/ Zeitreise auf Schienen: Als Tram und Festungsmauern Menschen zusammenhielten
Die Bauarbeiten entlang der zukünftigen Bahnstrecke in der Avenue de la Liberté schreiten nach Planung voran. Ungewohnt sind die dadurch bedingten Umleitungen und Straßensperrungen. Die Arbeiten am Pont Büchler haben bereits begonnen. Am Bahnhofsvorplatz laufen die Vorbereitungsarbeiten. Diese beeindruckenden und doch hinderlichen Infrastrukturarbeiten verleiten dazu, sich mit der Frage des Trambaus von 1875 auseinanderzusetzen.
Wie heute befand sich unsere Hauptstadt damals in einem Umbruch: Die Festungsstadt wurde zur offenen Stadt. Die Planung und der Bau der Straßenbahn waren Teil des Stadtentwicklungskonzeptes ab 1867 in Folge des Londoner Vertrags. Zeitgleich mit dem Inkrafttreten des endgültigen Entwicklungsplanes 1873 begannen die Planungen zum Bau der Tram. Erst ein Jahrzehnt später wurde Luxemburg offiziell zur offenen Stadt. Die eigentlichen Schleifungsarbeiten dauerten von Mai 1867 bis Mai 1883.
Radialstraßen verbanden ab nun die historische Altstadt mit den ausländischen Märkten. Die Avenues führen ins Zentrum, während die Ringstraßen für Wohnzwecke angelegt und als Verbindungswege zu den Hauptachsen dienten. Dieser radiale Plan war bereits 1859 beim Bau der Eisenbahn und des Zentralbahnhofs umgesetzt worden. Die Hauptachsen sind geradlinig angelegt, nach dem Muster von Bahnstrecken.
Die Avenue de la Liberté, als die damalige Straßenbahn fuhr (Foto: Office national de tourisme)
Bahn und Mauern haben etwas gemeinsam
Eine Stadt, die ihre Ringmauern verliert, sieht sich der Gefahr der Zersiedlung ihres Großraumes ausgesetzt. Straßenbahn und Festungsmauern bestimmen jedoch den Wohnort und verschaffen somit städtische Dichte. Am 27. Juni 1873 hatten die belgischen Ingenieure Charles de Féral und Gustav Defacqz den Verantwortlichen der Stadt Luxemburg ihre Pläne zum Bau einer „amerikanischen Straßenbahn“ eingereicht. Als 1875 die erste Tram vom Bahnhof zum Glacis fuhr, war Luxemburg mit seinen 25.000 Einwohnern die 10. Hauptstadt in Europa, die ihren Bürgern diese städtische Dienstleistung bot. Stadt und Staat zeigten sich an dem großen Investorenprojekt interessiert: Die private Straßenbahngesellschaft erhielt ihre Fahrkonzession auf öffentlichen Straßen und die Stadt Luxemburg ihr Einsichts- und Mitbestimmungsrecht bei der Umsetzung des Projektes.
Auch eine Zinsvergütung wurde den Investoren zugestanden. Die Regierung verkaufte einen Teil des Fort Wedell am Bahnhof an die Straßenbahngesellschaft, welche dieses für ihren Betrieb nutzte. Diese offizielle Beteiligung bestätigt das Interesse der Stadt und der Regierung am Projekt. Die Ingenieure Tony Dutreux, Jean Worré und Stadtarchitekt Antoine Luja begleiteten dessen Umsetzung. Sie waren für die Ausführung des gesamten Entwicklungskonzeptes der Stadt zuständig.
Die Avenue de la Liberté wird erneut auf die Tram vorbereitet
Städtisches Wachstum gezielt lenken
Die Straßenbahn verbindet das Stadtzentrum mit den äußersten Stadtvierteln, die preiswertesten Grundstücke mit den ertragreichsten, die Arbeitsplätze mit den Arbeitnehmern. Sie teilt den Raum in Stadt und Landgebiet ein. Das Verkehrskonzept im 19. Jahrhundert verlangte die Anlage eigener Fahrspuren für die Straßenbahn, die Radfahrer und die Fußgänger (Bürgersteige) – ein Novum für jene Zeit.
