Analyse / Zwei Motionen, eine Debatte und null Erkenntnisse: Aufklärung der Corona-Cluster verkommt zum politischen Ränkespiel
Zwei Motionen sorgten am Donnerstag für hitzige Diskussionen im Luxemburger Parlament, die zu einer wahren Schlammschlacht ausarteten und in der Rücktrittsforderung der Opposition für Familienministerin Corinne Cahen (DP) gipfelten. Gewinner gibt es keine, nur einen Verlierer: Vertreter einer unabhängigen Aufklärung der Geschehnisse in den Alters- und Pflegeeinrichtungen. Eine Analyse.
Die Corona-Cluster in den Alters- und Pflegeheimen und die fällige Aufarbeitung der Vorfälle beschäftigen die Luxemburger Parlamentarier seit mehreren Wochen. Die Rede ist von hitzigen Kommissionssitzungen, in denen es auch teilweise sehr emotional gewesen sein soll und unter die Gürtellinie gezielt wurde. Eine Expertenstudie soll das Entstehen der Corona-Cluster endgültig aufklären – das ist der einzige Punkt, in dem sich die einzelnen Parteien momentan einig sind. Zwei sehr ähnliche Motionen, die in der Plenarsitzung der Chamber am Donnerstag vorgelegt wurden, forderten genau das – unterscheiden sich jedoch in einem entscheidenden Punkt.
Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Zu Beginn der Chamber-Sitzung zog der CSV-Abgeordnete Michel Wolter seine am 18. März eingereichte Motion zurück, die eine Aufklärung der Vorfälle im Niederkorner Altersheim „um Lauterbann“ forderte, und ersetzte diese durch die Aufforderung, die Corona-Cluster in allen Alters- und Pflegeeinrichtungen zu untersuchen, in denen es zu einer Anhäufung von Corona-Infektionen kam. Diese Motion war von Fernand Kartheiser (ADR), David Wagner („déi Lénk“), Sven Clement (Piraten) und der CSV-Fraktionschefin unterzeichnet.
Der Präsident der Gesundheitskommission, Mars Di Bartolomeo (LSAP), reichte im Namen der Mehrheitsparteien seinerseits eine Motion ein, die ebenfalls eine Untersuchung der zahlreichen Infektions- und Todesfälle in den Altersheimen fordert – unterzeichnet hatten diese neben Di Bartolomeo der LSAP-Fraktionschef Georges Engel (LSAP), die Fraktionschefin von „déi gréng“, Josée Lorsché, der DP-Fraktionschef Gilles Baum und der DP-Abgeordnete Gusty Graas.
Unterschied liegt im Detail
Seltene Einigkeit im Parlament zwischen Mehrheit und Opposition – würden sich nicht einige entscheidende Textpassagen wesentlich unterscheiden. In der Motion der Opposition wird die Regierung aufgefordert, eine externe und unabhängige Studie in Auftrag zu geben, die von externen Experten in Zusammenarbeit mit den wissenschaftlichen Instituten die Ursache und den Verlauf der Corona-Infektionen in den Alters- und Pflegeeinrichtungen untersucht. Im Wortlaut: „à commander immédiatement une étude indépendante externe afin d’analyser, en collaboration étroite avec les instituts scientifiques, les sources des clusters qui se sont produits dans les structures d’hébergement pour personnes âgées […] ainsi que leur cheminement, et d’en déterminer les causes“. Die Rolle des Parlaments wird folgendermaßen definiert: „à mettre en place un comité de pilotage sous la présidence d’une personne indépendante et incluant la Chambre des députés“.
Die von den Mehrheitsparteien unterstützte Motion fordert die Regierung hingegen dazu auf, eine externe, unabhängige Studie anzufordern, die, zusammen mit den wissenschaftlichen Instituten und in Zusammenarbeit mit der Gesundheitsdirektion, dem Gesundheitsministerium und dem Familienministerium, den Werdegang der Corona-Cluster in den Alters- und Pflegeheimen untersucht und den Grund, wie es zu diesen Infektionsclustern kommen konnte, festlegt. Zitat: „à commanditer immédiatement une étude externe indépendante en association étroite avec les instituts scientifiques et en collaboration avec la Direction et le ministère de la Santé, ainsi que le ministère de la Famille et de l’Intégration afin d’analyser les sources des clusters qui se sonts produits dans les structures d’hébergement pour personnes âgées […] ainsi que leur cheminement, et d’en déterminer les causes“. Die Motion der Mehrheit will unterdessen kein „Comité de pilotage“, sondern sieht das Parlament eher in einer beigeordneten Rolle: „à informer les commissions parlementaires concernées sur la conception de ces études.“
Letztendlich wird von der Opposition ein externes Audit gefordert, um „l’application du cadre légal et réglementaire, des mesures sanitaires, des recommandations et des procédures indiquées“ zu analysieren. Die von der Mehrheit unterstützte Motion forderte hingegen ein Audit, das die Anwendung der Hygienemaßnahmen untersuchen soll. Ob dieses extern oder intern durchgeführt werden soll, geht aus dem Wortlaut der Motion nicht hervor. Bis auf die zitierten Textpassagen sind die Forderungen an die Regierung buchstäblich exakt die gleichen.
