„Das Team ist mir heute wichtiger“ / Zum 60. von Ni Xia Lian: Doppelinterview mit Ehemann Tommy Danielsson
Ni Xia Lian feiert am Dienstag ihren 60. Geburtstag. In einem Alter, in dem andere Sportler schon längst im Ruhestand sind, macht die luxemburgische Tischtennis-Ikone immer noch Sport auf höchstem Niveau. Was sie motiviert und was ihr wichtig ist, verrät sie zusammen mit ihrem Ehemann und Trainer Tommy Danielsson im Gespräch mit dem Tageblatt.
Tageblatt: Sie werden am Dienstag 60 Jahre alt. Wie fühlen Sie sich?
Ni Xia Lian: Die Zeit vergeht zu schnell (lacht). Das Einzige, was wir machen können, ist, das Leben zu genießen. Jeden Tag. Egal ob ich zu Hause koche, putze oder Tischtennis spiele, ich genieße die Zeit. Glücklich zu sein, ist das Wichtigste im Leben. Ich bin glücklich, dass ich gesund bin, meine Hausarbeiten machen und immer noch spielen kann.
Und wie fühlen Sie sich körperlich?
Ni: Ich würde sagen, man kann nicht gegen die Natur gehen. Man muss sich mit dem Alter einfach besser organisieren und an sich selbst anpassen. Man darf keine Dummheiten machen und die Gesundheit aufs Spiel setzen oder Verletzungen riskieren. Denn wenn ich gesund bin, kann ich mein Ding machen. Anders müssten sich andere Leute um mich kümmern. Das will ich nicht.
Was motiviert Sie, in Ihrem Alter weiter Sport auf höchstem Niveau zu machen?
Tommy Danielsson: Das ist mein Fehler. Jeder sagt mir immer, ich müsste weitermachen, denn sonst würde sie auch aufhören. Ich denke nicht, dass Sie die Welt alleine bereisen würde, um überall zu spielen.
Ni: Es hat auch mit Verantwortung zu tun. Als ich nach Luxemburg gekommen bin, wusste ich nicht, dass ich so viel für die Nationalmannschaft spielen würde. Ich dachte, ich würde Coach in meinem Klub sein und noch ein bisschen spielen. Heute bin ich aber eine Art Identifikationsfigur im Nationalteam. Ich bin die Nummer eins im Team, obwohl ich immer will, dass die junge Generation vor mir steht. Aber sie drücken mich immer in die erste Reihe. Das heißt, ich habe eine gewisse Verantwortung für das Team.
Was wollen Sie denn noch mit dem Nationalteam erreichen?
Ni: Ich will, dass Luxemburg durch uns ein gutes Image in der Welt genießt, und zeigen, dass es in unserem Land nicht nur Banken gibt. Ich will, dass die Leute wissen, dass man auch im kleinen Luxemburg etwas erreichen kann. Wir haben auch Kampfgeist, wir können auch gewinnen, wir können auch etwas erreichen. Das ist die Message, die ich in der Welt vermitteln will.
Haben sich Ihre Ambitionen mit der Zeit verändert?
Ni: Der Unterschied zu früher ist: Heute kämpfe ich fürs Team und ich fühle, dass ich einen Teil zum Erfolg beitragen kann. Wenn man jung ist, denkt man mehr an sich selbst. Das Team ist mir heute wichtiger.
Wie hätten Sie reagiert, wenn Ihnen jemand mit 18 Jahren gesagt hätte, dass Sie mit 60 immer noch Tischtennis auf höchstem Niveau spielen?
T.D.: Sie hätte ihn ausgelacht und für verrückt gehalten …
Ni: Ja (lacht). Ich hätte es mir nicht vorstellen können. Ich habe nie geplant, so lange zu spielen. Aber ich schätze das Land und die Unterstützung, die ich bekomme, wirklich sehr. Der Großherzog, das Olympische Komitee, die FLTT. Alle stehen hinter mir. Vor allem auch Tommy und meine große Familie. Ohne diese für Luxemburg guten Bedingungen, diese Atmosphäre und Liebe, wäre es unmöglich. Man kann uns natürlich nicht mit den großen Ländern wie China, Korea oder Japan vergleichen. Wir haben unsere Grenzen. Aber jeder arbeitet richtig hart. Das bewegt mich und motiviert mich.
Ich würde sagen, dass ich eine doppelte Persönlichkeit habeüber ihr sportliches und privates Leben
Haben Sie je ans Karriereende gedacht?
Ni: Ich würde gerne jetzt aufhören (lacht). Der Weg nach Paris ist nämlich sehr hart. Aber ich habe gesagt, dass ich mein Bestes dafür geben werde, deswegen mache ich auch weiter und versuche, meine Versprechen zu halten.
Sie waren schon fünfmal bei den Olympischen Spielen dabei. Wollen Sie unbedingt noch ein weiteres Mal teilnehmen?
Ni: Ich denke, man muss in der Realität leben. Ich bin glücklich mit dem, was ich erreicht habe. Wir müssen heute Schritt für Schritt aus unserer Situation das Beste machen. Ob es nochmal reicht: Das muss Gott entscheiden.
Sie beide stehen in einem sehr speziellen Verhältnis. Sie sind verheiratet, dazu haben Sie eine Trainer-Sportler-Verbindung. Wie schwer ist es, damit umzugehen?