In den Jahren 1859 bis 1904 wandelte sich der Bahnhof Luxemburg zum multimodalen Umschlagsplatz mit fünf internationalen Eisenbahnlinien, zwei regionalen Schmalspurbahnen sowie der Straßenbahn. Tram und Eisenbahn teilten sich bis 1908 die gleiche Gleisspur, um innerstädtische Gütertransporte übernehmen zu können. Die Herausforderung bestand darin, eine einwohnergerechte Stadt zu entwickeln und dabei das Wachstum räumlich zu lenken. Bereits 1899 hatte die Berliner Gesellschaft „Union“ ein Projekt eingereicht, um das Plateau Bourbon, Merl und Limpertsberg per Tram zu erschließen. Doch erst 1906 erhielten die Siemens-Schuckert-Werke die Genehmigung zum Bau der elektrischen Straßenbahn. Aus dem Privatprojekt wurde nun eine gemeindeeigene Dienststelle.
Die Arbeiten schreiten nach Plan voran
Die elektrische Tram verkehrte ab 1908 bis 1964. Die Überführung des Projektes in die Gemeindeverwaltung erklärt, weshalb der Straßenbahnbetrieb von der Gemeinde Hollerich nach Limpertsberg in der Gemeinde Luxemburg verlegt wurde. Damit verbunden war der Auftrag an den Städtebauer Josef Stübben, um Limpertsberg in ein städtisches Viertel mit Schulen, Kirchen und Krankenhaus zu entwickeln. Die neu angelegte Avenue Victor Hugo führt direkt zum Straßenbahndepot, das hier bis 1975 verbleiben konnte. Die Tram war einst Rückgrat des neuen Viertels. Die Nutzung des schmalen Viaduktes durch die Straßenbahn ab 1875 führte zu Diskussionen um den Bau der Adolfbrücke und die Erschließung des Plateau Bourbon. Die Überarbeitung der Pläne zum Bau der „Neuen Brücke“ verlangte eine Erweiterung zwecks Einführung der Straßenbahn auf dieser Strecke.
Haltestellen als soziale Knotenpunkte
Parallel zur Ausdehnung des Netzes der Tramway wurden ringförmige Linien ums Zentrum angelegt, welche die Randzonen Rollingergrund, place de l’Etoile, Bonneweg und Hollerich erschlossen. Die Straßenbahn definiert somit die Grenzen des städtischen Raums. In der Oberstadt sind „Puits Rouge“ und „Hôtel des Postes“ die wichtigsten Umschlageplätze. Ab 1913 fuhr die Straßenbahn ab „Puits Rouge“ nach Eich, 1930 gar bis nach Heisdorf. An Gemeindegrenzen hatte sich die Tram weder 1875 noch 1913 oder 1930 gestört. Infolge der Eingemeindung der Nachbargemeinden im Jahre 1920 wurden sieben neue Linien eingeführt. Alle zukünftigen Wohnviertel sollten an das Zentrum angebunden werden. Busse wurden ab 1923 nur in topografisch schwierigen Lagen eingesetzt.
Der Bau der neuen Linien erfolgte parallel zum Bau von Bürgersteigen, Schulen, des Fußballstadions und der Entbindungsanstalt. Ab 1925 wurden auch die Streckenabschnitte der Schmalspurbahnen nach Alzingen und Dommeldingen ins Verkehrskonzept mit einbezogen. Auf diesen Strecken fuhren die Züge nun öfter. Spezialtarife wurden den Fahrgästen angeboten. Das Straßenbahnnetz war zwischen 1875 und 1930 von 2,5 km auf 31 km angewachsen und erreichte nun 50.000 Einwohner. Der Bau der Linien war an den Wohnungsbau gekoppelt. Bereits 1876 hatte Ingenieur Edouard André Wohnviertel rechts und links der Avenue de la Gare entworfen, die durch in unmittelbarer Nähe angelegte Tramhaltestellen ans Zentrum angebunden waren.
