/ Zum Schutz der Kleinsten – Die Luxemburgerin Daisy Weydert entwickelt ein besonderes Kartenspiel
„Wir wollen spielen“ heißt das Kartenspiel, das die Studentin Daisy Weydert in Zusammenarbeit mit dem Ombudskomitee für die Rechte von Kindern (ORK) entwickelt hat. Auf lockere Art sollen auch die Jüngsten so bereits frühzeitig ihre Rechte nähergebracht bekommen. Im Interview verrät Daisy, warum 50 rot-weiße Karten genau das sind, was dem Kinderschutz in Luxemburg noch gefehlt hat.
Von Laura Tomassini
Tageblatt: Wie sind Sie darauf gekommen, ein Kartenspiel zum Thema Kinderrechte zu entwickeln?
Daisy Weydert: Im fünften Semester meines Bachelorstudiums absolvierte ich ein Pflichtpraktikum beim Ombudskomitee für Kinderrechte. Teil des Praktikums war ein Projekt. ORK-Präsident René Schlechter gab mir die Idee für ein Gesellschaftsspiel, da ihnen das noch für ihre Öffentlichkeitsarbeit fehlte. So ist das Ganze eigentlich entstanden.
Zur Person: Daisy Weydert
Nach ihrem Bachelorstudium in Heidelberg hat Daisy sich ihr Diplom als Sozialarbeiterin in Luxemburg anerkennen lassen und anschließend fünf Monate lang als feste Ersatzlehrerin in einer Grundschule gearbeitet. Danach stand ein dreimonatiger Trip durch Asien auf dem Programm, ehe die 25-Jährige ihren Master antrat.
Zwischen Juni 2016 und November 2017 hat sie während ihres Praktikums am Projekt „Wir dürfen spielen“ gefeilt, bis sie das Kartenspiel offiziell beim ORK präsentierte. Hilfe bekam sie nicht nur von Komitee-Präsident René Schlechter, sondern vor allem auch von ihrem ehemaligen „Aktioun Bambësch“-Chef, der selbst Gesellschaftsspiele entwickelt. Aktuell befindet sich Daisy im zweiten Semester ihres Masterstudiengangs „Psychosoziale Beratung und Gesundheitsförderung“. Wohin ihr Weg nach Uni und Co. führen wird, weiß die junge Studentin noch nicht. Im sozialen Sektor will sie aber definitiv bleiben.
Worin liegt der Zweck eines solchen Kartenspiels?
Es hat die Funktion, auf spielerische Weise den Kindern und Jugendlichen ihre Rechte zu vermitteln. Es richtet sich also v.a. an Leute, die im sozialen Bereich arbeiten. Ich finde es sehr wichtig, Kinderrechte auch nach außen bekannt zu machen, weil Kinder sehr verwundbar und schutzbedürftig sind. Ein Kind, das mit einer gewissen Problematik aufwächst und es nicht anders kennt, denkt, dass seine Situation normal ist. Bis jemand ihm erklärt, dass dem nicht so ist. Und genau das sollte jedem klar sein, je früher, desto besser.
Ist das Thema denn in Luxemburg aktuell?
Im ORK-Bericht vom vergangenen Jahr sieht man deutlich, dass die Zahl der erstellten Dossiers stetig steigt. Und zwar in allen Bereichen und Altersklassen. Das geht von Kindesmisshandlung zuhause bis hin zu Fällen, in denen ein Lehrer sich beim Komitee meldet, weil ein Schüler öfter blaue Flecken aufweist.
Rechte und Artikel klingen ja eher nach Themen für Erwachsene. Wie haben Sie diese kinderfreundlich aufbereitet?
Es gibt insgesamt 54 Artikel in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die in drei Bereiche aufgeteilt sind. Das Kartenspiel beinhaltet aber nur Artikel aus dem ersten Bereich, weil die beiden anderen sich eher auf Institutionen beziehen und für Kinder im direkten Sinne weniger relevant sind. Im Spiel sind 32 Rechte aufgeführt, die ich persönlich als wichtig empfinde. Zum Beispiel das Recht auf Freizeit und eine gewaltfreie Erziehung. Natürlich alles in Kindersprache, so dass die Kleinen auch verstehen, was sie da lesen.
Das Spiel richtet sich ja an Kinder und Institutionen hierzulande. Allerdings sind auch Beispiele enthalten, die gar nicht der Realität Luxemburger Kinder entsprechen. Etwa das vom kleinen Khalid aus Afrika, der jeden Tag Feldarbeit betreiben muss. Kann man Rechte denn eigentlich so generell anwenden, ungeachtet der Unterschiede zwischen Ländern und Kulturen?
Manche Beispiele sind bewusst so ausgewählt, dass die Kinder sich Gedanken machen sollen. In Luxemburg leben wir zwar in einer Idealsituation, das ist aber längst nicht überall der Fall. 192 Staaten haben die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet, so dass diese überall auf der Welt angewendet werden. Ausgenommen sind nur die USA. Es sind also internationale Rechte, die nicht nur Luxemburg betreffen. Darin stehen globale Dinge wie das Recht eines jeden Kindes, seine Eltern zu sehen. Jedoch werden auch Themen wie Entführung aufgegriffen, die ebenfalls in Luxemburg existieren. Wir bekommen davon nur nichts mit. Ein Beispiel sind Familien, die hierherkommen, wo sich dann aber irgendwann ein Elternteil mit den Kindern z.B. nach Afrika absetzt, um sie dort beschneiden zu lassen. Bei uns muss zwar kein Kind einen Teppich weben, aber bei so vielen Nationalitäten gibt es zahlreiche, die aus genau solchen Verhältnissen stammen. Wir leben zwar hier im Nonplusultra, aber auch als Kind sollte man schon wissen, dass das nicht selbstverständlich ist.
