Schutz vor Covid / X-Chromosome und Östrogen: Wieso das Geschlecht auch in der Medizin eine Rolle spielt
Männer erleben deutlich häufiger einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung als Frauen. Forscher weltweit versuchen herauszufinden, woran das liegt. Hormone und Gene könnten dabei eine große Rolle spielen.
Seit mehr als einem Jahr hat das Coronavirus Luxemburg fest im Griff. Seitdem sind 784 Personen an oder mit dem Virus gestorben. Weltweit hat das Virus mehr als 2,9 Millionen Tote gefordert (WHO, Stand, 14.4.2021 17.16 Uhr). Genauere Analysen der weltweiten Statistiken zeigen: Obwohl sich Frauen und Männer etwa gleich oft anstecken, haben Männer häufiger einen schwereren Verlauf der Krankheit. Als Beispiel: Auf jede zehn Frauen, die so schwer erkranken, dass sie auf der Intensivstation behandelt werden müssen, kommen 18 Männer. Auf je zehn am oder mit dem Virus verstorbene Frauen kommen weltweit 15 Männer. Aus öffentlich verfügbaren Daten des Gesundheitsministeriums geht hervor, dass auch in Luxemburg bisher mehr Männer als Frauen an Covid-19 verstarben. 54 Prozent der Toten sind männlichen Geschlechts, nur 46 Prozent Frauen. Dabei wurden bisher leicht mehr Frauen positiv getestet (51 Prozent gegenüber 49 Prozent).
Eine eindeutige Erklärung, wieso Männer stärker vom Virus betroffen sind als Frauen, gibt es bisher noch nicht. Einerseits gibt es das Argument, dass Frauen generell gesünder leben als Männer: Sie rauchen zum Beispiel weniger (29 Prozent der Männer gegenüber 25 Prozent der Frauen in Luxemburg). Andererseits wird in der Covid-Krise deutlich, dass allein schon genetisch weibliche und männliche Körper ganz anders auf Krankheiten reagieren. Biologisch gesehen tragen Frauen zwei X-Chromosome in sich, Männer hingegen ein X- und ein Y-Chromosom. Zuständig für das Immunsystem sind aber viele Gene, die ausschließlich auf dem X-Chromosom liegen. Frauen haben demnach ein genetisch deutlich stärker ausgeprägtes Immunsystem und machen es Viren und anderen Pathogenen nicht so einfach.
Östrogen als Schutzschild
Mehrere Studien weltweit könnten einen weiteren Schutzfaktor ausgemacht haben: die weiblichen Geschlechtshormone. Östrogene steuern im Körper der Frau unter anderem den Zyklus und spielen in der Schwangerschaft eine wichtige Rolle. Während der Wechseljahre werden aber immer weniger solcher Hormone ausgeschüttet. Auch in den Körpern der Männer werden die Hormone produziert, aber in deutlich geringerem Maße. Da Östrogene aber eine stimulierende Wirkung auf das Immunsystem haben, könnten sie auch einen Effekt auf den Verlauf einer Viruserkrankung haben, so die Hypothese der Forscher.
In Indien haben Forscher des Sarojini Naidu Medical College den Krankheitsverlauf von 720 Patienten untersucht. Dabei stellten sie fest, dass sich die Sterblichkeitsrate bei Männern auf etwa 19,4 Prozent belief, bei Frauen jedoch nur auf 12,6 Prozent. Als sie die Gruppe der Frauen weiter unterteilten, wurde klar: Prämenopausale Frauen, die also noch deutlich höhere Östrogen-Level haben, waren deutlich weniger gefährdet (8,6 Prozent Sterblichkeitsrate) als Frauen, die schon die Wechseljahre durchlaufen hatten (12,8 Prozent Sterblichkeitsrate). Eine Studie aus England zeigt, dass Frauen die Medikamente zur Hormonersatztherapie einnahmen, weniger stark an Covid-19 erkrankten als andere. „Unsere Befunde unterstützen die derzeitige Hypothese, dass Östrogene einen schützenden Effekt vor einer schweren Covid-19-Erkrankung haben“, schreiben die Forscher in ihrem Exzerpt.
Forscher weltweit gehen davon aus, dass Östrogene den ACE2-Rezeptor herunterregulieren. Also quasi die Türen, durch die sich das Coronavirus in die Zellen einschleicht, fest verschließen. Damit sind schlicht weniger Viren in den Zellen zu Gast und können sich schwerer verbreiten. Gleichzeitig regen die Geschlechtshormone das Immunsystem an, das die Virusinfektion in Schach hält, und könnten so Schlimmeres verhindern. In den USA gibt es erste Ansätze, einen schlimmeren Verlauf präventiv durch den Einsatz von Hormonersatzpräparaten zu verhindern. In Luxemburg wird eine solche Therapie aktuell nicht ins Auge gefasst. Das bestätigt Dr. Annik Conzemius von der Luxemburgischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SLGO) gegenüber dem Tageblatt und weist darauf hin, dass solche Ersatzhormone auch nicht ungefährlich sind. Eine Brustkrebserkrankung wird beispielsweise bei einer Behandlungsdauer von mehr als fünf Jahren wahrscheinlicher. Auf die Frage, ob dem luxemburgischen Gesundheitsministerium die Studien über die Wirkung von Östrogene auf das Coronavirus bekannt sind, heißt es gegenüber dem Tageblatt nur vage: „Die Gesundheitsdirektion verfolgt die großen internationalen Studien sowie die Empfehlungen der WHO und der EMA täglich.“
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