Im Bahnhofsviertel bringen die Bauarbeiten Unannehmlichkeiten mit sich
Die „Société nationale des habitations à bon marché“ errichtete ihre „Wohnkolonien“ in Limpertsberg und Beggen nahe der neuen Straßenbahnlinien. Ein neues Viertel entstand 1936 in Bonneweg in unmittelbarer Nähe der Tramhaltestelle. Die Nähe von Kino, Gaststätte, Klinik, Schule oder Wohnviertel zu einer Haltestelle wurde immer wieder als Vorteil in Werbeanzeigen erwähnt. Die Stadt erlebt sich nun in Fahrzeitminuten, nicht in geografischer Entfernung oder an Höhenunterschieden. Die Fahrzeit ist verlässlich. Die Kadenz regelmäßig, wobei die Geschwindigkeit bei maximal 12 km/h lag. Die Straßenbahn erlaubte es, die Bevölkerung auf das gesamte Stadtgebiet aufzuteilen und verhinderte somit die Entstehung sozialer Brandherde. Entlegene Viertel fühlten sich eingebunden und aufgewertet. Bei der Einweihung der Linie nach Neudorf schrieb die Presse zum Beispiel, dass sich die Bevölkerung dieses Viertels damit der Limpertsberger Lebensqualität gleichgesetzt fühle.
Vom Vorteil zum Verhängnis
Neu war, dass die Straßenbahn das bestehende Verkehrswegenetz nutzte und nicht auf eigenen Bahndämmen verkehrte. So konnten die in 300 m weiten Abständen markierten Haltestellen mitten in der Straße angelegt werden. Bis 1923 konnten die Wagen von beiden Seiten bestiegen werden. Mit dem Aufkommen des Individualverkehrs war der Aus- oder Zustieg ab 1953 nur noch auf Bürgersteigseite erlaubt. Die Linienführung auf öffentlicher Straße erübrigte den Bau eines teuren Bahnhofs. Fahrscheine wurden im Waggon oder in den umliegenden Geschäften bezogen. Diese völlig verschiedene Konzeption zum Modell der Eisenbahn erlaubte, dass die Tram entlang der Geschäftsauslagen fuhr und dank der Plakatwerbung zum städtischen Werbeträger wurde.
Wirtschaft und Verkehr verbanden sich und bestimmten die moderne Form des städtischen Lebens, im Gegensatz zu den damals üblichen umständlichen Fußwegen und verwinkelten Gassen, teuren Kutschen und noch kostspieligerem Pferdeunterhalt. Jeden Tag begegneten sich zur gleichen Zeit dieselben Menschen. Gemeinschaften entstanden, auch wenn einige in der ersten Klasse reisten und die meisten die zweite Klasse nutzten. Auch das Verhaltensreglement in Bezug auf Manieren, Kleidung, Transport von Gegenständen wies auf eine geschossene „Fahrgemeinschaft“ hin.
In den 1950er Jahren entstand die autogerechte Stadt. Sie diente als Mittel gegen die Ausblutung der Landgemeinden, dem Interesse der Industrie, der freien Wahl des Wohnortes und Eigenheims im Grünen. Was einst ein Vorteil der Straßenbahn war, wurde ihr nun zum Verhängnis. Das Auto eroberte die Fahrspur der Tram, das Auto schluckte öffentliche Plätze und Vorgärten, verbreiterte drei Brücken im Stadtgebiet. Niemand dachte damals an Klimaschutz. Hielt die Straßenbahn die Stadt zusammen, führte der Individualverkehr zur Zersiedlung des Raumes und schleichend zum Stau. Im Rhythmus, wie einst die Tramways eingeführt worden waren, wurde sie 1964 in Luxemburg abgeschafft – bis das Konzept neu überdacht wurde.
Von unserem Korrespondenten Robert L. Philippart
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Herrliche, nostalgische Momentaufnahme einer Zeit, wo es in Luxemburg Stadt noch beschaulich zuging.