Rizo Agovic / Zurück ins Leben: Vom Kampf gegen die Leukämie und gelebter Solidarität
Vor fast zwei Jahren erhielt Rizo Agovic die niederschmetternde Diagnose akute Leukämie. Ganz Schifflingen und Teile des Südens mobilisierten sich, um einen geeigneten Stammzellenspender zu finden. Heute ist der 36-jährige Familienvater auf dem Weg zurück ins Leben.
Er war die gute Nachricht der Schifflinger Gemeinderatssitzung vor zwei Wochen: Erstmals nahm Rizo Agovic wieder persönlich im Gremium Platz, nachdem er seit Anfang des Jahres per Video zugeschaltet war. Der Lokalpolitiker geht erst seit ein paar Wochen wieder unter Menschen. Er muss vorsichtig sein, denn er hat ein völlig neues Immunsystem. Bereits eine kleine Infektion könnte lebensbedrohliche Folgen haben. „Bei den ersten Kontakten war ich extrem nervös. 99% meiner Stammzellen sind fremd, d.h. das Immunsystem muss ganz neu aufgebaut werden“, erklärt er im Gespräch mit dem Tageblatt. Die Erleichterung, ins Leben zurückzukehren, ist ihm trotz aller Vorsicht deutlich anzusehen: „Mir geht es momentan ziemlich gut, vor allem im Vergleich zum letzten Jahr.“
Im Dezember 2019 hatte Rizo Agovic die Diagnose akute Leukämie erhalten. Am Tag danach bekam er seine erste Chemotherapie. Viele sollten folgen. Die Solidarität mit dem Urbanisten war groß. Schifflingen machte mobil, genau wie andere Gemeinden im Süden. 800 Menschen ließen sich im Februar 2020 im Schifflinger Rathaus testen, um einen passenden Stammzellenspender zu finden. Ähnliche Aktionen gab es in Esch, Dippach, Rümelingen und andernorts. Auch Sportvereine beteiligten sich. Allerdings vergebens. Die Chancen, einen genetischen Zwilling zu finden, sind winzig klein.
Agovic hatte Glück. Im April 2020 kam die erlösende Nachricht aus dem Saint-Luc-Krankenhaus in Brüssel. Ein passender Knochenmarkspender war in den USA gefunden worden. Allerdings hatte das Krankenhaus zu diesem Zeitpunkt mit der Corona-Pandemie zu kämpfen. Es war kein Intensivbett mehr frei, was Voraussetzung für eine Transplantation ist. Also ging es nach Mont Godinne ins Universitätskrankenhaus von Namur. Zuvor war er im CHL behandelt worden. Ein Transplantationszentrum gibt es in Luxemburg nicht. Zu diesem Zeitpunkt sei er komplett am Ende gewesen, erinnert sich Rizo Agovic. Denn sein Immunsystem musste mit Chemotherapien auf 0 heruntergefahren werden, die Abwehrkräfte schwanden.
Durchhalten
Das hinterließ körperliche Spuren. Aber auch seelische, die durch die Isolation noch verstärkt wurden. Jeder Kontakt mit potenziellen Infektionsquellen musste verhindert werden, und dann kam der Corona-Lockdown hinzu. Agovic lag alleine im Krankenhauszimmer, musste die Therapien über sich ergehen lassen und durfte seine Familie nicht sehen. „Das war zu viel für mich. Nie enden wollende Tage und schlaflose Nächte. Ich wurde langsam depressiv und war sicher kein einfacher Patient. Ab und zu habe ich gedacht: Ich will nicht im Krankenhaus sterben. Also habe ich es ertragen“, berichtet Rizo Agovic.
Es war der Rückhalt seiner Familie, der ihn durchhalten ließ. Rizo Agovic’ Frau Enisa ist selbst Ärztin, wusste also von Anfang an genau, wie es um ihren Mann bestellt war. „Ich denke, dass das alles für sie deshalb viel schlimmer war als für mich“, sagt der 36-Jährige nachdenklich. Ihm selbst habe geholfen, dass er medizinisch ein kompletter Laie war: „Ich habe mir gesagt, du kannst nichts machen, außer den Ärzten zu vertrauen.“ Die beiden haben zwei kleine Kinder, sechs und acht Jahre alt. Der Gedanken an sie half dem Schwerkranken, er setzte sich kleine Ziele wie zum Beispiel noch etwas Schönes mit ihnen unternehmen zu wollen, den nächsten Geburtstag zu feiern. Enisa Agovic legte ihre Arbeit als Hausärztin ein Jahr nieder, um für ihren Mann da zu sein.
