CSV-Frëndeskrees / Ziemlich beste Feinde: Hinter den Kulissen eines Prozesses
Die politische Dimension der Freundeskreis-Affäre hat das letzte halbe Jahr die Schlagzeilen bestimmt – das strafrechtliche Ausmaß hat die Journalisten in den vergangenen zwei Wochen in den Bann gezogen. Zeit für einen Blick hinter die Kulissen des juristischen Säbelrasselns.
En garde!
Elisabeth Margue war als erste der sieben Angeklagten am Dienstagmorgen schon kurz vor halb neun im Gerichtssaal anzutreffen. Der Anwalt von Margue sagt, dass er seinen Klienten geraten habe, möglichst früh am Gericht zu sein, um dem Medienrummel auszuweichen. Ob das gesenkte Haupt auf ihren vollgepackten Ordner mit Notizen oder ihr Handy gerichtet ist, ist nur schwer zu erkennen. Es ist der Beginn im CSV-Freundeskreis-Prozess, der finale Akt im lange schwelenden und letzten Endes offen ausgetragenen Grabenkampf zwischen der CSV-Fraktion und dem ehemaligen Präsidenten Frank Engel. Ein Prozess, der alles in allem mehr Fragen aufwirft, als er beantworten kann.
Dabei ist es eigentlich ein Prozess, wie ihn die Richter schon hunderte, wenn nicht gar tausende Mal gesehen haben. Fälschung, Betrug und Vertrauensmissbrauch lauten die Anklagepunkte. Dass der Prozess jedoch weit weg von einer rein juristischen Auseinandersetzung und beileibe kein Alltag in der „Cité judiciaire“ darstellt, hängt damit zusammen, dass die gesamte ehemalige CSV-Parteispitze auf der Anklagebank sitzt. Frank Engel, Félix Eischen, Elisabeth Margue, Stéphanie Weydert, André Martins Dias, Georges Pierret und Georges Heirendt lauten die Namen der Angeklagten – angezeigt haben sich einige von ihnen zum Teil sogar selbst. Doch dazu später mehr.
Prêts?
Die frühe Ankunft von Margue soll sich als cleverer Schachzug herausstellen. In den Treppen vor dem Gerichtssaal versammeln sich schnell Journalisten aller Medienplattformen, Kamerateams und Fotografen. Die Auslöser der Fotoapparate sorgen für ein Blitzlichtgewitter, unter dem sich die eintreffenden Angeklagten und Anwälte im Gerichtsgebäude wegducken. Kommentarlos laufen sie an den Medienvertretern vorbei, suchen nach freundlich gesinnten Gesichtern. Die meisten verschwinden sofort im Gerichtssaal.
Dort herrscht trotz angenehmer Raumtemperatur eine Eiseskälte. Zwischen den Angeklagten werden fast keine Worte gewechselt, keine Blicke getauscht. Nur Frank Engel und Félix Eischen stehen kurz beisammen. Die Stimmung ist angespannt, die Spannung fast greifbar. Allein die Anwälte lassen sich von der Stimmung nicht beeindrucken. Unbeeindruckt von den Differenzen ihrer Klienten tauschen sie sich gelöst, ja fast freundlich-feixend untereinander aus. Wie eine Mannschaft, die sich vor einem Wettkampf aufwärmt, wird sich kurz vor Prozessbeginn noch einmal koordiniert.
Allez!
Das nächste Kapitel in der Freundeskreis-Saga, der Prozess um Frank Engel und seine sechs Mitangeklagten, ist für neun Uhr an einem trüben Dienstagmorgen angesetzt. Zu Prozessbeginn wird in der ersten halben Stunde über Formalitäten verhandelt. Ohne die mediale Aufmerksamkeit – zwei Bankreihen sind exklusiv für die Presse vorgesehen und fast vollständig besetzt – wäre dieser Teil in fünf Minuten abgehandelt, heißt es von erfahrenen Gerichtschronisten hinter vorgehaltener Hand. Nachdem die Pfauen ihr Rad präsentiert haben, ist es an den Angeklagten, ihre Sicht der Dinge darzulegen und auf die Fragen des Vorsitzenden Richters zu antworten.
