Konzert / Zwanzig Jahre Hedonismus – und (k)ein bisschen weiser: The Libertines im Atelier
Die Libertines spielen recht brav, gekonnt und diszipliniert ihr Kultalbum „Up the Bracket“ von A bis Z, huldigen dem wirren Chaos ihrer hedonistischen Tage dafür erst im zweiten Akt, währenddessen es dann die besten Tracks vom Rest gibt. Das war leicht schizophren, klangtechnisch oft sehr durcheinander – und trotzdem immer noch ziemlich brillant.
Anniversary Tours eines Kultalbums sind das konzertante Äquivalent einer Best-of-Platte: Man tourt altes Zeug, weil man kein neues Material auf Lager hat und trotzdem Geld verdienen und die Fans bei der Stange halten möchte. Im Gegensatz zur Best-of-Platte, wie Franz Ferdinand sie im frühen Sommer in der Rockhal tourte, haben aber selbst Kultalben eine Hitdichte von maximal sechs Songs, der Rest ist meist mit weniger bekannten, oft aber ausgezeichneten Songs, manchmal auch mit ein paar Füllern belegt. Wie gut sich die weniger kultigen Tracks auch zur Live-Transponierung eignen, merken Band und Fans meist erst im Laufe der Shows.
Bei den Libertines verstärkte sich der Eindruck, man wolle auf die Schnelle den Fans etwas Geld abluchsen, während des kurzen Abstechers beim Merch-Stand, wo eine Menge handsignierte Libertines-Paraphernalien sowie Gemälde zu stolzen Preisen über die improvisierte Theke gingen.
Nichtsdestotrotz war die Vorfreude groß – und das städtische Atelier fast ausverkauft. Fast genau drei Jahre nach ihrem letzten Auftritt in Luxemburg, bei dem die Band Auszüge aus ihrem bereits damals schon nicht mehr ganz neuen letzten Album „Anthems for a Doomed Youth“ (2015) sowie die besten Tracks der beiden Vorgängeralben spielte, steht das Quartett, das zurzeit an einer neuen, vierten Platte werkeln soll, erneut auf der Bühne der rue d’Hollerich.
Dass mittlerweile 20 Jahre seit dem kultigen Erstling „Up the Bracket“ verstrichen sind, macht einen selbst nicht jünger – aber auch Carl Barât und (vor allem) Pete Doherty sind von der verstrichenen Zeit und dem hedonistischen Lebensstil gezeichnet: Barâts Blick wirkt starr und ein bisschen regungslos, Doherty zu Beginn des Konzerts recht erschöpft.
Dabei wirkt es fast ein bisschen voyeuristisch, dass man Pete Dohertys momentane Beziehung zu den Drogen an dessen Körper ablesen kann. So verkündete das enfant terrible des Indierock im Rahmen der Erscheinung seiner letzten Platte „The Fantasy Life of Poetry & Crime“, die er zusammen mit dem Franzosen Frédéric Lo geschrieben und aufgenommen hatte, mittlerweile ganz clean zu sein; bestätigten schienen dies, als Doherty auf der Bühne auftauchte, sowohl Kommentare der Fans („he’s huge“) als auch Dohertys Müdigkeit – ganz schien es so, als sei er es noch nicht gewohnt, ganz ohne Substanzen aufzutreten.
Zwei Sets, zwei Eindrücke
Trotzdem gibt es während dem ersten 50-minütigen Set keine Zeit zur Langweile, was unter anderem daran liegt, dass die Hits von „Up the Bracket“, hier akribisch vom ersten bis zum letzten Song durchgespielt, auch nach 20 Jahren noch unverbraucht klingen: Die Oden an den Hedonismus, die Doherty-Barât-Bromance, der Wechselgesang zwischen den beiden, die schiefen, auf einem Abgrund tänzelnden Gitarren-Arpeggi, das Ungestüme – all das ist immer noch da, auch wenn die Band mitunter so routiniert wirkt wie die Schauspieler, die im Pariser „Théâtre de la Huchette“ Tag für Tag dieselben Ionesco-Stücke spielen.