Rizo Agovic überstand die Zeit bis zur Knochenmark-Transplantation. Die aber war erst der Anfang. Das Immunsystem musste wieder aufgebaut werden. Ob eine Transplantation erfolgreich ist, entscheidet sich vor allem in den ersten 100 Tagen nach der Transplantation. Während dieser Zeit ist das Risiko eines Rückfalls noch hoch. Sieben Wochen verbrachte Rizo Agovic in Namur, seine Frau und sein Vater besuchten ihn jeden Tag, als die Besuche im Krankenhaus wieder erlaubt wurden. Dafür mussten auch sie sich zu Hause isolieren. Um keine Krankheitserreger mit nach Namur zu bringen, brachen sie vorübergehend den Kontakt zu Verwandten und Freunden ab.
Namur war nur eine Zwischenstation. Erst wenn der Patient das erste Jahr nach der Transplantation hinter sich hat und die Werte gut sind, steigen die Chancen, wieder gesund zu werden. Das war im Fall Rizo Agovic Mitte Mai 2021. Bis dahin war es aber noch ein weiter Weg. Nach zwei Wochen zu Hause musste er wegen einer Virusinfektion wieder einen Monat nach Namur. Inzwischen fährt er nur noch jeden zweiten Monat zur Kontrolle hin. „Die Ärzte sind zufrieden mit mir. Und ich bin froh, sie und die Krankenpfleger wiederzusehen. Sie kannten mich nur in einem sehr schlechten Zustand. Und auch für sie ist es wichtig zu sehen, dass es den Patienten besser geht, denn oft genug geht es auch schief“, sagt Agovic.
Normalität
Zurück in Schifflingen, isolierte er sich zu Hause. „Am Anfang war es ganz schlimm, sobald die Kinder mit einer laufenden Nase aus der Schule kamen, habe ich mich isoliert.“ Heute ist er etwas lockerer. „Ich mache mich nicht mehr verrückt, man kann nicht alles beeinflussen. Aber natürlich tue ich auch nichts Unüberlegtes.“ Die Familie hat gelernt, mit seinen Hygiene-Kriterien zu leben. Dass er wieder zu seiner Arbeit in die Monnericher Gemeinde kann, freut ihn ungemein. Genau wie die Tatsache, wieder für die LSAP im Schifflinger Gemeinderat zu sitzen. Jedes Stück Normalität, das er zurückbekommt, ist für Rizo Agovic ein kleiner Sieg.
Es hätte auch schiefgehen können. Also ist er dankbar. Seiner Stammzellenspenderin, deren Namen er nicht kennt. Denn eine Kontaktaufnahme ist frühestens zwei Jahre nach der Transplantation möglich. Er weiß nur, dass es eine Frau war und dass er sie unbedingt mit seiner Familie in den USA besuchen will, um sich bei ihr für das geschenkte Leben zu bedanken. Und Rizo Agovic ist dankbar für die Unterstützung seiner Familie und die Welle der Solidarität in seiner Heimat. „Das war zu einer Zeit, als es mir extrem schlecht ging. Die Solidarität der Menschen kam, als ich sie am meisten gebraucht habe. Sie hat geholfen, nicht in eine dauerhafte Depression zu fallen.“ Jeder einzelne Zuspruch war wichtig, sagt er, v.a. auch von selbst Betroffenen: „Man wird jeden Tag mit dem Tod konfrontiert, da hilft es, Menschen zu sehen, die es überlebt haben.“
Momentan ist Rizo Agovic auf dem Weg zurück ins Leben. „Man genießt die Kleinigkeiten des Alltags. Und man genießt jeden Tag, den man mit der Familie oder Freunden verbringen kann. Mein Leben war vor meiner Erkrankung eher hektisch. Jetzt nehme ich mir mehr Zeit, vor allem für die Kinder. Denn man kann im Leben nie wissen, ob es das letzte Mal ist oder nicht.“
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