Woher stammen die Beispiele auf den Karten?
Die Geschichten habe ich erfunden, jedoch stellen sie oft Klischees dar. Etwa die Story über den 15-jährigen Hamit, der allein aus Syrien nach Deutschland flieht. Das mag so manch einen vielleicht stören und wurde mir auch schon so mitgeteilt. Ich bin allerdings der Meinung, dass man, wenn man auf Schwierigkeiten hinweisen will, manchmal einfach provozieren muss. Falls jetzt aber wirklich eine Institution Bedenken wegen eines Beispiels haben sollte, kann man das Spiel auch in einer abgeänderten Version nachdrucken lassen.
In der Theorie klingt das Spiel ja relativ simpel, allerdings ist das Lesepensum bei insgesamt 50 Spielkarten doch sehr groß. Kann man das überhaupt mit Achtjährigen – getreu dem angegebenen Mindestalter – spielen?
Die Spielweise und Karten lassen sich je nach Altersgruppe variieren. Bspw. können bei jüngeren Spielern nur fünf Geschichten ausgewählt werden, die sich immer auf dieselben Artikel berufen. Dann ist die Auswahl an Karten nicht so groß, was das Spielen mit kleineren Kindern erleichtert. Je nach Alter fangen die Kinder oder Jugendliche dann an, weiter zu denken und selbst Fragen zu stellen. Es ist daher wichtig, mit ihnen vor und nach dem Spielen über die Thematik zu sprechen.
Wie sieht das konkret aus?
In meinen Klassen mache ich es immer so, dass wir als Vorarbeit Gruppen bilden und jedes Team fünf Artikel bekommt, zu denen es dann brainstormen soll und die gesammelten Informationen anschließend den anderen Schülern vorstellt. Hier werden dann auch Begriffe erklärt und besprochen, was Kinderrechte eigentlich sind. Man kann ebenfalls im Voraus bestimmen, welche Themen man behandeln möchte und welche nicht. Sexuellen Missbrauch kann man so vielleicht bei Achtjährigen noch rauslassen. Nach dem Spiel bekommt von mir immer jeder ein Blatt mit den zuständigen Kontaktstellen und wichtigen Telefonnummern. Ich erkläre dann Dinge wie Schweigepflicht und dass Polizisten nicht nur die Bösen sind, wie sie oft dargestellt werden, sondern vor allem da sind, um zu helfen.
Wie waren die Reaktionen auf das Kartenspiel während der Testphase?
Da gab es Riesenunterschiede. Bei den Pfadfindern in Beles war die Motivation vom Alter abhängig, im Jugendhaus in Strassen hielt sich die Begeisterung eher in Grenzen. Das Feedback war aber generell, dass die meisten das Thema in der Schule wohl eher uninteressant gefunden hätten, durch das Spiel aber enorm viele Infos mitnehmen konnten.
Und in der Praxis: Nützt das Spiel etwas?
Kinder sind sehr offen und sprechen auch vor ihren Mitschülern Probleme direkt an. Ich plane daher immer mindestens zwei Stunden für das Spiel ein: 20 bis 30 Minuten Vorbereitung, eine halbe Stunde spielen und dann noch eine volle Stunde danach zur Nachberatung.Bisher war ich noch in keiner Klasse, in der nicht irgendein Zwischenfall plötzlich zur Sprache kam. In einer Klasse haben sich gleich drei Kinder offenbart, die zuhause geschlagen werden. Das Spiel dient also nicht nur der Öffentlichkeitsarbeit des Komitees, sondern ist vor allem ein Medium, um Situationen aufzudecken. Die Kinder werden nicht direkt gefragt, „Wirst du Zuhause misshandelt?“, sondern kommen spielerisch darauf. Klar haben die Kleinen manchmal einen Hang zur Dramatisierung, aber lieber wird etwas überdramatisiert und klärt sich auf, als dass über eine prekäre Situation einfach gar nicht geredet wird und niemand etwas davon mitbekommt.
Wo ist das Spiel erhältlich?
Das Spiel ist kostenlos und kann über das ORK bestellt werden. Es gibt enorm viel Interesse und Nachfrage seitens des Schulpersonals. Ich habe das Spiel auch schon bei der LSAP vorgestellt, die es dann ans Ministerium weitergereicht hat. Von da habe ich allerdings noch keine Rückmeldung erhalten, was ich persönlich sehr schade finde. Es gibt ja keinen Religionsunterricht mehr, das heißt jetzt VISO („vie et société“) und da stehen Kinderrechte zwar auf dem Programm, allerdings nur als Frontalunterricht. Und wenn man als Zusatz schon ein gratis Kartenspiel beantragen kann, dann wäre es doch blöd, dieses Angebot nicht zu nutzen.
Vielleicht noch einen letzten Kommentar zum Schluss?
Kinderrechte stehen zwar auf dem Schulprogramm und das ist auch gut so, allerdings möchte ich betonen, dass man nicht vergessen darf, dass Kinder zwar Rechte haben, aber auch Pflichten. Es reicht nicht zu sagen, Kinder dürfen spielen und haben das Recht auf Freizeit. Sie sollen auch lernen, höflich zu sein und dass man der Mutter auch mal helfen kann, die Spülmaschine auszuräumen. Das geht im heutigen Schulkontext oft etwas unter.
Bestellung:
Ombuds Comité fir
d’Rechter vum Kand
Tel.: 26 123 124
www.ork.lu
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