Betroffene / Zwischen Angst und Stolz: Drei LGBTQIA+-Personen berichten von Erlebnissen im öffentlichen Raum
Luxemburg gilt als LGBTQIA+ Freedom Zone, doch wie frei fühlen sich queere Menschen hierzulande wirklich? Vor allem jene, die Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt sind? Drei Betroffene teilen ihre Erfahrungen.
Aymeric Kabore ist nicht überrascht, als er die Studienergebnisse über die Erfahrungen von LGBTIQ+-Menschen in Europa liest: Im Mai 2024 veröffentlichte die Agentur für Grundrechte der Europäischen Union eine Umfrage, die ergab, dass beinahe die Hälfte der Luxemburger*innen (48 Prozent) es immer oder oft vermeidet, die Hand gleichgeschlechtlicher Partner*innen zu halten, und jede vierte Person (25 Prozent) sich regelmäßig aus Angst vor LGBTIQ+-Feindlichkeiten von bestimmten Gegenden fernhält.
Vor ein paar Wochen hat Aymeric selbst eine homofeindliche Attacke erlebt. Er tanzt schon seit Jahren und war begeistert, als er gefragt wurde, für ein queeres Event zu tanzen. Da es sich um ein queeres „safe space“ handelte, fühlte Aymeric sich wohl, sich nicht den männlichen Geschlechtsnormen entsprechend anzuziehen; seine Kreativität und Persönlichkeit durch seine Kleidung auszudrücken. Ein „safe space“ bedeutet auf Englisch „sicherer Raum“ und beschreibt Räumlichkeiten, die darauf fokussiert sind, den Komfort und die Sicherheit von marginalisierten Menschen zu gewährleisten. „Es war wie ein Elektroschock“, erinnert er sich, als er von zwei Jugendlichen angepöbelt wurde. Aymeric kam aus dem Aufzug, der die Oberstadt mit dem Grund in Luxemburg-Stadt verbindet. Außer den Aggressoren war niemand in der Gegend. Ihm wurden unter anderem mehrere homofeindliche Beleidigungen zugerufen.
Schwarz und schwul
Obwohl es nicht zu physischen Handgreiflichkeiten kam, erklärt Aymeric, dass ihn der Vorfall „daran erinnert hat, dass ich es mir nicht erlauben kann, nicht aufzupassen“. In dem Moment empfand er eine Mischung aus Wut und Scham – Wut darüber, dass er nicht dagegenhielt, und Scham, weil er sich selbst vorwarf, sich unpassend gekleidet zu haben. Am selben Abend wurde Aymeric noch ein zweites Mal provoziert. Auf dem Nachhauseweg fragte ein Passant nach einer Zigarette, sprach ihn spöttisch mit „Madame? Oder Monsieur? Oder was auch immer?“ an. Aymeric gesteht, dass diese Momente ihn in eine Zeit in seinem Leben zurückkatapultieren, in der er noch nicht stolz auf seine queere Identität war: „Dieses Schamgefühl war sofort wieder da. Und dann fühlte ich mich auch noch schlecht, weil ich diese Scham verspürte.“ Zumal der Kontrast zwischen den Erlebnissen hart ist: Während des Events wurde er als High-Heels-Tänzer gefeiert, später für sein Outfit angefeindet. Aymerics Erfahrung unterstreicht gleichzeitig die Notwendigkeit von „safe spaces“.
In weiter Kleidung werde ich schnell als Bedrohung für LGBT+-Menschen oder Frauen wahrgenommen, weil ich schwarz binTänzer
Unbewusst zieht Aymeric meistens weite Jacken über Outfits, die andere als „schwul“ oder „queer“ lesen könnten. „Dieser Abend war ein Einzelfall, bei dem ich das nicht getan habe – und prompt kam es zu den Angriffen“, sagt er. Doch auch in weiter Kleidung muss er gegen Stereotype ankämpfen. „Es ist traurig, aber in weiter Kleidung werde ich schnell als Bedrohung für LGBT+-Menschen oder Frauen wahrgenommen, weil ich schwarz bin.“ Er ist sich daher stets bewusst, dass er als schwuler und schwarzer Mann in öffentlichen Räumlichkeiten gleich mit mehreren Stereotypen konfrontiert wird. Ist Aymeric mit Freund*innen unterwegs, fühlt er sich meistens wohl und denkt nicht konkret über die genannten Faktoren nach. Aber besonders seit den genannten Vorfällen und allgemein nachts, wenn er alleine unterwegs ist, hinterfragt er viel stärker, wie er sich in öffentlichen Räumlichkeiten zeigt.
Mit dem Rollstuhl durch „safe spaces“?
Alexander Raßbach hat da eine ganz andere Erfahrung. Er studiert seit einem Jahr in Luxemburg, ist in Köln aufgewachsen. Alexander erlebt selten, dass er im Alltag als queerer oder schwuler Mann gelesen wird und hat dadurch auch keine größere Angst vor homofeindlicher Diskriminierung in öffentlichen Räumen. Er fürchtet sich deswegen auch nicht, dass sein Schwulsein explizit sichtbar für die Außenwelt wird. „Ich selbst bin schon öfters Hand in Hand in Luxemburg-Stadt mit einem Mann rumgelaufen“, sagt er, „aber vielleicht habe ich die Diskriminierung nicht wahrgenommen, weil die Menschen mich ohnehin wegen meines Rollstuhls anschauen und dann ist es mir egal, ob ich die Hand einer anderen Person halte.“ Obwohl er den Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Behinderung hierzulande nicht „als schreckhaft, so wie in Deutschland“ erlebt, ist er daran gewöhnt, angestarrt zu werden. In seinem Alltag ist der Student also eher mit Hindernissen aufgrund seiner Behinderung als mit Schwulenfeindlichkeit konfrontiert.
Vielleicht habe ich die Diskriminierung nicht wahrgenommen, weil die Menschen mich ohnehin wegen meines Rollstuhls anschauen und dann ist es mir egal, ob ich die Hand einer anderen Person halteStudent
Die nicht vorhandene Barrierefreiheit stellt ihn vor Herausforderungen. Barrierefreiheit beschreibt die Zugänglichkeit einer Räumlichkeit für Personen mit Behinderung, z.B. Türen, die breit genug sind für Rollstühle, oder fühlbare Markierungen für blinde Menschen. Alexander erlebt queere „safe spaces“ dadurch auch anders als Aymeric: Viel schwules und queeres Gemeinschaftsleben existiert in Bars, Community-Events und Partys. An solchen Abenden ist z.B. eine Sorge von Alexander, wie viel er trinkt, da Toiletten oft für Rollstuhlfahrer*innen unzugänglich sind. Dabei braucht Alexander noch nicht einmal eine Toilette mit Geländer oder Ähnlichem, aber sein Rollstuhl passt oftmals nicht durch die Toilettentür. Des Weiteren meidet der Student überfüllte Räume, z.B. die Tanzfläche in einem Club, da dies für ihn als Rollstuhlfahrer unangenehm ist. Trotzdem genießt Alexander einen entspannten Abend in einer queeren Bar. In Köln hatte er viel Auswahl, hier in Luxemburg beschränkt es sich aber auf nur eine explizit queere Bar in Luxemburg-Stadt: Die LetzBoys – und die ist zum Glück barrierefrei.
Befreiungsraum
Öffentliche Räumlichkeiten können jedoch auch positive Gefühle in queeren Personen auslösen. Annette Bour hat noch keine intensiven Erfahrungen mit LGBTIQ+-Diskriminierungen gemacht und fühlt sich als trans Frau allgemein wohl in Luxemburg. Sie würde „sich nie wieder verstecken, um einen dummen Kommentar oder eine Stresssituation zu vermeiden. Lieber nehme ich eine Stresssituation in Kauf, als dass man mir mein Frau-Sein abspricht.“ Sie wurde zwar sowohl im Ausland als auch in Luxemburg schon angepöbelt, doch Annette schreibt dies eher dem Großstadtleben als Transfeindlichkeit zu. Sie unterstreicht jedoch ausdrücklich, dass das nur ihre persönlichen Erfahrungen widerspiegelt und dass andere trans Frauen andere Situationen erleben. „Ich bin glücklich und zufrieden in unserer Gesellschaft. Ich habe mich mein halbes Leben versteckt“, erinnert sie sich. „Seit meinem Outing habe ich mir geschworen, dieses Versteckspiel aufzugeben und ich zeige mich gerne in der Öffentlichkeit. Ich verspüre großen Stolz auf die Person, die ich bin!“
Seit meinem Outing habe ich mir geschworen, dieses Versteckspiel aufzugeben und ich zeige mich gerne in der Öffentlichkeit. Ich verspüre großen Stolz auf die Person, die ich bin!trans Frau
Seit 2020 outete Annette sich im Alter von 52 Jahren als trans Frau – eine persönliche Erfolgsgeschichte. Ihre damalige Ehefrau hat sie durch die Transition begleitet und ihre Arbeitskolleg*innen haben sie von Anfang an akzeptiert. Annettes damalige Ehefrau hat ihr, seitdem sie ihren Weg als trans Frau geht, „gesagt, dass ich jeden Tag so euphorisch bin“. Auch andere trans Frauen, die sie kennt, haben ihr von dieser Euphorie berichtet, wenn sie in öffentlichen Räumlichkeiten unterwegs sind. „Es ist dieses Gefühl von ,endlich‘! Mir kommen schon die Tränen, wenn ich nur darüber spreche“, sagt sie mit glänzenden Augen. Besonders am Anfang nach dem Outing waren Momente wie z.B. der, in der Bäckerei als „Madame“ angesprochen zu werden oder einen Rock zum Einkaufen anzuziehen, ergreifend für Annette. „Egal ob das in einer Umkleide ist oder auf der Straße oder sonst wo: Wenn Leute auch nicht auf mich reagieren – also sie sehen mich, aber reagieren nicht besonders auf mich –, ist das eine Form der Akzeptanz“, offenbart sie.
Annettes größter Ratschlag für andere trans Personen ist „sich zu outen, sich zu trauen, vielleicht eine Meeting-Gruppe oder Selbsthilfegruppe aufzusuchen und dann Schritt für Schritt seinen Weg zu gehen“. Annette war während ihrer Transition viel mit Caitia.de in Kontakt. „Natürlich ist das leichter gesagt als getan. Ich selbst habe bis zum Coming-out Jahrzehnte gebraucht – und einen Selbstmordversuch. Doch die Lebensfreude, die danach kommt, ist unvergleichbar und noch dazu erhält niemand verlorene Lebenszeit zurück.“
Der Autor
Jang Kapgen ist unter anderem Chefredakteur des Print- und Online-Magazins „queer.lu“, herausgegeben von Rosa Lëtzebuerg.
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