Max-Ophüls-Festival / „A Black Jesus“ wirft einen Blick auf die Flüchtlingspolitik der EU
Mit Touristen-Attraktionen vermag Siculiana nicht aufzuwarten. Es liegt weit entfernt von bekannten Ferienorten wie Taormina in Sizilien. Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet dieses Nest zum Schauplatz ungelöster europäischer und gesellschaftlicher Fragen wird. Der Jesus, den dort alle so verehren, ist schwarz. Mit den Flüchtlingen aus Afrika, die im Camp am Rande des Ortes leben, wollen die Einheimischen lieber nichts zu tun haben.
Der schwarze Jesus in Siculianas Kirche heilt Leiden und erhört die Wünsche der Einheimischen. Sie sind recht irdisch, die Kleinstadt ist arm. Ein neues Handy heißt es aus dem Off von der Kirchenbank oder einfach nur endlich eine Freundin. Die Prozession zu seinen Ehren am 3. Mai ist der gesellschaftliche Höhepunkt in jedem Jahr. Alle bereiten sich darauf vor.
Die Frauen kaufen neue Kleider, lassen sich die Haare machen und bereiten Essen vor. Die Männer trainieren das Tragen der schweren Statue und die Gemeinde zerrt für diesen Anlass eigens das „Benvenuti“-Schild hervor und montiert es für alle sichtbar. Für wen eigentlich?, fragt man sich. Die farbigen Mit-Einwohner, die über das Meer in die Ortschaft kommen, sind zum Dasein als Zaungäste verdammt. Willkommen sind sie für die meisten eher nicht.
In der Warteschleife auf eine Aufenthaltsgenehmigung streifen sie durch die Straßen oder vertreiben sich die Zeit am Strand. Viel anderes bleibt ihnen nicht, denn nicht nur das örtliche Fitnessstudio verwehrt ihnen den Zutritt. „Sie lieben keine schwarzen Menschen aus Fleisch und Blut, aber die schwarze Jesusfigur“, stellen sie verwundert fest.
Flüchtlinge wollen dazugehören
Inmitten dieser Gemengelage traut sich Edward aus Ghana zum Pfarrer. Er will mit drei anderen Flüchtlingen und zusammen mit Einheimischen bei der Prozession die Statue durch das Dorf tragen. Der Wunsch, dazuzugehören, Teil der Gemeinschaft zu werden und etwas Sinnvolles zu tun, ist groß unter den Flüchtlingen.
Betreut und ermutigt werden sie von ihrem Italienischlehrer, der ihnen nicht nur die Sprache beibringt, sondern sich mit ihnen anfreundet. Er ist der eigentliche Held des Filmes. Beharrlich bemüht er sich um Integration. Geahnt und zu oft erlebt hat er es schon.
Aber als das Camp am 15. Mai 2019 geschlossen wird, kann er sich nicht mehr zusammenreißen. Er ist sauer, und zwar nicht nur darüber, dass er seine besten Schüler verliert. „Das ist Absicht“, sagt er über das damalige Italien mit einem Innenminister Matteo Savini. „Was passiert jetzt mit ihnen?“, schimpft er im Film. „Sie werden auf der Straße landen, in der Drogenszene, ein gefundenes Fressen für die organisierte Kriminalität.“
Dass er mit Aussagen wie diesen seinen Job riskiert, ist ihm egal. „Wir sind mit schuld an ihrem Zustand“, erzählt er seinem Friseur. Schade ist, dass der Zuschauer die Identität des Mannes nicht erfährt, wie in einem Dokumentarfilm zu erwarten. Das ist die einzige Kritik an dem Langfilmdebüt von Regisseur Luca Lucchesi, der das Thema mit opulenten Bildern und in für dieses Genre ungewohnter Spielfilmoptik einfängt.
Zwischen den blätternden Fassaden des Drehortes mit seiner vergreisenden Einwohnerschaft erzählt er eine Geschichte, wie sie aktueller nicht sein kann. Mit teilweise absurder Situationskomik legt er den Finger in die Wunde einer Flüchtlingspolitik, die die EU mehr schlecht als recht bewältigt. Nebenbei legt er zwischen Unsicherheit und Armut das Terrain offen, auf dem populistisch-nationalistische Ideen gedeihen. Siculiana ist nur ein Beispiel unter vielen.
Ehrenpreisträger Wim Wenders
Zwischen Ehrenpreisträger Wim Wenders („Paris, Texas“; „Der Himmel über Berlin“) und dem Regisseur des Eröffnungsfilms gibt es zahlreiche Verbindungen. Lucchesi hat jahrelang in verschiedenen Positionen mit Wim Wenders zusammengearbeitet. Mit Wenders’ Produktionsfirma „Road Movies“ hat er den Film realisiert, der im April 2021 in die Kinos kommen soll. Wenders ist einer der bekanntesten Spiel- und Dokumentarfilm-Regisseure der BRD. Mit seiner Stiftung fördert er seit 2012 den filmischen Nachwuchs. Mit dem Ehrenpreis zeichnet das Festival jedes Jahr Filmschaffende für ihr Lebenswerk und ihr Engagement für den Filmnachwuchs aus. Zum César, der Goldenen Palme aus Cannes und dem Silbernen Bären der Berlinale gesellt sich seit 2021 in Wenders’ Trophäenregal nun auch das blaue Herz.
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