EU-Parlament / Zweite Amtszeit für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
Ursula von der Leyen erhielt vom Europäischen Parlament (EP) die Zustimmung für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin. Nun muss sie bis zum Herbst eine neue Kommission auf die Beine stellen.
Im Endeffekt verlief die Wahl doch nicht so knapp, wie viele befürchtet hatten: 401 EP-Abgeordnete haben für die EU-Kommissionspräsidentin gestimmt, 360 Stimmen hätte sie gebraucht. Immerhin stimmten auch 284 EU-Parlamentarier gegen sie. Das dürften vor allem die Fraktionen vom rechten Rand des politischen Spektrums gewesen sein. Ausschlaggebend für ihr gutes Resultat waren wohl die Stimmen der Grünen, die vermutlich mehrheitlich für von der Leyen gestimmt haben. Nachprüfen lässt es sich nicht, da die Wahl geheim war. Doch machte die Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Terry Reintke, vor der Abstimmung deutlich, dass sie sich der Koalition von Europäischer Volkspartei (EVP), Sozialdemokraten und Liberalen anschließen würde. Von der Leyen sei zwar keine grüne Kommissionspräsidentin, doch es gehe darum, dass die proeuropäischen Kräfte im EP eine Mehrheit hinbekommen, so die Grünen-Politikerin.
Noch bevor die Kommissionspräsidentin mit ihrer Rede vor den EP-Abgeordneten im Plenum begann, veröffentlichte sie ihre politischen Leitlinien für die kommenden fünf Jahre. Ihre Ausführungen im Parlament waren quasi eine Zusammenfassung dieses rund 30 Seiten umfassenden Papiers, in das wohl so manches mit eingeflossen ist, das sie in den vergangenen Tagen und Wochen in ihren Gesprächen mit den Fraktionen im EP zusammentragen konnte. Denn fast jede politische Gruppierung scheint ausreichend Argumente gefunden zu haben, um der Kommissionspräsidentin zuzustimmen.
Vieles, was Ursula von der Leyen in Aussicht gestellt hat, ist allerdings nicht neu. Dass die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft verbessert werden muss, gehört seit geraumer Zeit zum Standardrepertoire jeder europapolitischen Rede. Bürokratieabbau ist spätestens seit den Bauernprotesten des vergangenen Jahres ebenfalls fester Bestandteil der Forderungen an die EU-Kommission. Darum soll sich künftig einer der Vizepräsidenten der Kommission kümmern. Neben dem Green Deal will die Kommissionspräsidentin in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit nun auch einen sogenannten Clean Industrial Deal vorlegen, mit dem die Reindustrialisierung mit fossilfreien Energien gefördert werden soll. Zudem soll die Schaffung einer Kapitalmarktunion vorangetrieben werden, von der sich mehr Investitionen aus dem privaten Bereich in die EU-Wirtschaft erhofft werden.
Kommissar für Wohnungspolitik
Den meisten Applaus heimste Ursula von der Leyen ein, als sie, ohne ihn beim Namen zu nennen, die Reise des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban nach Moskau scharf kritisierte. „Diese sogenannte Friedensmission war nichts anderes als eine Appeasement-Mission“, so von der Leyen, auf die als Botschaft aus Moskau ein Angriff auf ein Kinderkrankenhaus in Kiew gefolgt sei. Die EU müsse der Ukraine alles nötige geben, damit sie sich verteidigen und gewinnen könne, forderte die Rednerin weiter. Sie schlug vor, eine Union der Verteidigung sowie einen Binnenmarkt für Verteidigungsgüter zu schaffen.
Den anhaltenden Diskussionen über die gemeinsame Migrationspolitik begegnete die Kommissionschefin mit der Ankündigung, den Personalbestand der europäischen Grenzschutzagentur Frontex auf 30.000 Beschäftigte zu verdreifachen. Außerdem brauche es eine gemeinsame Herangehensweise bei der Rückführung von abgewiesenen Asylbewerbern, erklärte sie. Sehr zum Missfallen des luxemburgischen ADR-Abgeordneten Fernand Kartheiser schlägt Ursula von der Leyen zudem vor, Europol zu einer operationellen europäischen Polizeiagentur auszubauen.
Als Entgegenkommen gegenüber den Sozialdemokraten wird die Ankündigung gewertet, die Wohnungspolitik zu einem europäischen Thema zu machen, mit dem sich künftig ein EU-Kommissar befassen soll. In vielen EU-Staaten würde für immer mehr Menschen eine eigene Wohnung unerschwinglich werden. Das sei zwar kein europäisches Thema, so Ursula von der Leyen, doch sie wolle, dass die Menschen unterstützt werden.
Krise ist nicht eingetreten
Während einer anschließenden Debatte pries erwartungsgemäß der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber, seine Parteikollegin und forderte, ein „starkes Signal eines einheitlichen und entschlossenen Europas“ in die Welt zu senden. Iratxe Garcia Perez rief dazu auf, die „reaktionären Kräfte zu bekämpfen, die keinen nachhaltigen Umweltschutz wollen“. Außerdem sollten alle russischen Staatsgelder in der EU konfisziert werden, verlangte die Vorsitzende der S&D-Fraktion.
Besonders ausfallend wurde die polnische Abgeordnete Ewa Zajaczkowska-Hernik von der rechtsextremen Fraktion Europa der souveränen Nationen. Sie warf Ursula von der Leyen vor, mit ihrer Migrationspolitik verantwortlich für jede Vergewaltigung in der EU zu sein. Ebenfalls auf die Migrationspolitik Bezug nehmend meinte die Vorsitzende der Linken-Fraktion in einer sehr scharfen Rede, die Kommissionschefin habe ein Europa des Stacheldrahtes geschaffen. Das hinderte Manon Aubry später jedoch nicht daran, mit einem breiten Lachen Ursula von der Leyen für ihre Wiederwahl zu gratulieren.
Eine von manchen im Vorfeld der Abstimmung befürchtete Krise ist somit nicht eingetreten. Vielmehr hat die Kommissionspräsidentin bei ihrer Wahl besser abgeschnitten als fünf Jahre zuvor. Die Grünen haben sich als neuer Partner der bisherigen Allianz aus EVP, Sozialdemokraten und Liberalen im EP etabliert und dürften entsprechend berücksichtigt werden. Die EU-Kommissionspräsidentin wird nun alle Anstrengungen unternehmen, ein Kommissionskollegium aufzustellen, das ebenfalls noch die Zustimmung der EU-Parlamentarier erhalten muss.
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