Ukraine-Krieg / Zwischen Sorge um die Familie und Wut: Für Bogenschützin Mariya Shkolna ist der Sport derzeit Nebensache
Die gebürtige Ukrainerin Mariya Shkolna, die inzwischen im Bogenschießen für Luxemburg antritt, erlebte den Ausbruch des Krieges am vergangenen Donnerstag in ihrer Heimatstadt Lwiw mit. Inzwischen ist sie wieder im Großherzogtum und sorgt sich um ihre Familie, die in der Ukraine bleiben wollte.
Es sollten einige unbeschwerte Tage bei ihrer Familie in Lwiw werden, die Mariya Shkolna auch als Vorbereitung auf die nationalen Meisterschaften diesen Sonntag nutzen wollte, immerhin ist ihr Vater Nationaltrainer in der Ukraine. Doch nachdem die 24-jährige Bogenschützin des Flèche d’Or, die inzwischen auf internationaler Ebene für Luxemburg antritt und Mitglied des Elitekaders des COSL ist, am vergangenen Mittwoch in der Ukraine ankam, sollte sich der Familienbesuch schnell zu einem Albtraum entwickeln.
In der Schlange vor uns waren gerade einmal zwei Busse, ich hatte wirklich noch großes Glück
Es waren Sirenen, die Mariya Shkolna in der Nacht auf den 24. Februar aus dem Schlaf rissen: „Zuerst dachte ich, es würde sich um eine Übung handeln. Doch gegen sieben Uhr sahen wir in den Nachrichten, dass es ernst ist und das gesamte Land betrifft.“ Dass Russland sein Nachbarland angreifen könnte, war ihr schon bewusst, wie sie erzählt, dass die Angriffe jedoch am Donnerstag direkt sämtliche großen Städte treffen würden, schockierte sie von allem am meisten. Auch militärische Infrastruktur in Lwiw war am ersten Tag des Kriegsausbruchs im Visier der russischen Armee, gehört oder gesehen hat sie jedoch nichts, wie sie betont. Nur wenige Stunden, nachdem die ersten Einschläge vermeldet wurden, entschied sich Shkolna dazu, das Land zu verlassen. „Ich schaute mir Bus- und Zugpläne an, ging alle möglichen Optionen durch. Dass mich jemand fährt, wollte ich nicht, denn man hörte schon, dass das Benzin knapp werden könnte.“ Schnell wurde ihr jedoch klar, dass sie entweder sofort oder gar nicht mehr aufbrechen würde. „Erwartet wurden ganze Flüchtlingsströme, die vom Osten in den Westen des Landes ziehen, wo es noch um einiges sicherer ist und man auch ins Ausland kommt.“ Noch vor dem großen Ansturm und den kilometerlangen Warteschlangen traf sie an der polnischen Grenze ein: „In der Schlange vor uns waren gerade einmal zwei Busse, ich hatte wirklich noch großes Glück.“ Ihr Lebensgefährte, der luxemburgische Bogenschütze Pit Klein, und seine Mutter holten sie schließlich in Polen ab und brachten sie wohlbehalten nach Luxemburg.
Familie zurückgelassen
Seither lebt Mariya Shkolna jedoch in großer Sorge um ihre Familie, die in der Ukraine bleiben wollte. „Mein Vater ist ein pensionierter Colonel, für ihn kam es gar nicht erst in Frage, zu flüchten.“ Auch Mutter, Bruder und Schwägerin entschieden sich dazu, in Lwiw zu bleiben, weil sie es wichtiger finden, zu helfen. „Sie bekamen sogar Feldtraining und engagieren sich als Volunteers, bauen etwa Molotow-Cocktails“, erzählt die gebürtige Ukrainerin. Kontakt zu ihrer Familie hat die 24-Jährige zurzeit noch täglich: „Ihr geht es soweit gut, da das Land noch starken Widerstand leistet. Doch ein Instruktor hat sie vorgewarnt und gesagt, dass das bisher Gesehene noch nichts war, die richtigen Waffen werden erst noch kommen.“ Viel schlimmer erging es in den letzten Tagen einer guten Freundin von Mariya Shkolna, wie sie mit bewegter Stimme erzählt: „Sie wohnt in Charkiw und hat sich mit ihrem Partner und der zehn Monate alten Tochter in den letzten Tagen im Badezimmer versteckt.“ Am Dienstag entschied sich die junge Familie schließlich zur Flucht, da ihre Wohnung in einer immer gefährlicher werdenden Zone liegt: „Die Russen haben hinterhergeschossen, das kann man sich kaum vorstellen.“ Ihre Freundin war zum Zeitpunkt des Interviews in der Zentralukraine angekommen und versucht nun, sich weiter nach Lwiw durchzuschlagen.
