf Spanisch) zurückzuführen sind. Dabei treffen stark abgekühlte Luftmassen aus der oberen Atmosphäre auf aufsteigende warme, feuchte Luft vom Mittelmeer. So bilden sich massive Gewitterwolken. Wetterexperten erklären sich die Heftigkeit des Phänomens durch das sich zunehmend erwärmende Mittelmeer.
Die zunehmende Gefahr durch derartige Unwetter in Valencia, stelle nicht nur eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit der Einwohner dar, sondern auch für die lokale Wirtschaft, die in erster Linie auf dem Tourismus, der Landwirtschaft und kleinen Unternehmen basiere, meint Cascant.
Protest
Nach den verheerenden Überschwemmungen im Osten Spaniens haben in der Küstenmetropole Valencia deutlich mehr als 100.000 Menschen gegen das Krisenmanagement der Behörden demonstriert. Die Regionalbehörden sprachen am Samstag von 130.000 Teilnehmern. Viele der aufgebrachten Bürger forderten den Rücktritt von Regionalpräsident Carlos Mazón. In anderen spanischen Städten wie Madrid und Alicante beteiligten sich tausende weitere Menschen an Protesten.
Die Empörung der Menschen über das Krisenmanagement in den rund 80 Städten und Gemeinden der Region richtet sich insbesondere gegen den Regierungschef der Region Valencia, Carlos Mazón von der konservativen Volkspartei PP. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, viel zu spät auf die Warnung der spanischen Wetterbehörde Aemet reagiert zu haben und nach dem Einsetzen des heftigen Regens stundenlang abwesend gewesen sein.
Einige Menschen in den betroffenen Gebieten berichteten, dass die Warnnachrichten erst auf ihren Handys eingegangen seien, als das Hochwasser bereits zahlreiche Autos mit sich gerissen hatte. Die Notfallbeauftragte der Region, Salomé Pradas, hatte am Donnerstag zugegeben, dass sie das Alarmsystem nicht gekannt habe – zog ihre Äußerung aber später zurück.
Mehr zu diesem Thema:
– Luxemburgerin in Spanien/ „Nach all dem, was passiert ist, ist man verunsichert“
– Spanien/ Wenn die „angekündigte Katastrophe“ Realität wird
– Spanien/ Sintflut nun auch in Barcelona: Warum sich in Valencia die Wut entlädt
– Spanien/ Menschen in spanischem Hochwassergebiet bereiten Königspaar wütenden Empfang
– Spanien/ Zahl der Toten steigt auf 213
– Königspaar sucht Überschwemmungsgebiete auf
– Spanien/ Die Folgen der Regenkatastrophe in Valencia werden auch im Rest Europas zu spüren sein
- Polizei meldet Sprengung eines Geldautomaten in Reisdorf - 17. Januar 2025.
- Nach Autopsie: Ministerin Hansen gibt weitere Details zu Todesursache - 17. Januar 2025.
- Navid Kermani: „Die großen Probleme unserer Zeit lassen sich nicht national lösen“ - 16. Januar 2025.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos