Lage der Nation / Zwischen Schwarzmalerei und Lobhudelei: Parlamentarier debattieren über Bettels Rede
Es war eine langwierige Sitzung, in der selbst die Abgeordneten am Ende nicht mehr ganz wach wirkten – falls sie überhaupt noch anwesend waren. Nach Xavier Bettels Rede zur Lage der Nation fand am Mittwoch die traditionelle Parlamentsdebatte statt, die dieses Prädikat eigentlich nicht verdiente. In aneinandergereihten Monologen übte die Opposition Kritik aus, während die Mehrheitsparteien den Kurs der Regierung verteidigten – ein Hauch von Streitkultur wehte nur bei aufgebauschten Lappalien durch das Chamber-Plenum.
Es oblag der CSV, als größte Oppositionspartei, die Debatte nach der Rede zur Lage der Nation anzustoßen – nur dass das Mikrofon gleich am Anfang der CSV-Fraktionsvorsitzenden Martine Hansen Probleme bereiten sollte. Böse Erinnerungen an 2017 wurden wach, als die Rede zur Lage der Nation wegen einer Tonpanne verschoben werden musste. „Ich kenne das Problem“, stichelte Premierminister Xavier Bettel gut hörbar durchs Plenum. Vor vier Jahren hagelte es aufgrund der Entscheidung, die Rede auf einen späteren Zeitpunkt verlegen zu wollen, viel Kritik, vor allem – man kann es Karma nennen oder mit dem dritten newtonschen Gesetz erklären – aus den Reihen der CSV. Ganz so schlimm sollte es nicht kommen, sodass die CSV-Fraktionsvorsitzende doch noch ihre Kritikpunkte vortragen konnte, die nicht unwesentlich aus dem Bashing „Grüner Ideologie“ bestanden.
Martine Hansen durchlief wie tags zuvor schon der Premierminister ein Panorama der Luxemburger Politik-Krisenherde, kam jedoch zu einem gänzlich anderen Schluss. „Die Regierung hat mit ihrer Informations- und Sensibilisierungskampagne zur Impfung versagt“, schoss sich die Fraktionsvorsitzende gleich zu Beginn ihrer Ausführungen auf das Management der Corona-Pandemie ein. „Im internationalen Vergleich steht Luxemburg richtig schlecht da.“ Die Regierung habe Falschinformationen zu lange das Feld überlassen. „Es wäre besser gewesen, weniger Pressekonferenzen zu organisieren und stattdessen gezielter zu sensibilisieren.“
Patient und kein Cannabis im Vordergrund
Kindergarten-Kinkerlitzchen
Die Aneinanderreihung der Fraktionsmonologe wurde von Zwischenrufen begleitet – zuerst, als Premierminister Xavier Bettel während der Ausführung von Martine Hansen zu einem Rundgang durchs Plenum ansetzte, und dann während der Rede von Gilles Baum, als nur noch sechs von 21 CSV-Abgeordneten anwesend waren. Die gegenseitige Respektlosigkeitsvorwürfe konnten auf zwei Fronten entkräftet werden. Der LSAP-Abgeordnete Mars di Bartolomeo, der den krankheitsbedingt abwesenden Parlamentspräsidenten Fernand Etgen ersetzte, bot sich als Schiedsrichter an, ehe der CSV-Co-Fraktionsvorsitzende Gilles Roth das Kriegsbeil mit einem Teller süßer Pralinen zu begraben wusste.
Ein Armutszeugnis stellte die CSV-Fraktionsvorsitzende auch der Gesundheitspolitik der Regierung und der Posse der Cannabis-Legalisierung aus. „Die Regierung macht viele Versprechen, hält diese aber nicht ein“, sagte Hansen. Für die CSV stehe in der Gesundheitspolitik nicht die Cannabis-Legalisierung im Vordergrund, sondern der Patient. Zu oft würde dieser noch durch das Gesundheitssystem fallen, dessen Zahnräder nicht immer ineinandergreifen würden.
„Der Wohnungsbau ist eine einzige Katastrophe“, sagte Hansen. Aus den großen Versprechen sei bisher wenig Konkretes entstanden. Nachhaltige Maßnahmen seien nötig, damit das Land nicht in eine soziale Krise schlittere. Die CSV fordere deshalb eine gezielte Öffnung des Bauperimeters, 30 Prozent bezahlbarer Wohnraum bei Neubauprojekten, eine Entschlackung der administrativen Prozeduren und eine sogenannte Lex Koller, die es ausländischen Investoren unmöglich machen soll, Luxemburger Immobilien als Spekulationsobjekte zu missbrauchen.