T.D.: Ehemann und Trainer: Ich würde es nicht empfehlen (lacht laut). Nein. Wir haben die gleichen Ziele. Ich unterstütze sie. Wir streiten uns nicht oft. Wir haben manchmal verschiedene Meinungen, aber das ist o.k. Man sollte verschiedene Meinungen haben und nicht zu allem ja sagen. Unsere Kooperation funktioniert gut und ich denke, das ist auch einer der Gründe, warum sie so lange spielen kann. Wenn es zwischen uns keine gute Harmonie geben würde, wäre das nicht möglich. Ich verstehe auch, dass wenn es manchmal nicht so gut läuft, ich als „Punchball“ herhalten muss. Der Frust muss dann raus. Als sie zum Beispiel hier bei den European Games im Einzel verloren hat, hat sie mir abends gesagt: Ich hasse Tischtennis. Am Tag danach hat sie mir um 10 Uhr morgens gesagt: Ich muss härter trainieren (lacht). Das ist ihre Persönlichkeit. Aber ich bin ihr größter Fan und unterstütze sie.
Ni: Klar, was Tommy sagt, ist richtig. Ich würde aber gerne hinzufügen, dass das ganze ohne ihn unmöglich wäre. Ohne seine Qualität wäre ich nicht hier. Er ist sehr liebenswürdig. Er kann eine Menge einstecken. Nicht nur, was das Tischtennis betrifft. Es gibt viele Arten von „Shit“ im Leben. Das ist „special material“. Er ist sehr smart.
T.D.: Das ist neu … (lacht)
Ni: Ohne das wäre es nicht möglich. Ich brauche so jemanden, mit dem ich so zusammenarbeiten kann. Das gibt mir die Plattform, das zu tun, was ich tun will. Ich schätze das sehr. Die Ergebnisse kommen nicht nur von mir selbst, sondern von meiner ganzen Familie, dem Team und dem ganzen Land, weil sie mich unterstützen.
Wie regeln Sie Meinungsverschiedenheiten?
T.D.: Wenn ich eine Meinung habe und sie sagt, sie wäre falsch, ist das o.k. Vielleicht habe ich ihr aber dadurch einen Denkanstoß gegeben. Wenn ich nichts sagen würde, würde sie nicht mal darüber nachdenken. Sie ist aber oft richtig in ihren Entscheidungen. Sie muss selbst wissen, was sie macht. Das akzeptiere ich. Sie steht nämlich am Tisch und muss Entscheidungen in Sekundenschnelle treffen. Ich sitze am Rand und kann ihr ein paar Sachen mit auf den Weg geben. Aber die Gegnerinnen ändern auch Taktik und Platzierung. Sie muss sich selbst die ganze Zeit anpassen.
Ni: Im Sport bin ich sehr dominant. Ich brauche diese Persönlichkeit. Denn diese Dominanz zeigt, dass man selbstbewusst ist, dass man nicht zweifelt und dass man Courage hat. Ich bin mir klar über Taktik, Bewegungen und Technik. Davon kann mich niemand abbringen. Diese Einstellung muss man haben. Ohne kann man nicht Champion sein. Ohne starke Persönlichkeit wird man nicht Champion, sondern nur Zweiter.
Gibt es im privaten Leben eine andere Seite von Ihnen?
T.D.: Es ist wie Tag und Nacht (lacht).
Ni: Ich würde sagen, dass ich eine doppelte Persönlichkeit habe. Ich rede nicht oft darüber. Im Sport bin ich sehr hart, im privaten Leben ist das nicht so wichtig. Da kann alles ein bisschen relaxter sein. Zu Hause bin ich nicht so dominant. Zumindest versuche ich es. Es gibt viele Dinge, in denen Tommy besser ist als ich. Diese überlasse ich ihm.
Wie sieht Ihr Verhältnis zur jüngeren Generation im Nationalteam aus?
Ni: Ich will, dass sie mich überholen. Bereits vor zehn Jahren habe ich gehofft, dass die Kinder an mir vorbeiziehen.
T.D.: Dich zu überholen wäre aber egal wo in der Welt schwierig. Es ist nicht einfach, deinen Platz zu übernehmen.
Ni: Ja, aber man muss erst einmal anfangen, darüber nachzudenken. Man sah es bei den European Games im letzten Spiel gegen die Ukraine. Ich wusste, dass ich die letzten beide Male gegen Pesotska verloren habe. Ich habe aber auch vor zehn Jahren einmal gegen sie gewonnen – natürlich war ich da jünger. Aber ich war mir dessen bewusst. Es war eins der wichtigsten Spiele. Ich musste vorangehen. Ich bin glücklich, dass ich es machen konnte. Aber sie müssen mich überholen. Keine Frage. Die neue Generation muss besser werden wie ich. Aber jeder gibt sein Bestes. Die FLTT, die Spielerinnen – jeder.
Bleibt in Ihrem vollen Terminkalender Zeit, Ihren 60. Geburtstag zu feiern?
T.D.: Wahrscheinlich wird sie an dem Tag in einem Flugzeug sitzen oder Tischtennis spielen. Ich habe nicht die Möglichkeit, ihr eine Party zu organisieren. Ich werde wohl eine kleine Feier mit Verspätung planen müssen. Oder wenn ich für ihren 60. nichts machen kann, müssen wir bis zum 70. warten. (lacht)
Ni: Wenn ich es mir leisten könnte, würde ich ganz viele Leute einladen und sie glücklich machen. Das macht mich glücklich.
- Daniel Scheid: „Der Wechsel war nach der Verletzung die Chance, nochmal neu zu starten“ - 19. November 2024.
- Zwischen Klassenunterschied, Komplimenten von Bundesliga-Spielern und Zuversicht - 10. November 2024.
- Zwischen dem HBD und dem Europapokal-Achtelfinale steht eine große Herausforderung - 9. November 2024.
60 Jahre und immer noch auf höchsten Niveau spielend, herzliche Gratulation an eine grosse Sportlerin und ganz tollen Menschen 👏👏🫶