Krebs / Zwei Mütter erzählen: „Mein Kind kämpft noch heute mit den Langzeitfolgen“
Jedes Jahr sterben in Europa 6.000 Kinder an Krebs. Am 15. Februar ist internationaler Kinderkrebstag. Zu diesem Anlass stellte die „Fondatioun Kriibskrank Kanner“ am Donnerstag ihre Bilanz des Jahres 2022 vor und wies auf die bleibenden Herausforderungen hin. Statistiken sagen jedoch wenig über Einzelschicksale aus. Das Tageblatt sprach mit zwei betroffenen Müttern.
Voriges Jahr betreute die „Fondatioun Kriibskrank Kanner“ 303 Patienten. Das sind 36 mehr als im Vorjahr. Die betroffenen Kinder sind zwischen 11 Monate und 17 Jahre alt. Sechs Kinder erlitten einen Rückfall, neun starben an ihrer Krankheit. Europaweit wurden voriges Jahr 15.000 Kinder mit Krebs diagnostiziert. Momentan gibt es laut offiziellen Zahlen eine halbe Million Patienten in Europa , die ihr Krebserkrankung überstanden haben, zwei Drittel von ihnen leiden jedoch an langwierigen Begleiterscheinungen. Die Bilanz eines Jahres zu ziehen, bedeutet Zahlen präsentieren (siehe Kasten); hinter den Zahlen verbergen sich jedoch Einzelschicksale.
Charlotte war 13 Jahre alt, als sie erfuhr, dass sie an Knochenmarkleukämie leidet. „Ich brachte es nicht übers Herz, es ihr zu sagen”, erzählt ihre Mutter Annick Deblaere und bat den Arzt, es zu tun. Auf die Nachricht selbst habe ihre Tochter nicht gleich reagiert. „Sie wollte aber sofort wissen, ob sie ihre Haare verlieren werde. Als man die Frage bejahte, hat sie anderthalb Stunden geweint.“
Von einem Tag auf den anderen musste ihre Mutter, die als Physiotherapeutin arbeitete, alle ihre Termine absagen, um mit der Tochter nach Brüssel zur Behandlung zu fahren, wo sie insgesamt ein Jahr verbrachten. Sie selbst konnte in der Maison Losch wohnen, dem Elternhaus der „Fondation Kriibskrank Kanner“, wo den Familien hospitalisierter Kinder ein betreuter Aufenthalt geboten wird. 2022 nahmen 37 Familien dieses Angebot in Anspruch, 52 Familien wurden in Hotels und 27 Familien in Mietunterkünften in der Nähe des jeweiligen Behandlungszentrums untergebracht.
Ihre Tochter habe nie mit Psychologen reden wollen, erklärt Annick. „Es ist, als ob das Thema für sie tabu wäre.“ Charlotte bringe es bis heute nicht fertig, jemandem zu sagen, dass sie Krebs hatte. Auch das Unterstützungsangebot der „Fondatioun“, zum Beispiel Psychotherapie, wollte ihre Tochter nie in Anspruch nehmen. Erst jetzt, drei Jahre später, beginne sie sich wieder wohl in ihrer eigenen Haut zu fühlen.
Charlotte gehört zu den zahlreichen Kindern, die nach der Behandlung unter Nebenwirkungen leiden. Die Kortikoide haben ihren Knochen in den Hüften und den Knien stark zugesetzt: Das Gehen bereitet ihr starke Schmerzen. Nun hoffen Mutter und Tochter auf eine Operation, die eventuell helfen könnte.
Folgen für die Erkrankten und die Familie
Mit Langzeitfolgen hat auch Alex, der 23-jährige Sohn von Isabelle Franck, heute noch zu kämpfen. Bei ihm wurde mit 14 Jahren ein Gehirntumor entdeckt. Bei der nachfolgenden Operation gab es jedoch Komplikationen. Alex erlitt einen Hirnschlag und ist bis heute nicht wieder hundertprozentig genesen: Er leidet noch an leichten Sprach- und Sehstörungen und wird schnell müde: Eine normale Schule kommt für ihn nicht mehr infrage. Heute macht er eine Ausbildung in Mediengestaltung bei der „Fondatioun Kräizbierg“. Isabelle bedauert jedoch, dass es in Luxemburg keine kleineren Strukturen gibt, die auf die Bedürfnisse von Patienten wie ihren Sohn ausgerichtet sind. Alex sei intelligent und weit davon entfernt, schwer behindert zu sein.