Allein die Hitdichte spricht für sich: „Vertigo“, „Boys in the Band“, „Horror Show“, „Time for Heroes“, „Up the Bracket“ – irgendwie ist man fast erstaunt, dass all diese Klassiker auf dieser von damals blutjungen Hedonisten geschriebenen Platte fungieren. Es ist dann auch die Qualität dieser Songs, die einen darüber hinwegschauen lässt, dass das „Album-Anniversary“-Konzept keine Freiheiten, geschweige denn Überraschungen in der Zusammenstellung der Setlist erlaubt – und man trotzdem merkt, dass die Energie von damals nicht mehr so ganz vorhanden ist.
Aber dann: Nach längerer Pause kehrt die Band zurück auf die Bühne – und fast wirkt es so, als hätte sich das Quartett mit „Up the Bracket“ bloß warmgespielt. Barât und Doherty sind entspannter, was sich wohl auch dadurch erklärt, dass sich die Band nun vom Zwang der strengen Songabfolge lösen kann. Doherty, der im ersten Akt teilweise erschöpft seine Akkorde schrammelte, plaudert feixend mit dem Publikum, möchte gerne sein Béret zurückhaben, kommentiert einen Screenshot auf einem Smartphone, das ihm ein Fan in der ersten Reihe zeigt.
Irgendwie scheint das Konzert ständig fast aus den Fugen zu geraten: Nach „Mayday“ erscheint ein junger, verwirrter Typ auf der Bühne, der wenig später seiner Angebeteten einen Hochzeitsantrag macht. „What Katie Did“ wird zur langgezogenen Jam, der Song wird mehrmals unterbrochen und wieder aufgenommen, Barât übernimmt die Lead Vocals des Tracks, den Doherty über seine Beziehung mit Kate Moss geschrieben hatte.
Doherty und Barât teilen sich wie zu alten Zeiten immer häufiger ein Mikrofon, wechseln die Bühnenkonstellation, nähern sich, vermitteln endlich wieder den Eindruck der Dringlichkeit, aber auch des (mehr oder weniger) kontrollierten Ausuferns, wofür die Band seit jeher steht. Die Mischung davon macht dieses „je ne sais quoi“ aus, das bei den Libertines ständig droht, in ein „n’importe quoi“ umzukippen.
Bei allem Schabernack verliert die Band die Songs nicht aus den Augen. Gegen Ende wird mit „What became of the likely lads“, „Music when the lights go out“, „Can’t stand me now“ ein regelrechtes Feuerwerk an Hits von der zweiten Platte gezündet; vom rezenten „Anthem for doomed youth“ gab es lediglich die beiden ausgezeichneten, jedoch ruhigeren „Gunga Din“ und „You’re my Waterloo“ – womit die Band unterstrich, dass das Konzert eher eine Zeitreise als ein Blick nach vorne sein sollte.
Nach dem Konzert erschien Carl Barât gegen 1 Uhr für ein akustisches Set in der Lobby des Ateliers, Berichten zufolge wurde Pete Doherty mit einem riesigen Hund gesehen – ein Libertines-Konzert ist auch 20 Jahre nach „Up the Bracket“ immer etwas ausgefallener als die Gigs der restlichen Indiehelden von damals. Das macht den leicht schwammigen, unklaren Sound, bei dem speziell Dohertys Stimme und Gitarre manchmal im Mix untergingen, dann auch etwas wett.
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Herr Schinker: Normalerweise sind schlanke Menschen eher drogenabhängig als dicke Menschen, weil Drogen auch das Hungergefühl unterdrücken. Fettleibigkeit kommt eher von Medikamenten wie Antidepressiva, Betablocker, Cortison, Neuroleptika oder eben ganz einfach, durch Bewegungsmangel.