Die Krux, die auch dem Richter besonders fragwürdig erscheint: die Selbstanzeige der fünf „Frëndeskrees“-Mitglieder um Frank Engel. Eine Frage, die Engel auch nach der Sitzung eindringlich zu beschäftigen scheint, als er seinem Ärger vor dem Gerichtsgebäude lautstark Luft macht. Ob verzweifelt, missverstanden, wütend oder angesichts der drohenden Konsequenzen einfach nur ängstlich: Die Gefühlswelt des Frank Engel ist nach dem ersten Prozesstag nur schwer einzuschätzen. Nur eines scheint klar: Engel fühlt sich von der CSV misshandelt, vom restlichen Vorstand des Freundeskreises verraten. 6.000 Euro für Sozialabgaben sind zu viel verlangt, derweil Marc Spautz einen Bürotisch mit einem Kostenumfang von 25.000 Euro erstattet kriege – Kosten, die der Rechnungshof irgendwann nicht mehr bemängele. Vergleiche, die die Absurdität seiner Situation verdeutlichen sollen, fallen Frank Engel zur Genüge ein. „Kléngt no Misère“, sagt Engel, habe er Martins geschrieben, als er die Kosten für den Tisch im Brief des Rechnungshofes erblickte. Er sollte recht behalten – nur scheint nicht der Bürotisch das Problem gewesen zu sein. Ein Umstand, den er in seiner Stellungnahme am letzten Prozesstag auch noch einmal deutlich hervorhebt.
Riposte
Mittwoch. Mit einer vom Vortag angeeigneten Routine präsentieren sich die Angeklagten am Folgetag des Prozesses. Die Anspannung scheint verflogen, teilweise können die Angeklagten bei lockeren Gesprächen untereinander beobachtet werden. Die Lockerheit aufseiten der Verteidigung wandelt sich jedoch schnell in verständnislose Blicke, als die beiden Ermittler der Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungsergebnisse präsentieren. Stellungnahmen, die nach der Sitzung als bestenfalls nicht vollständig, schlimmstenfalls als „Wischiwaschi“ bezeichnet werden. Wichtige Details scheinen im Ermittlungsdossier zu fehlen, beanstanden einige der verteidigenden Anwälte. Eine zentrale Frage, die während des Prozesses ständig durch den Raum schwebt, wird auch am zweiten Tag des Prozesses nicht wirklich beantwortet: Hätte dieser Fall wirklich vor einem Strafgericht landen müssen?
Nein, heißt es zumindest aus parteinahen Kreisen. Die Fraktionsvorsitzende Martine Hansen habe die Fraktion einfach nicht im Griff, lautet die Erklärung. „Früher wäre das anders gelöst worden“, sagt eine mit Parteiinternas vertraute Quelle, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, gegenüber dem Tageblatt im Anschluss an die zweite Sitzung. „Jean-Claude [Juncker] hätte mit der Faust auf den Tisch gehauen und das alles intern gelöst.“ Das deckt sich mit den Aussagen des ehemaligen Premierministers, der in einem RTL-Interview zu Protokoll gab, dass er das Thema wohl anders als mit einer Anzeige gelöst hätte.
Die Anwälte der Angeklagten haben sich nach dem Prozesstag bis auf die Verteidigung von Frank Engel allesamt vor dem Gerichtsgebäude eingefunden. Hätten die Juristen ihre schwarzen Anwaltsroben nicht abgelegt, hätte die Versammlung wohl etwas Verschwörerisches und Geheimnisvolles – in Jeanshosen und Regenjacke aber wirken die Personen, die die Angeklagten vor einer Verurteilung bewahren sollen, schon fast provinziell. Nur bei genauerem Hinhören erschließt sich der Ernst des scheinbar zufällig zusammengefundenen Grüppchens: Die Strategie für die Plädoyers am Folgetag wird abgesprochen. „Lien de subordination, emploi fictif, comme chargé de mission et non en tant que président, …“ Für einen juristischen Laien schwer einzuordnende Argumente werden ausgetauscht, abgewägt und wieder verworfen. Die verteidigenden Anwälte kämpfen gemeinsam an einer Front. Mit der Versicherung, sich im Laufe des Tages noch einmal zu beraten, löst sich der Juristen-Freundeskreis dann allmählich auf.
Contre-riposte
Donnerstag. Lockeren Schrittes treffen die Angeklagten am dritten Tag im Gerichtsgebäude ein. Als letzter der sieben Angeklagten betritt Frank Engel den Saal, richtet das Jackett seines Anzuges, lässt seinen Blick durch den Saal schweifen und nimmt neben seiner Rechtsanwältin Platz. Von der Anspannung des ersten Tages ist auf den Zuschauerrängen nichts mehr zu spüren. Ob die Angeklagten ihre Nervosität lediglich überspielen oder tatsächlich von ihrer eigenen Unschuld überzeugt sind, ist schwer einzuschätzen. Die Plädoyers der Anwälte – einer schließt sich der Argumentation des Vorredners an – sollen noch einmal genau darlegen, warum ihre Mandanten denn nun unschuldig sind. Die Juristen argumentieren und ertränken den Beobachter nebenher in juristischen Spitzfindigkeiten, bis der Vorsitzende Richter die Sitzung abbricht, noch bevor der Prozess seine eigentliche Klimax, den Antrag der Staatsanwaltschaft, erreicht hat. Weiter geht es am Dienstag der darauffolgenden Woche.