„Luxemburger Erfolgsmodell“
„Luxemburg hat in den letzten 18 Monaten Charakter bewiesen“, begann der DP-Fraktionsvorsitzende Gilles Baum seinen Debattenbeitrag, der wohl eher als flammendes Plädoyer für den Parteikollegen und Premierminister Bettel klassiert werden kann. „Wir haben einen Premierminister gehört, der die Probleme des Landes angehen will und das Luxemburger Erfolgsmodell fortschreiben wird“, sagte Baum. Ob auf Reaktion auf seinen Beitrag oder den seiner Vorrednerin ist unklar: Die Reihen der Abgeordneten lichteten sich mit Beginn der zweiten Debattenstunde merklich, sodass das Chamber-Plenum am späten Mittwochnachmittag nicht mehr unbedingt als solches bezeichnet werden konnte. Luxemburg stehe vor großen Herausforderungen, die das Land schon lange begleiten und teilweise untrennbar miteinander verwoben seien. Eine der zentralen Herausforderungen sei der Klimaschutz, bei dem die Regierung die richtige Roadmap und Prioritäten gesetzt habe und den Bürger stets in den Prozess mit eingebunden habe.
„Der Premierminister hat angekündigt, noch resoluter gegen die Wohnungsbaukrise vorgehen zu wollen“, sagte Baum. Die DP würde die vorgeschlagenen Maßnahmen – Grund- und Spekulationssteuer und eine Anpassung des Mietgesetzes zur Mietendeckelung – begrüßen. Die Wohnungsbaukrise könne jedoch nicht schnell gelöst werden.
Gilles Baum verteidigte auch die Einführung eines Bachelors-Grades für Gesundheitspersonal – eine Maßnahme, die laut der CSV-Fraktionsvorsitzenden Martine Hansen keine Abhilfe für den Sektor darstelle und beim Gesundheitspersonal auch auf wenig Gegenliebe stoßen würde.
Ein Hauch von Streitkultur
Georges Engel, Fraktionsvorsitzender der LSAP, bemängelte in seinem Redebeitrag, dass nebst Kritik kaum Platz für eine Anerkennung der Errungenschaften Luxemburgs bleibe. Der LSAP-Politiker widmete sich vor allem dem Gesundheits- und Sozialsystem Luxemburgs – und lieferte sich kleinere Scharmützel mit dem ADR-Politiker Fernand Kartheiser. „Es ist gut, dass Sie nur alleine hier sind“, antwortete Engel auf einen Zwischenruf von Kartheiser.
Etwas überraschend bekam die Sicherheitsproblematik einen prominenten Stellenwert in der Rede des LSAP-Politikers. Es sei auch eine soziale Frage. „Wir vernachlässigen die Repression nicht, das wird uns Sozialisten ja oft vorgeworfen“, sagte Engel. „Es darf in einem Sozialstaat keine ,No-Go-Areas‘ geben.“ Es brauche jedoch vor allem eine umfassende Strategie, die auch soziale und gesundheitliche Maßnahmen umfasse, um dem Problem gerecht zu werden.
Weniger überraschend ließ es sich der LSAP-Politiker nicht nehmen, ein Fazit zur Corona-Pandemie zu ziehen. Die Politik der Regierung habe dafür gesorgt, dass während der Corona-Krise keiner auf der Strecke bleibe. Das würden die Arbeitslosenzahlen belegen, die zwischenzeitlich um zwei Prozentpunkte gestiegen seien, nun jedoch auf Vorkrisenniveau liegen würden. „Das war auch den Anstrengungen unseres Arbeitsministers Dan Kersch zu verdanken“, sagte Engel – während Premierminister Xavier Bettel dem LSAP-Arbeitsminister Dan Kersch schon fast frenetisch anerkennend auf die Schulter klopfte. Auch lobte Engel den Umstand, dass die Luxemburger Schüler trotz Pandemie im internationalen Vergleich viel zur Schule gehen konnten. Einer Reform des Bildungssystems mit dem Vorbild der internationalen Schulen, die eine Zweiklassengesellschaft provozieren könnte, erteilte Engel im Namen der LSAP eine Absage. Die Schule solle auch zukünftig ein Garant für den sozialen Aufstieg darstellen.
