Ein Rückblick / „You fish very well“: Drei Tage Wahlkampf mit Xavier Bettel in Vietnam
Premier Xavier Bettel und Mittelstandsminister Lex Delles, beide DP, waren vergangene Woche in Vietnam. Das Tageblatt hat sie begleitet – und Eindrücke gesammelt von einer seltsamen Reise in einem Jahr, das ein einziger, langer Wahlkampf ist.
Drei Tage Vietnam mit Xavier Bettel und Lex Delles. Das Tageblatt hat die beiden Luxemburger Liberalen auf eine drei Tage lange Reise in die sozialistische Republik begleitet. Es wurde ein Besuch im Schnelldurchlauf. Aber nicht nur das. Es war auch der Auftritt eines Spitzenkandidaten in diesem Wahljahr, das kommunal in seine heiße Phase geht und national schon Fahrt aufgenommen hat.
War die Reise also auch ein Testlauf für die Wochen und Monate des Wahlkampfs, die jetzt noch auf Luxemburg zukommen? Immerhin will Bettel seine DP, ein bisschen wie einst die CSV und Jean-Claude Juncker bei „Juncker on Tour“, mit vier Auftritten unter dem Motto „De Premier no bei Dir“ in den Gemeindewahlen unterstützen. Falls sich Bettel auch daraufhin in Vietnam warmgelaufen hat, kann man sich auf einiges gefasst machen.
In den beiden südostasiatischen Millionenstädten Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt fühlte sich Bettel auf jeden Fall pudelwohl. Auch am Donnerstag, 4. Mai, in Hanoi. Es ist Bettels zweiter Tag in Vietnam. Phạm Minh Chính, seines Zeichens vietnamesischer Premierminister und für einen kommunistischen Kader eine durchaus offene und sympathische Erscheinung, hatte den Besuch des Van Mieu-Literaturtempels zu seiner Ehrensache gemacht. Chính ließ es sich nicht nehmen und führte seine luxemburgischen Gäste höchstpersönlich durch die konfuzianische Tempelanlage mitten in der vietnamesischen Hauptstadt. Das macht er, so hieß es, sonst nie. Bei gut und gerne 35 Grad und südostasiatischer Luftfeuchtigkeit klebten die blütenweißen Hemden der Luxemburger bald an ihren käseweißen Rücken.
Der Stimmung tat das keinen Abbruch. Xavier Bettel war in Show-Laune.
Der offizielle Besuch des luxemburgischen Premiers gemeinsam mit Mittelstandsminister Lex Delles und einer Wirtschaftsdelegation vergangene Woche war auf drei Tage ausgelegt, mit Stationen in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt, also Saigon. Drei Tage, um, das war die Mission, die Beziehungen zu stärken und luxemburgischen Unternehmen Türen zu öffnen.
Es war der erste Besuch eines luxemburgischen Premiers in Vietnam seit mehr als 20 Jahren. Chính war vergangenen Dezember nach Luxemburg gereist. Beide Länder feiern dieses Jahr 50 Jahre diplomatische Beziehungen. Vietnam ist eine aufstrebende Volkswirtschaft. Und wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs sowie einem China, das als zu unsicherer Kantonist gilt, um alle seine Trümpfe dorthin zu setzen, schauen nun viele auf Vietnam – auch Luxemburg.
In seinem Element beim Hämmelsmarsch
Die Anlage mit begrünten Höfen, einem Teich, mehreren Altären und Schreinen sowie Zugängen durch das „Tor des Erworbenen Talents“ oder durch das „Tor der Gewonnenen Tugend“ gilt als Hauptheiligtum Vietnams. Im Van Mieu-Literaturtempel wurden knapp tausend Jahre lang und bis 1915 die Söhne der Mandarine und Hochbegabte aus der bürgerlichen Aristokratie unterrichtet. In einem der Höfe stehen Steinstelen, auf denen die Namen, der Geburtsort und das Ergebnis der Doktorprüfung von mehr als tausend Absolventen der kaiserlichen Akademie eingemeißelt sind.
Hier, 9.000 Kilometer von Luxemburg entfernt und mitten in der Hauptstadt eines der wenigen verbliebenen kommunistischen Länder der Welt, ist Bettel also in seinem Element.
„Elo schwätz mer net vun Diplomer“, lacht Bettel, der im Herbst eine Plagiats-Affäre um das eigene Diplom quasi unbeschadet überstanden hatte, mitten im Pulk aus Delegation und Journalisten, während der vietnamesische Premier historische Erklärungen gibt. Einiges, meist peinlich-berührtes Gelächter, ein paar Vietnamesen schmunzeln mit. Wenig später darf Bettel an die große Trommel treten, die einst zu den Zeremonien geschlagen wurde. Chính macht vor, wie es geht, „trois fois trois“, dreimal drei Schläge, sagt der Mann, der zusammen mit dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Vietnams, dem eigentlichen Chef des Landes, und dem Präsidenten den Hundert-Millionen-Einwohnerstaat führt. Doch Bettel ist jetzt lanciert und wendet sich an die um die Trommel versammelten Delegationsteilnehmer, Journalisten, Sicherheitsleute, Fotografen und Kameramänner aus beiden Ländern, gut und gerne dreißig Leute: „Sangt dir den Hämmelsmarsch? – Ech maachen de Rhythmus!“ Bam, Bambambam, Bam, Bambambam. Er hat es tatsächlich getan.
Ist das noch Diplomatie oder ist das schon peinlich?
Wem auch immer die Frage jetzt aufkommen sollte, sei gesagt: Den Vietnamesen scheinen sie sich nicht zu stellen. Bettel, Delles und ihre vietnamesischen Kollegen verstehen sich offenbar prächtig. Trotz oder dank Hämmelsmarsch ist dabei egal. Wer hätte das gedacht?
Am Abend zuvor, bei einem Rundgang durch das Zentrum von Hanoi mit anschließendem Restaurantbesuch, spielt Bettel Badminton mit Einheimischen in einem Park, nicht weit entfernt von der Statue von König Ly Thai, macht Selfies und plaudert auf Portugiesisch mit Touristen. Er geht ein bisschen shoppen, winkt jedem zu, der gerade herüberschaut, und verzückt am Ende des Tages noch die Gäste des Restaurants, in das die Luxemburger einkehren.
Weitere Selfies, viele freudige Gesichter
Hier gibt es zuerst die große Begrüßungsrunde vorbei an den Tischen und der kleinen Küche auf der Terrasse des Restaurants, dann wieder Selfies, schließlich Essen. Ein Gericht wird erst auf dem Tisch fertig zubereitet. Bettel tritt gegen eine Restaurantangestellte an. „In Luxembourg we call this choucroute“, ruft Bettel über den Tisch, während er den Fisch und das Gemüse mit Stäbchen in dem kleinen Topf wendet. Die Köchin blickt etwas resigniert drein, trotzdem Gelächter. Bettel unterhält die Gesellschaft, das kann er gut und bewegt sich dabei durch Hanoi wie über den Samstagsmarkt in Luxemburg-Stadt.
Auf ihrem Weg durch die Innenstadt hat die Luxemburger Delegation zuvor eine gute Stunde lang die Innenstadt Hanois blockiert, vietnamesische Polizisten des autoritären Staates bremsen mit einem Fingerzeig den Verkehr in den Nebenstraßen aus, während die Luxemburger flanieren. Aber sei’s drum: Das Bad in der Menge, die Interaktion mit allen drumherum und die Spontanität der Situation, selbst dabei immer im Zentrum der Aufmerksamkeit aller anderen – Bettel macht Hanoi mir nichts, dir nichts zu seinem natürlichen Habitat. Während alledem: weitere Selfies, viele freudige Gesichter.
Zuvor hatten Bettel und Delles die Halong-Bucht im Nordosten Hanois besucht, dann eine Führung durch das imposante Firmengelände des E-Auto-Bauers Vinfast gemacht. Die Fabrik im Norden Hanois erstreckt sich über eine Fläche von 335 Hektar. Es ist eines der größten Industrieprojekte des Landes. Hunderte E-Autos verlassen hier täglich das Laufband. 1.500 Roboter und Tausende Beschäftigte sind im Einsatz. Die ganzen Fertigungshallen sind vollgestopft mit deutschen Maschinen und deutscher Technik. Deutschland exportiert vielleicht nicht viele Autos nach Vietnam, dafür offenbar ganze Werksausstattungen.
Den europäischen Sitz von Vinfast würde man aus Luxemburger Sicht trotzdem gerne im Großherzogtum sehen. Vor Ort verkauft man sich als „einfaches Tor“ nach Europa. Die stellvertretende Vorsitzende des Unternehmens, Le Thi Thu Thuy, auch bekannt als „Madame Thuy“, will Luxemburg in den kommenden Wochen besuchen, um die Möglichkeiten einer eventuellen Zusammenarbeit zu sondieren. Die Testfahrt, die Bettel und Delles in einem der Vinfast-Modelle unternehmen, ist offenbar gut angekommen.
Man kennt sich lange und geht als „Bruder“
Vietnam war lange Jahre ein sogenanntes Partnerland der luxemburgischen Entwicklungszusammenarbeit. Man kennt sich also. Die Kooperation begann im Jahr 1993. In Hanoi wurde 2003 ein Büro eröffnet, das 2006 den Rang einer Botschaft bekam. Nachdem Vietnam 2012 den Rang eines Staates mit mittlerem Einkommen erreicht hatte, schloss die Luxemburger Botschaft, die sich vor allem um Kooperationsanliegen kümmerte, im Januar 2016 ihre Türen und zog ins benachbarte Laos um. Von 2002 bis 2015 investierte Luxemburg knapp 130 Millionen Euro in Entwicklungsprojekte in Vietnam. 2011 fand eine Staatsvisite in Vietnam statt.
Während des Besuches kam Bettel wiederholt auf diese Zeit zurück und bezeichnete sie als Grundpfeiler der jetzigen Beziehungen. Luxemburg habe immer nur gegeben und nie etwas gefordert. „Wir haben euch keine Fische gegeben, sondern eine Angel und haben euch angeln gelehrt“, sagte Bettel bei mehreren Gelegenheiten, etwa in der Börse von Ho -Chi-Minh-Stadt oder im Regierungssitz in Hanoi: „You fish very well.“
Vietnam, das in seiner jüngeren Geschichte Chinesen, Franzosen und Amerikaner unter enormem Leiden aus dem Land herauskämpfte und einen blutigen Krieg mit Nachbar Kambodscha focht, hat seit dem Ende der 1980er Jahre und der Öffnung seiner Wirtschaft eine rasante wirtschaftliche Entwicklung gemacht. Auf der Weltbühne muss es den Drahtseilakt hinlegen, wegen seiner offenen Wirtschaft den Amerikanern zu gefallen, ohne dabei den großen Nachbarn China zu ärgern – das allerdings selbst immer wieder Hanoi bei Meeresstreitigkeiten provoziert. Die Ukraine des Indopazifiks sei nicht Taiwan, schrieb der amerikanische Sicherheitsanalyst Derek Grossmann vergangenes Jahr in einem Essay, das sei vielmehr Vietnam.
Ich bin kein Sozialist und auch kein Kommunist
Pessimismus spürt man in Vietnam aber kaum. Das unterlegt auch die Aussage des Historikers Ngyen Dinh Tu, die der 103-Jährige gegenüber Le Monde gemacht hat: „Wir befinden uns in der günstigsten Zeit unserer Geschichte, weil unsere Regierung den Weg der Neutralität gefunden hat. Früher hatte Vietnam sogar einen Mangel an Reis, der aus Thailand importiert wurde. Jetzt wird er exportiert. Ich weiß das, weil ich in zwei Jahrhunderten und unter sechs Regimen gelebt habe.“
Da kann man sich auch mit anderen freuen, zum Beispiel mit Luxemburg. Premierminister Chính tat dies am Donnerstagmorgen im Regierungssitz in Hanoi mit seinen Gästen. Nicht ohne Humor, indem er dem Großherzogtum dazu gratulierte, in den letzten Jahrzehnten „den Wandel von einem Bauernstaat zu einem Industrie- und schließlich zu einem Finanzstandort“ geschafft zu haben. Fehlte nur, dass der vietnamesische Premier sagte: „You too fish very well.“ So oder so, die Botschaft drang klar durch: Liebe Leute, wir sind hundert Millionen und am Boomen, also bitte etwas mehr Respekt. Chính schob nach, dass auch Vietnam sich entwickelt habe und heute so gut dastehe wie nie zuvor in seiner Geschichte. „Dank der kommunistischen Partei und ihrem Generalsekretär“ seien dem Land „erstaunliche Erfolge gelungen“.
Alle zufrieden. Wie kann das sein?
Um etwas zu unterstreichen, woran sowieso keiner zweifelte, sagte Bettel seinem Gegenüber, dass er „kein Sozialist und auch kein Kommunist“ ist. Manche mochten sich dabei an einen Satz seines Vorgängers erinnert haben. Der konservative Jean-Claude Juncker hat sich oft und genüsslich als „letzter Sozialist“ Luxemburgs bezeichnet. Das hat Bettel, der eigener Aussage nach im Gespräch hinter verschlossenen Türen auch die Spannungsfelder zwischen Vietnam und dem Westen, die Ukraine und die Menschenrechte angesprochen hat, nicht nötig – hier geht es vor allem um Business. Und dafür muss man kein Sozialist sein. Wirtschaftsliberal reicht dafür aus.
In Vietnam fliegen Bettel die Herzen zu, bis zur Abreise, vor der er in Ho-Chi-Minh-Stadt als „Bruder“ verabschiedet wird. Am Ende scheinen alle zufrieden. Die Cargolux darf in Zukunft auch in Ho-Chi-Minh-Stadt landen. Die mitgereisten Unternehmer werden ob der Vorarbeit ihres Premiers und jener von Delles mit offenen Armen empfangen; zumindest ist das von der „Chambre de commerce“ am Freitag in Ho-Chi-Minh-Stadt organisierte Business-Forum sehr gut besucht. Mehrere Absichtserklärungen zwischen beiden Ländern sind unterzeichnet. Die Zusammenarbeit mit dem Luxemburger Finanzplatz wird ausgebaut. Bettel bekommt so viele Geschenke überreicht, dass sie nicht alle ins Flugzeug passen. „Wir tragen hier Schicht für Schicht auf“, sagt der mitgereiste CEO von Luxembourg for Finance, Nicolas Mackel. Was am Ende dabei herausspringt, ob es zu guten Deals für Luxemburg und seine Unternehmen kommt, werde sich erst zeigen.
Dass Xavier Bettel bei den technischen Dossiers, auch im Gespräch mit der Presse, nicht immer sattelfest ist, spielt in der Hinsicht wohl kaum eine Rolle. Immer ist ein Berater dabei, der gelegentliche Irrtümer ausbügeln kann. Ebenso wenig, wie dass er sich selten an ein Redeskript oder ans Protokoll hält. Bettel scheint der Typ Politiker zu sein, bei dem man über vieles hinwegsieht. Vielleicht deswegen, weil er seine Gegenüber einfach gut unterhält?
Was jetzt schon festgehalten werden kann: Xavier Bettel hat die Tage in Vietnam zu seinem persönlichen Parforceritt gemacht, es sich vielleicht auch nochmal selbst bewiesen – unter Leuten, im direkten Kontakt, ohne Inhalte, ist er kaum zu schlagen.
Auch das sollten seine politischen Konkurrenten in Luxemburg bedenken, wenn sie sich auf den Wahlkampf im Herbst vorbereiten, der irgendwie schon längst begonnen hat.
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Da scheint wohl jemand neidisch auf die Auslandsreisen von Fayot zu sein