Dienstag. Der Weg in den Gerichtssaal wird Routine. Die Sicherheitsbeamten am Scanner im Eingangsbereich grüßen freundlich, der Weg führt durch die Tür nach links die Treppen hoch. Die Meute an Fotografen wird weniger, vergangene Woche bot wohl genügend Material für drei Fotoalben über den CSV-Freundeskreis. Die Sitzung wird wieder von der Verteidigung eröffnet, drei Plädoyers stehen an, bevor der mit Spannung erwartete Moment eintritt: der Antrag der Staatsanwaltschaft. Eine kriminelle Konspiration, die von Anfang an auf die Plünderung der Kasse des CSV-Freundeskreises aus war, habe mit dem Arbeitsvertrag einen vermeintlich legalen Weg gefunden, Frank Engel 40.000 Euro zuzuschustern. So in etwa lässt sich der Vortrag resümieren. Ein Wunder, dass am Ende der Ausführungen beim heftigen Kopfschütteln und den heruntergefallenen Kinnladen der Angeklagten keine ausgerenkten Kiefer zu beklagen sind. Neun Monate Haft auf Bewährung für Frank Engel, deren sechs für Eischen und Martins und eine Geldstrafe für die restlichen vier. „Komplett übertrieben“, meint einer der Anwälte teils schockiert, teils belustigt – wohl nicht wissend, wie er diese Forderung der Staatsanwaltschaft emotional einordnen soll.
Halte
„Das war keine juristische Analyse, unsere Argumente hat er überhaupt nicht aufgegriffen“, regen sich die Rechtsanwälte der Verteidigung in der danach einberufenen Pause in den Gängen des Gerichtsgebäudes auf. Das Motiv der neben Frank Engel angeklagten CSV-Mitglieder bleibt ebenso schleierhaft wie die Argumentation der Staatsanwaltschaft, dass ein ihrer Ansicht nach nicht erfüllter Arbeitsvertrag zwangsläufig auf kriminelle Machenschaften schließen lässt. Fragende Blicke gibt es auch bei einigen Journalisten. Die Argumentation scheint auf Basis der vorliegenden Dokumente etwas weit hergeholt und weist einige argumentative Löcher auf, die durch die Aussagen der Zeugen und Angeklagten nicht kleiner werden.
Ein emotionaler Frank Engel, der am Ende des Prozesses noch einmal das Wort ergreift, bezeichnet die Schilderung der Staatsanwaltschaft als „surreal“. „Ich glaube, Sie leben in einer anderen Welt als ich – und ich glaube, ich spreche hier für alle Mitangeklagten“, sagt Frank Engel an die Staatsanwaltschaft gerichtet. Keiner der Anwesenden habe jemals die Intention gehabt, der Partei zu schaden. Die Lockerheit im Auftritt der Angeklagten war jedoch einer gewissen Schockstarre gewichen – besonders bei all jenen, die sich mit der Realität einer möglichen Gefängnisstrafe konfrontiert sahen.
Reprise
Der größte Fehler seines Lebens sei es gewesen, nicht mehr bei den Europawahlen anzutreten. In zehn Jahren habe er 78.000 Euro an Beitragszahlungen an die Partei geleistet und habe bei Amtsantritt trotzdem eine leere Parteikasse vorgefunden. Es sei ihm zu verdanken, dass jetzt überhaupt wieder Geld für einen Wahlkampf vorhanden sei, echauffiert sich Engel am Rande des Prozesses. Er habe nicht immer das gemacht, was die Partei von ihm verlangt habe. Das sei ihm dann wohl zum Verhängnis geworden. „Meine Vorgänger haben sich nicht darum gekümmert, dass die CSV nicht aus ihrem Parteisitz geworfen wird“, sagt Engel über die eklatante Nachlässigkeit, mit der der Freundeskreis in der jüngeren Vergangenheit verwaltet wurde. Man kann es Ironie nennen, dass die Partei es im Gegenzug mit Bravour gemeistert hat, Engel mit Pauken und Trompeten aus der „Waassergaass“ zu befördern.
„Alles andere als ein Freispruch wäre ein absoluter Witz“, sind sich die meisten Anwälte nach Prozessende einig – eloquenter wird diese Ansicht dann auch später offiziell der Presse mitgeteilt. Sollte es nicht zu einem Freispruch kommen, werde man Einspruch einlegen. Das Problem: Ist die Staatsanwaltschaft tatsächlich von ihrer Version der Geschehnisse überzeugt, wird sie bei einem Freispruch ebenfalls eine Fortsetzung des juristischen Gefechts einfordern wollen. Man darf gespannt sein, wer in der Freundeskreis-Saga nach dem Urteilsspruch am 9. Dezember das Nachwort schreiben wird.
- Von Dynamik und Statik: Xavier Bettels Europa- und Außenpolitik braucht neue Akzente - 19. November 2024.
- CSV und DP blicken auf ereignisreiches Jahr zurück - 18. November 2024.
- „déi Lénk“ sieht von „Interessenkonflikten durchsetzte“ Institution - 13. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos