Covid-19 / „Zeit gewinnen vor dem Omikron-Tsunami“: So schätzen die Experten die neuen Maßnahmen ein
Luxemburg muss sich für die neue Corona-Variante, „Omikron“ genannt, rüsten. Sorgen bereitet den Experten Dr. Claude Muller und Dr. Alexander Skupin vor allem die hohe Infektiosität. Die Maßnahmen der Regierung seien ein erster wichtiger Schritt.
Mit einem neuen Maßnahmenpaket traten Gesundheitsministerin Paulette Lenert und Premierminister Xavier Bettel am Mittwoch vor die Öffentlichkeit. Omikron oblige. Die neuen Regeln sollen noch diese Woche im Schnellverfahren durchs Parlament gehen und nach dem Willen der Regierung am Samstag in Kraft treten.
Dass die neue Variante schärfere Corona-Regeln verlangt, davon ist auch Virologe Dr. Claude Muller überzeugt. Er verweist auf neueste Studien, die die Infektiosität der neuen Variante belegen – und zeigen, dass die Impfung ohne Booster Omikron nicht ausreichend in Schach hält. „Eine Studie aus London zeigt, dass eine Person, die zweimal mit AstraZeneca geimpft ist, fast keinen Schutz vor Omikron besitzt. Mit dem Impfstoff von BioNTech-Pfizer liegt die Wirksamkeit ohne Booster nur noch bei 35 Prozent. Nach einem Booster steigt der Schutz allerdings wieder auf 70 bis 75 Prozent“, sagt Muller. Das sei zwar ein geringerer Schutz als noch bei früheren Varianten, doch handele es sich bei den Zahlen um die „Vaccine efficacy“, also „Impfstoffeffizienz“. Diese Rate misst den Schutz vor einer symptomatischen Infektion mit dem Virus. „Der Schutz vor einem schweren Verlauf oder gar einer Krankenhauseinweisung liegt sehr wahrscheinlich um einiges höher“, erklärt der Virologe.
Muller zeigt sich positiv überrascht darüber, dass die Effizienz der Impfungen trotz der Mutationen immer noch so hoch ist. „Ich hatte befürchtet, dass die neue Mutation eine Art zweite Pandemie auslöst. So schlimm ist es glücklicherweise nicht gekommen.“ Hoffnung macht ihm der neue Novavax-Impfstoff. Aus immunologischer Sicht könne man sich viel von einer Kombination der bisherigen Impfstoffe mit dem neuen erwarten, so Muller.
Boostern, bis der Arzt kommt
Am Boostern kommt Luxemburg auf jeden Fall nicht vorbei – von daher sei die 2G+ Regel auch zu begrüßen. Laut Dr. Muller könnte die Regierung diese Maßnahme sogar noch ausweiten. „2G+ sollte durch die Bank weg überall gelten“, sagt Muller. „Spätestens dann, wenn Omikron hier im Land Fuß gefasst hat.“
Die neuesten Impfzahlen zeigen auch, dass die Impfkampagne aus Sicht der Booster gut läuft. „Wir sehen aber auch, dass es mit den Primär-Impfungen nicht vorangeht.“ Das sei nicht gut, vor allem da Omikron sehr viel infektiöser sei als die bisherigen Varianten. „Da können sich die Ungeimpften nicht mehr verstecken.“
Dass die Regierung nun der neusten Empfehlung des „Hohen Rates für Infektionskrankheiten“ folgt und die Impfung für Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren für alle, und nicht nur, wie bisher, für besonders gefährdete Kinder, freigibt, hält Muller für „absolut richtig“. „Auch ohne Omikron wäre das ein richtiger Schritt gewesen.“ Man wisse ja indessen, dass der Immunschutz mit der Zeit abnehme, also ohne Booster auch Eltern oder Großeltern wieder anfälliger für eine Erkrankung werden. „Es ist einem Kind nicht zuzumuten, dass es Angst hat, nach Hause zu kommen, weil es dort seine Liebsten anstecken könnte. Das ist eine viel größere Belastung als eine Impfung“, so Muller.
Die Maskenpflicht in der Schule sei ebenfalls ein wichtiger Schritt. Er habe nicht den Eindruck, dass Kinder wirklich darunter leiden. „Wir werden dann bei der ,Rentrée‘ sehen, was die Maßnahme bewirkt und ob wir Omikron so aus den Schulen raushalten, oder zumindest die Inzidenz Kurve in den Lehranstalten niedrig halten können.“
Impfpflicht soll kommen
Die Entscheidung, Großveranstaltungen von mehr als 200 Leuten nur „in Ausnahmefällen“ mit einem sanitären Konzept zuzulassen, geht dem Virologen allerdings nicht weit genug. „Wir müssen absolut bremsen. Veranstaltungen von 200 Menschen finde ich schon sehr viel. Und von welchen Ausnahmen sprechen wir hier?“ Einschränkungen wie diese sollte die Regierung erst dann zurückfahren, wenn eindeutig geklärt ist, ob Omikron einen leichteren Verlauf als andere Varianten des Virus hat, und sichergestellt werden kann, dass nicht durch die hohe Infektiosität zu viele Fälle in kurzer Zeit auftreten und die Krankenhäuser überlasten. „Dann und nur dann, wenn beide Bedingungen erfüllt sind, sollten wieder Lockerungen kommen“, urteilt Muller.
Am Rande der Pressekonferenz wurde Premierminister Xavier Bettel auch nach einer Impfpflicht gefragt. Er antwortete, dass eine solche „auf dem Tisch liege“, doch derzeit noch juristisch und logistisch geprüft werde. Mitte Januar wolle die Regierung eine Entscheidung treffen. Vor wenigen Wochen lautete der Tenor der Regierung eher, dass man keine Impfpflicht wolle. Diese Kommunikation kritisiert auch Virologe Claude Muller. „Wer erst immer sagt, ‚eine Impfpflicht kommt nicht‘, der manövriert sich in eine Situation, aus der es schwer ist, wieder herauszukommen, ohne das Gesicht zu verlieren, und verzögert so vielleicht eine wichtige Entscheidung. Bei uns ist eine Impfpflicht viel zu früh ausgeschlossen worden.“ Der Experte begrüßt es, dass die Regierung nun ernsthaft darüber nachdenke und sich auf eine Impfpflicht vorbereite. Immerhin spreche man ja nicht nur in Luxemburg von einer solchen. Eine Impfpflicht als solches sei auch nichts Schlimmes oder Ungewöhnliches.
Muller findet, Luxemburg sollte dem Beispiel der skandinavischen Länder folgen und ein sogenanntes Impfregister einführen, in dem festgehalten wird, wer mit welchem Impfstoff wogegen geimpft ist. So würden jene, die keine Impfung bisher gemacht haben, regelmäßig einen „Rappel“ geschickt bekommen und müssten dann darauf reagieren. „Das vereinfacht auch die Lage für Menschen, die etwas vergesslicher sind oder mit ihrer Motivation zu kämpfen haben.“
Außerdem solle man über eine Auskunftspflicht sprechen. „Wir sollten viel offener damit umgehen, wer geimpft ist und wer nicht. Man sollte das Recht haben, zu erfahren, ob diejenigen, die mit einem arbeiten, auch geimpft sind oder nicht“, sagt Muller. So könne sich die Bevölkerung besser auf ungeimpfte Personen einstellen und könnte dann die nötigen Schutzmaßnahmen, wie Maske tragen und Abstandhalten, einhalten. „Doch eine Auskunftspflicht wird ebenso verteufelt wie die Impfpflicht“, sagt der Virologe.
Den Tsunami abfedern
„Mit den neuen Maßnahmen haben wir uns Zeit gekauft“, urteilt Uni-Forscher Dr. Alexander Skupin. Er ist Mitglied der wissenschaftlichen Taskforce, die das Gesundheitsministerium seit Beginn der Pandemie berät und aufgrund der aktuellen Entwicklungen mögliche Zukunftsszenarien errechnet. „So können wir den Omikron-Tsunami vielleicht so abfedern, dass es ‘nur‘ eine normale Welle wird.“ Für Luxemburg hieße es im Angesicht der neuen Variante „boostern, impfen und testen, was nur geht“.
Natürlich gäbe es bei jeder Einführung von neuen Maßnahmen die Frage der Verhältnismäßigkeit. „Wir sind momentan noch im orangen Bereich. Mit den neuen Maßnahmen rutschen wir im Januar vielleicht in Dunkelorange oder Rot. Aber wir werden nicht die Katastrophe erleben, auf die wir ohne Kontaktbeschränkungen zusteuern“, so Skupin.
So können wir den Omikron-Tsunami vielleicht so abfedern, dass es ,nur‘ eine normale Welle wirdTaskforce-Forscher
Noch vehementere Maßnahmen wären vielleicht auf Unverständnis bei der Bevölkerung gestoßen. „Man muss abwägen, wie viel kann man den Bürgern noch zumuten, dass sie sich auch dran halten“, sagt Skupin. Wie effizient die nun von der Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen sein werden, hänge auch davon ab, ob sich die Bürger daran halten. „So könnten wir mit einem blauen Auge davonkommen.“ Das heißt auch große Menschenversammlungen meiden, oder wenn man dorthin geht, wo mehrere Menschen aufeinandertreffen, Maske tragen und Abstand halten. „Super-Spreader-Events“ müsse Luxemburg vermeiden, um so den Vormarsch von Omikron zu verlangsamen. Allein die Maßnahme, Veranstaltungen in Innenräumen zu beschränken, wird wohl eine Verringerung von 10 Prozent bei den sozialen Kontakten mit sich bringen.
„Schaffen wir das nicht, dann könnte ein stärkerer Anstieg der Fälle, als wir uns erhoffen, stattfinden“, so Skupin. Dann würden im Januar sicher noch weitere Regeln dazukommen. Wirken die aktuellen Maßnahmen, gehen die Forscher davon aus, dass sich die Fallzahlen im neuen Jahr „nur“ verdoppeln, „statt sich zu verfünffachen“.
Hält sich Luxemburg an die Maßnahmen, hätte man sich auch Zeit erkauft, um weiter zu boostern. Die Auffrischungsimpfungen erleben derzeit einen großen Zulauf, bestätigt auch Skupin. Er hoffe, dass das auch so bleibe. „Sonst hätten wir ein Problem“, sagt Skupin. Er sei aber kein großer Befürworter einer Impfpflicht. In seinen Augen könnte das zu noch mehr Polarisierung und Spaltung in der Gesellschaft beitragen. „Doch wäre ich Arzt auf den Intensivstationen und wäre ich damit konfrontiert, wohl demnächst bei einer Triage darüber zu entscheiden, wer beatmet wird oder nicht, wäre ich wohl auch für eine Impfpflicht“, so der Wissenschaftler. Er hoffe, dass Luxemburg keine solche Pflicht brauche, sondern es „anders abfedern kann“.
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