/ Alain spannt den Bogen: Jubiläumskonzert mit Beethoven und Schönberg
Am 22. Oktober 1989, also kurz vor dem Fall der Berliner Mauer, gaben die Solistes Européens Luxembourg ihr allererstes Konzert im Grand Théâtre. Das Projekt, das von einigen luxemburgischen Klassikfreaks um Jean Wenandy und Eugène Prim realisiert wurde, sollte den europäischen Gedanken transportieren.
Von unserem Korrespondenten Alain Steffen
Musiker und Solisten aus europäischen Spitzenorchestern sollten sich regelmäßig zu spezifischen Konzertprogrammen in Luxemburg treffen und als Kammerorchester das Repertoire des damaligen RTL-Symphonieorchesters ergänzen. Der langjährige Chefdirigent Jack Martin Händler schaffte es innerhalb kurzer Zeit, ein Orchester von beachtlicher Qualität aufzubauen, das auch schnell sein Publikum fand. Qualität zahlt sich aus und so ließen auch die großen Stars nicht lange auf sich warten: Martha Argerich, Leila Josefowicz, der noch junge und völlig unbekannte Lang Lang, Gidon Kremer, Gerhard Oppitz, Gil Shaham, das Beaux Arts Trio, sie und viele andere spielten mit den SEL.
Nach und nach erarbeiten sich die SEL unter Jack Martin Händler das klassische Repertoire, sie spielten wieder Haydn, Mozart und Beethoven, die damals vom RTL-Symphonieorchester so sträflich vernachlässigt wurden. Ein frischer Wind wehte in Luxemburg und die Begeisterung, mit der die SEL ihre Konzerte spielten, sprach sich schnell herum. Als Projektorchester standen sie, bis auf einige Ausnahmen, ausschließlich unter der Leitung von Jack Martin Händler, was einerseits zu einer gewissen Geschlossenheit und Spielkultur führte, andererseits im Laufe der Jahre aber auch gewisse Abnutzungserscheinungen erkennen ließ.
Die Programme wiederholten sich, der spielerische Enthusiasmus blieb aus. Routine hatte sich eingestellt. Die Ära Händler neigte sich nach über zwei erfolgreichen Jahrzehnten dem Ende zu. Mit dem Engagement eines neuen Chefdirigenten sollte Abhilfe geleistet werden. Und da war Christoph König genau der richtige Mann. Anders als Händler hatte er internationale Erfahrung bei Spitzenorchestern aufzuweisen und von Anfang an ein klares und neues Konzept vor Augen. Frische Interpretationen, unbekannte Werke und die beliebten Klassiker: ein Konzept, das sich selbst beim konservativen Publikum schnell durchsetzen konnte, und das, weil die Konzerte auf einem sehr hohen künstlerischen Niveau standen.
Eine andere Dynamik
König gelang es durch die Verpflichtung von neuen Musikern, einen frischen Wind und eine andere Dynamik in das Spiel der SEL zu bringen. Das „Projekt“ stand wieder im Mittelpunkt. Man muss sich aber auch bewusst sein, dass ein solches Projektorchester, so gut die einzelnen Musiker auch sein mögen, mit jeweils nur wenigen Proben auskommen muss und sich durch die fehlende Kontinuität eigentlich nur schwerlich ein wirklich eigener Klang und eine eigene feste Spielkultur entwickeln können.
Vielleicht wäre es nun an der Zeit, weiterzudenken, Christoph Königs erfolgreiches Konzept des „Neuen und Unbekannten“ auszubauen, die Zahl der Konzerte und Programme etwas heraufzuschrauben und auch an die regelmäßige Verpflichtung von Gastdirigenten zu denken. Am vergangenen Montag wurde die Spielzeit der SEL in Anwesenheit von Großherzog Henri und viel Prominenz aus Politik und Kultur und vor vollbesetztem Saal mit einem Jubiläumskonzert gebührend gefeiert. Auf dem Programm stand Ludwig van Beethovens 9. Symphonie. Wohl kein anderes Werk der Musikgeschichte ist in seiner humanistischen Größe und seinem philosophischen Gehalt so prädestiniert wie gerade diese Symphonie. Beethovens Neunte ist europäische Musikgeschichte, sie muss als Wunschkonzert genauso herhalten wie als Propagandastück bei den Nationalsozialisten oder als humanistische Botschaft.
„Alle Menschen werden Brüder“, dieser Satz ist Programm und bewegt seit nun fast 200 Jahren die Musikliebhaber auf der ganzen Welt. Und am Rande bemerkt: Wilhelm Furtwängler hat in dem berühmten Berliner Live-Mitschnitt vom März 1942 vor einem größtenteils nationalsozialistischen Publikum gezeigt, wie diese Musik die Katastrophe des 2. Weltkriegs anprangern kann, wie mahnend, düster und grausam doch Beethovens Musik sein kann. Alles andere demnach als ein Wunschkonzert.
Mahnend, düster, grausam
Eine Aufnahme, die wir uns gerade heute wieder anhören sollten. Auch Christoph König bringt Beethovens Neunte in einen direkten historischen Bezug, indem er zwischen dem Scherzo und dem Adagio Arnold Schönbergs kurzes Oratorium Ein Überlebender aus Warschau für Sprecher, Männerchor und Symphonieorchester zwischensetzt und somit direkt auf die dunkelste Seite der jüngsten europäischen Geschichte hinweist. Musikalisch erlebten wir ein gutes, wenn auch nicht überragendes Konzert. Dafür hatten dann wohl die Proben nicht gereicht. Vieles von Königs Interpretation blieb in den Ansätzen stecken oder wirkte unausgegoren, wie beispielsweise verschiedene Tempomodifikationen, die ganz besonders am Anfang des Finalsatzes störten und das von der Empore ins Leere singende Solistenquartett mit Genia Kühmeier, Sopran, Anke Vondung, Alt, Michael König, Tenor und Jochen Kupfer, Bass. Die kleine Orchesterbesetzung hatte zwar den Vorteil, dass die Musiker sehr schnell und flexibel reagierten, litt aber unter einem viel zu dünnen Klang, dem die Streichergruppen immer wieder zum Opfer fielen.
Dem Orchester selbst, ich habe es vorhin schon kurz angesprochen, fehlt noch ein wirklicher Klangkörper. Das Spiel erklingt bass- und resonanzarm, dünn und ohne Farbigkeit. Das liegt dann aber z.T. auch an der Akustik des Saales, die bei solch prägnanten Werken nicht unbedingt förderlich für kleinere Ensembles ist. Vor allem in der 19. Reihe, aus der ich das Konzert erlebte, wirkte vieles verhuscht und verwaschen. Aber natürlich gibt es auch viel Positives zu berichten. Ein wunderschön gespieltes Adagio, manchmal unwahrscheinlich zarte Zwischentöne und -melodien, tolle Holzbläser und ein überragend singender Chor (Choeur de Chambre de Luxembourg).
Höhepunkt für mich war allerdings Schönbergs Überlebender aus Warschau, das vom Orchester musikalisch perfekt gespielt wurde und in Leila Schaus eine deklamatorisch wie auch im Ausdruck sehr starke Sprecherin fand. Mit freundlichem und lang andauerndem Applaus bedankte sich das zahlreich erschienene (aber extrem erkältete und unangenehm störende) Publikum bei allen Mitwirkenden. Wir wünschen den SEL alles Gute zum Dreißigsten und hoffen, dass Christoph König uns als Chefdirigent noch lange erhalten bleibt. Er hat jedenfalls das Zeug dazu, dem Orchester noch die letzten nötigen Schliffe zu verpassen.
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