Polemische Debatte
Dennoch sorgten die Unterschiede für eine lange Debatte. Der Kritikpunkt der Opposition: Es gebe Zweifel an der Unabhängigkeit der Studie, wenn die von David Wagner („déi Lénk“) als „inkriminierten“ bezeichneten Ministerien in irgendeiner Form an der Studie beteiligt werden sollten. Die Mehrheit argumentierte unterdessen, dass die Ministerin lediglich eingebunden werden, um den nötigen Datenfluss zu ermöglichen – und nicht um Einfluss auf die Untersuchungen zu nehmen.
„Über lange Strecken habe man die gleichen Ansichten gepflegt“, sagt Mars Di Bartolomeo in der Plenardiskussion – bis der Regierung schon in den Kommissionssitzungen Vertuschung von Tatsachen und Fälschung von Statistiken vorgeworfen wurde. Ein Vorwurf, den die CSV schon mehrmals erhob. Die Infektions- und Todeszahlen werden jedoch direkt an die Gesundheitsdirektion weitergeleitet, die die Zahlen entsprechend kategorisiert und die Statistiken erstellt. Das Familienministerium habe darauf keinen Einfluss, sagte Familienministerin Corinne Cahen gegenüber dem Tageblatt.
Der Wortlaut der von der Mehrheit eingereichten Motion lässt aber die Interpretation zu, dass die Regierung letzten Endes die Kontrolle über die veröffentlichte Studie haben könnte – was im Umkehrschluss aber auch nicht zwangsläufig bedeutet, dass die Regierung wissentlich und willentlich der Irreführung schuldig ist, wie es von der Opposition dargestellt wurde. Dass beide Ministerien und die Gesundheitsdirektion im Falle einer externen Untersuchung die nötigen Daten bereitstellen müssen erscheint elementar – gerade wenn den Beschuldigten an einer Aufklärung der Vorfälle gelegen ist, wie am Donnerstag im Plenum mehrmals behauptet wurde. Die Bedenken der Opposition jedoch ad absurdum zu führen – es sei an die Aussage von Gilles Baum des „Intrigantenstadl“ erinnert –, zeugt wahrlich nicht von demokratischer Größe der Mehrheitsparteien.
Politischer Wille
Eine parlamentarische Motion ist per Definition ein Akt politischen Willens, die als solche gelesen werden muss. Die Einbindung der Regierung in die Studie ist somit – ungeachtet der tatsächlichen Implikation oder Kooperationsbereitschaft – Ausdruck des politischen Willens der Mehrheitsparteien. Dadurch haben sich die Mehrheitsparteien nicht nur am Donnerstag im Parlament angreifbar gemacht. Sollte die Studie ein fehlerfreies Handeln der zuständigen Minister belegen, wird das wieder nur das Narrativ der Opposition befeuern, die Regierung wolle etwas vertuschen – ungeachtet der tatsächlichen Vorkommnisse, die am Donnerstag scheinbar jedem am Herzen lagen. Gilles Baum (DP) beschuldigte am Donnerstag die CSV, ihr Vorstoß sei nur eine Nebelkerze, um von internen Problemen abzulenken. Mit seiner bizarr anmutenden Argumentation – „Es wäre speziell, wenn die zwei Ministerien nicht mit der unabhängigen Studie zu tun haben“) – muss sich der DP-Fraktionschef jedoch den Vorwurf gefallen lassen, dafür bereitwillig das Feuerzeug hingehalten zu haben.
Der politische Wille der Opposition ist jedoch keinesfalls frei jeglicher Bedenken. Ob Ablenkungsmanöver von der CSV hin oder her, es haben sich noch drei weitere Parteien der Motion angeschlossen, die eine unabhängigere Studie fordern soll, als der Gegenentwurf der Mehrheit es tut. Dass die Mitwirkung des Parlaments in einem „Comité de pilotage“ jedoch jede Hoffnung auf politische Neutralität schwinden lässt, wird ebenso schnell übersehen wie der Fakt, dass die Ernennung eines „unabhängigen“ Leiters dieses Ausschusses wohl zum Politikum verkommen würde.