Grüne Finanzpolitik
Neben den von den Grünen zu erwartenden Themen sinnierte die Fraktionsvorsitzende Josée Lorsché über die Staatsfinanzen und schlug somit den Bogen zur Wohnungsbaupolitik. „Unserer Meinung kann es nicht sein, dass einzelne Bauherren aus reiner Gier die Entwicklung ganzer Viertel beeinflussen“, sagte Lorsché.
Die erschreckende Entwicklung der Energiepreise zeige, wie abhängig Luxemburg noch von fossilen Energieträgern sei. Das Land würde aber große Anstrengungen unternehmen, um sich davon loszulösen. „Bei der Windenergie haben wir die Produktion in den letzten Jahren verfünffacht“, sagte Lorsché und verwies auch auf den Offshore-Windpark vor der Küste Dänemarks. „Wir setzen uns auch grenzüberschreitend für eine Energietransition ein.“
Konservativer Kritikkatalog
Der ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser kritisierte neben der seiner Meinung nach zweideutigen Steuerpolitik der Regierung – eine Reform der Steuerpolitik würde ja eigentlich eine Erhöhung bedeuten – auch den Druck, den die Regierung auf nicht geimpfte Personen ausübe. „Freiwillig ist nicht freiwillig gezwungen“, sagte der ADR-Politiker, der sich in seiner Rede erneut über die Verfassungsreform der Mehrheitsparteien ausließ – nicht ohne auch der CSV einen Seitenhieb zu verpassen.
Als der ADR-Politiker das Krisenmanagement der Regierung anprangerte und dem Premierminister autoritäre Tendenzen unterstellte, sah sich Mars di Bartolomeo, der den krankheitsbedingt abwesenden Chamber-Präsidenten Fernand Etgen ersetzte, gezwungen, einzugreifen. „Die Regierung hat das Parlament nie unter Druck gesetzt“, sagte di Bartolomeo. Es sei seine Aufgabe, sich schützend vor das Parlament zu stellen. Es bedurfte erneut der Intervention des vorhin schon als Streitschlichter in Erscheinung getretenen CSV-Co-Fraktionspräsidenten Gilles Roth, damit Kartheiser seinen Vortrag fortsetzen konnte.
Objektive Aufarbeitung
Der Piraten-Abgeordnete Sven Clement ging in seiner Rede noch einmal auf das Pandemie-Management der Luxemburger Regierung ein. „Schwer verdaulich“ sei besonders die rezente Entscheidung, das Covid-Check-System am Arbeitsplatz einzuführen. „Zwischen der Pressekonferenz von letzter Woche und der Rede zur Lage der Nation liegen Welten“, sagte Clement. „Wie kann die Regierung eine Verschärfung der Regeln rechtfertigen, wenn sich die Pandemie doch langsam dem Ende zuneige?“ Schließlich müsse das Krisenmanagement nach der Krise objektiv aufgearbeitet werden.
In der Klimapolitik sieht der Piraten-Abgeordnete gute Ansätze seitens der Regierung. Wichtig sei jedoch, vorerst auch auf die Bremse zu treten. „Wir müssen unseren Lebensstil anpassen, wenn wir Wohnen und Transport klimafreundlicher gestalten wollen“, sagte Clement. Die vereinzelten Ankündigungen im Sozialbereich begrüßte der Abgeordnete, sieht aber eine zentrale Schwäche. „Die versprochenen Sachleistungen kommen immer nur den Eltern zugute, die auch arbeiten“, sagte Clement. Den Eltern müsse die Möglichkeit geboten werden, ihre Kinder selbst zu betreuen – ein Umstand, der jedoch oft an finanziellen Hürden scheitere.
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Et bleiwt weiderhin schwiëreg …
„Wir müssen unseren Lebensstil anpassen.“ Die Zukunft wird wunderschön. Wir werden in 50 Quadratmeter Bimsstein-Hütten schlafen, wir werden Elektroautos haben ohne Garage mit Stromanschluss, wir werden einen Gemüsegarten oben auf Hochhäusern haben der vor Dummheit der Mitbewohner versichert werden muss, wir werden mit 4 Einkaufstüten vollgepackt in Bussen herumreisen, wir werden unsere Darlehen auf unsere Kinder übertragen, wir werden chinesisch sprechen und und und… Können wir nicht einfach alle auf Kinder verzichten und leben die letzten 200-300 Jahre noch in Saus und Braus?