Die Folgen bei Alex sind auch sozialer Natur: „Er kann nicht das Leben eines Jungen seines Alters führen und ist deshalb natürlich frustriert.“ Allerdings nehme er oft an den Aktivitäten der „Fondatioun“ teil.
Unter den Langzeitfolgen leidet auch Isabelle heute noch: Sie musste ihre Arbeit aufgeben, um sich ganz um ihren Sohn zu kümmern. Es gibt zwar Urlaub aus familiären Gründen bei Krankheit des Kindes, doch der kann maximal für 52 Wochen beansprucht werden. „Und ich konnte ja schlecht zu meinem Sohn sagen, ich könne ihn nicht zur Chemotherapie fahren, weil ich mir keinen freien Tag mehr nehmen kann.“ Seit 2014 ist sie ohne Arbeit.
Isabelle hat noch drei weitere Kinder. Als der älteste Sohn erkrankte, erwartete sie gerade ihr viertes Kind. Sie musste sich voll und ganz um Alex kümmern. „Ich musste die emotionale Seite ausblenden, ich wurde ganz rational. Die erste Sorge galt meinem erkrankten Sohn, alles andere kam später.“ Ihr heute achtjährige Tochter leide heute aufgrund der Situation an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ihre drei jüngeren Kinder seien leider sogenannte „Schattenkinder“ – Kinder, die mit einem kranken Familienmitglied aufwachsen und deshalb weniger Aufmerksamkeit erhalten und ihre Bedürfnisse oft zugunsten des Kranken zurückstecken müssen, was ihr die drei jüngeren Geschwister vorwerfen.
Die Unterstützung der „Fondatioun“ war für die allein erziehende Mutter „Gold wert“. Sie und ihr Sohn waren sechs Monate zur Behandlung in Brüssel, wo auch sie in der Maison Losch wohnte. „Dank der Unterstützung der ‚Fondatioun’ braucht man sich um nichts anderes zu kümmern, und so konnte ich mich voll auf meinen Sohn konzentrieren.“ Und trotzdem: „Ich fühle eine unendliche Müdigkeit, doch Zusammenbrechen kommt nicht infrage“, sagt Isabelle.
2022 hat die „Fondatioun“
– 303 Patienten und deren Familien unterstützt;
– 300 pädagogische Aktivitäten organisiert, an denen 87 Kinder teilnahmen;
– 4.700 Rechnungen beglichen, die indirektem Zusammenhang mit der schweren Erkrankung eines Kindes standen;
– 71 begleitende Gespräche und 361 therapeutische Beratungen geführt;
– 113 Gespräche geführt, bei denen Familien über ihre Rechte informiert wurden und Hilfe bei administrativen Schritten erhielten;
– 17 Familien mit Unterstützung im Haushalt geholfen (insgesamt 357-mal).
Mehr über die „Fondation Kriibskrank Kanner“ erfahren Sie unter fondatioun.lu.
„Nicht rentabel für die Forschung“
Neben betroffenen Familien unterstützt die „Fondatioun“ auch Forschungsprojekte. Da sich die Vereinigung zu 100 Prozent aus Spendengeldern finanziert, organisiert sie jedes Jahr mehrere Sensibilisierungskampagnen. Mit Geld kann man zwar vieles, doch nicht alles erreichen. In Europa gelten durchschnittlich 80 Prozent der erkrankten Kinder nach ungefähr fünf Jahr als geheilt, „doch unser Ziel ist mehr“, sagt der Präsident der „Fondatioun“, Gaston Ternes, anlässlich der Pressekonferenz am Donnerstag.
Doch es gibt noch einige Hürden auf dem Weg dorthin. Das Problem ist, dass man es bei Kinderkrebs mit sogenannten seltenen Krankheiten zu tun habe, erklärte die Direktorin der „Fondatioun“, Anne Goeres. Deshalb gebe es erstens nicht die Masse an Informationen bezüglich der Ursachen wie bei anderen Erkrankungen und zweitens seien seltene Krankheiten für die Forschung leider nicht rentabel genug.
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