Die Opposition forderte in der parlamentarischen Diskussion sogleich ein politisches Audit – das in der Motion jedoch als „externes Audit“ aufgeführt wird. Auch hier erscheint nicht klar, welchen Weg die Opposition einschlagen will: Ein externes Audit, das die Hygienemaßnahmen und Entscheidungen der Ministerien auf Basis von Fakten untersucht, unterscheidet sich wesentlich von einem politischen Audit, in dem politische Entscheidungen und Konsequenzen im Vordergrund stehen dürften. Dass dieser Unterschied in der Hitze des Gefechts abhandengekommen ist – geschenkt, denn: Das von den Mehrheitsparteien angeforderte Audit lässt jegliche genauere Definition vermissen.
Ein Verlierer
Die anschließend folgenden Diskussionen waren wahrlich keine Sternstunde des Luxemburger Parlamentarismus. Gänzlich zur Farce verkam das Schauspiel, als der Motion der Opposition nicht stattgegeben wurde – und diese umgehend den Rücktritt der Familienministerin Cahen (DP) forderte. Wenn der Opposition unter der federführenden CSV wirklich an einer faktenbasierten Aufklärung der Vorfälle gelegen war, hätte sie zumindest die Ergebnisse der Studie, deren Unabhängigkeit im Zweifelsfall auch im Nachhinein noch evaluiert werden kann, und des Audits abwarten können.
Die Art und Weise, wie am Donnerstag in Luxemburgs legislativer Kammer diskutiert und argumentiert wurde, lässt jedoch nur einen Schluss zu: Ob Mehrheit oder Opposition – beide Lager müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sich die Debatte vor allem um eines drehte, nämlich politisches Kapital. Versuchte ein Lager die politische Leiter zu erklimmen, war die Gegenseite vor allem darauf bedacht, die dafür nötigen Stufen abzusägen. Gewinner aus der Parlamentsdebatte gibt es keine, jedoch viele Verlierer: Die Menschen, die sich eine politisch unabhängige Aufklärung der Infektionscluster in den Altersheimen wünschen, um mit den Vorfällen endlich abschließen zu können.
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Et as ganz schlemm dass LSAP mathelleft, dass dat do alles net opgeklärt gett mee ennert den Teppech gekiert gett. Firwat soll ech nach LSAP wielen, wann si de Schoussmippche vun deene Liberale sinn. Dei kreie vu mir keng Stemm mei. Nodeem ech mäi ganzt Liewen rout gewielt hunn ass elo Schluss!
d’Regierungs Solidaritéit huet eben och eben Grenzen, zefill Doudeger do muss klor gestallt ginn wieso? fir waart? etc…
Eis Regierung as Weltmeeschter am Vertuschen an am Verbreeden vun Falschinformatiounen
@Ex – Sozialist: Der Macht wegen hat die LSAP sich einst bei der CSV angebiedert, augenblicklich bei den Demokraten nach den nächsten Wahlen bei den Grünen. Die LSAP im Wandel der Zeit wie ein Chamäleon über den Konservativismus , neoliberale Wirtschaft bis dann wohl zur Ökodiktatur so immer ihre Regierungsposten hinüberretten tut. Die Ideen der sozialistischen Gründerväter spiegeln sich nur noch im Parteinamen , der Arbeiter durch Advokaten,Professoren,…ersetzt und die Partei zu einer Gemeinschaft , zum Sammelsurium von Karrieristen/innen geworden sind.
Bei dubiosen Todesfällen ist meiner Meinung nach an erster Stelle die Kriminalpolizei , auf gut luxemburgisch der « Spëtzeldingscht » geeignet Licht zu schaffen und zwar hier Hand in Hand mit Virenexperten . Minister und Abgeordnete die in den vorliegenden Verdachtsfällen nicht die geringste Ahnung über Covid , Corona und Co. haben sollen sich hier geflissentlich heraushalten und Massnahmen ergreifen um das Volk zu beruhigen , anstatt es nervös zu machen ……..
Dies umso mehr den Eindruck zu vermeiden dass Corona hauptsächlich auf politischer Basis beruht !!!
lieber die Karrieristen von der LSAP als die verwöhnten Grossgrundbesitzer Erben der CSV
@Sepp
Sie meinen wohl die Kaviar-Sozialisten
@Sepp:Ich glaube nicht, CSV und LSAP in der Politik noch ein großer Graben trennt.Augenblicklich die gesamte Parteienlandschaft sich nur ihren eigenen Machtinteressen widmet, das Volk mit Krümel füttert „ an lait d‘Karr am Dreck, dierf et blechen “.