Wie soll ich gegen jemanden antreten, ihm fair die Hände schütteln, wenn man mich und meine Heimat als Nazis bezeichnet?
Es sind tragische Geschichten, von denen Mariya Shkolna nicht dachte, dass sie sie einmal den luxemburgischen Medien erzählen würde. Dass Wladimir Putin so grauenvoll zuschlagen würde, ist für die junge Sportlerin rückblickend nicht mehr überraschend: „Um ehrlich zu sein, alles, was er in den letzten Wochen, Monaten und Jahren gesagt hat, ist eingetreten, auch wenn wir alle nicht daran geglaubt haben. Mich wundert inzwischen nichts mehr, nicht einmal der Einsatz von Atomwaffen würde das noch.“ Es ist auch eine gewisse Ernüchterung, die bei der 24-Jährigen in den letzten Tagen eingetreten ist. Und wenn sie von den Reaktionen einiger russischer Athleten erzählt, die sie seit vielen Jahren kennt und gegen die sie häufig bei Wettbewerben angetreten ist, dann wundert das nicht. „Ich habe Nachrichten bekommen, in denen steht, dass wir es nicht anders verdient hätten, weil wir Nazis seien, oder dass die Ukraine sich doch selbst angreife.“ Es ist das erste Mal, dass eine gewisse Wut in der Stimme von Mariya Shkolna zu hören ist. „Wie kann man eine solche Propaganda nur glauben? Wie kann man Menschen, die für ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit einstehen, als Nazis bezeichnen?“ Dass russische und belarussische Sportler inzwischen bei vielen internationalen Verbänden von sämtlichen Wettbewerben ausgeschlossen sind, unterstützt die 24-Jährige demnach auch zu hundert Prozent: „Wie soll ich gegen jemanden antreten, ihm fair die Hände schütteln, wenn man mich und meine Heimat als Nazis bezeichnet?“
Keine Illusionen
Von Präsident Wolodymyr Selenskyj ist Maryia Shkolna positiv überrascht, wie sie erklärt: „Dass er in Kiew geblieben ist, hat der Bevölkerung meiner Meinung nach den größten Push gegeben.“ Doch Illusionen macht sich die junge Bogenschützin auch nicht. „Wenn man die jüngsten Entwicklungen sieht und weiß, wie groß die russische Armee ist, dann macht mir schon Angst, was noch kommt.“ Und ist es verständlich, dass die 24-Jährige zurzeit andere Sorgen hat als ihren Sport. Dennoch wird Shkolna am Sonntag bei den luxemburgischen Indoor-Meisterschaften antreten. „Ich erwarte mir aber kein gutes Ergebnis, denn meinen Bogen musste ich auch in Lwiw zurücklassen und trete daher mit einem Ersatzbogen an. Mich auf den Sport zu fokussieren fällt mir gerade auch sehr schwer, zum ersten Mal habe ich erst wieder am Dienstag etwas trainiert.“ Dankbar ist Mariya Shkolna jedoch für die Solidarität, die sie überall in Luxemburg sieht. Sie selbst sammelt ebenfalls Materialspenden, die sie von Bekannten an die polnische Grenze bringen lässt. „Ich kann verstehen, dass der Westen nicht direkt eingreifen möchte, um einen dritten Weltkrieg zu vermeiden. Doch dieser hat meiner Meinung nach schon längst begonnen“, gibt sich Shkolna zum Schluss des Gesprächs sehr nachdenklich.
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