Filmwelt / Auftakt der 81. Filmfestspiele von Venedig
Die 81. Filmfestspiele von Venedig bieten eine beeindruckende Plattform für die neuesten Werke aus der internationalen Filmindustrie: Das Festival, 1932 gegründet, ist bekannt für seine herausragenden Beiträge zur Filmkunst und zieht jedes Jahr eine Vielzahl von Filmemachern, Schauspielern und Filmbegeisterten an – doch was erwartet sie dieses Jahr?
Nachdem in Cannes Meryl Streep mit der Ehrenpalme für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde, folgte nun am Mittwochabend in Venedig die Auszeichnung der amerikanischen Schauspielgröße Sigourney Weaver, die den Goldenen Löwen für ihre Gesamtkarriere tränenreich in Empfang nahm. Tim Burtons „Beetlejuice, Beetlejuice“ machte daraufhin den Auftakt der diesjährigen Filmfestspiele. Es ist die Fortsetzung des Filmklassikers von 1988. Dass Burton ausgerechnet diesem Film nach 35 Jahren eine Fortsetzung schenkt, mag auf den Kultstatus zurückzuführen sein, den der Film über die Jahre hinweg erreicht hat (siehe Tageblatt vom 24. August).
Dafür gibt es gute Gründe: In „Beetlejuice“ fanden viele Aspekte erstmals zusammen, die das „Burtonesque“ etablierten: Burtons Vorliebe für verschrobene Außenseitercharaktere, die Ambivalenz der amerikanischen Vorstadt, die Vereinbarkeit zweier unterschiedlicher Welten, sein Glaube an das Gelingen der Kommunikation zwischen Dies- und Jenseits. Das ist auch in der Fortsetzung nicht anders: Burton bringt seine Stars Winona Ryder und Michael Keaton zurück; erweitert mit Monica Bellucci und Jenna Ortega das Schauspielensemble. Darin liegt bereits Burtons Eigenwilligkeit, die Erzählkonventionen Hollywoods gegen die Norm zu bürsten: Multiperspektivisch bindet Burton uns in dieser Fortsetzung an eine Vielzahl unterschiedlicher Charaktere, die alle ihre eigenen Wünsche und Ziele zwischen Tod, Leben, Verdrängung und Trauer verfolgen, die sich schnell in Burtons expressionistischen Bilderreigen erschöpfen.
Vielfältiges Programm
Die Filme des Hauptwettbewerbs um den begehrten Goldenen Löwen könnten dieses Jahr unterschiedlicher nicht sein: Sowohl kleinere Independent-Produktionen als auch größere Hollywood-Produktionen sind darin vertreten. Man findet da „April“ der georgischen Regisseurin Dea Kulumbegashvili ebenso wieder wie die Fortsetzung des 2019 erschienenen „Joker“, der vor fünf Jahren mit dem Goldenen Löwen als bester Film am Lido ausgezeichnet wurde. „Joker – Folie à deux“ bringt Joaquin Phoenix und Lady Gaga in den Hauptrollen zusammen. Der Film, der sowohl Liebesdrama als auch Musical und Thriller vereinen soll, wird im Oktober weltweit in den Kinos starten – seine Aufnahme in den Wettbewerb ist mit Blick auf die Auszeichnung des Vorgängers nur folgerichtig.
Mit dem chilenischen Regisseur Pablo Larraín ist in allen Fällen ein häufiger Gast der Filmfestspiele von Venedig einmal mehr anwesend. Die Erwartungen sind dieses Mal nicht ohne Grund besonders hoch: Nachdem er im vergangenen Jahr am Lido seine Polit-Satire „El Conde“ vorstellte, kehrt er mit „Maria“ wieder zu den von ihm vielseits gelobten fiktiven Frauenporträts zurück. Wenn „El Conde“ zu einem der weniger überzeugenden Werken Larraíns gerechnet werden darf, dann deshalb, weil kaum eine der aufgeworfenen Ideen in diesem Film konsequent zu Ende gedacht wurden.
In „El Conde“ erzählte er vom Diktator Augustin Pinochet im Modus der Satire und machte ihn zum blutrünstigen Vampir – eine Neuvariante der Dracula-Geschichte, in der der Diktator seinen Tod nur vorgetäuscht hat und in ein rurales Exil geflohen ist. Ein Film als politische Satire anzulegen, von der Banalität und der Absurdität der Macht und des absolut Bösen zu erzählen, verlangt nach mehr Tiefe und nach schärferen Aussagen. Als untoter Vampir ist die Frage aufgeworfen, ob man Pinochet aus dem öffentlichen Gedächtnis jemals eliminieren kann. Als Horrorfigur traumatisiert er scheinbar immer noch, doch diese Grundfragen bleiben bei Larraín weitestgehend unberührt. Seine Frauenporträts „Jackie“ (2015), „Ema“ (2019) und „Spencer“ (2021) waren hingegen Werke der Konsequenz und Eigenwilligkeit. „Maria“ scheint nun diese Schaffenslinie wieder aufzugreifen. Wie bei Larraín zu erwarten ist, wird dieser neue Film rein oberflächlich als „Biopic“ angelegt sein, der Angelina Jolie in der Rolle der berühmten Opernsängerin Maria Callas in Szene setzt.
Luxemburgische Koproduktion und andere Filmperlen
„Youth: Homecoming“ von Wang Bing, der als einziger Dokumentarfilm um den Hauptpreis in Venedig buhlt und dort Premiere feiert, ist derweil der dritte Teil eines groß angelegten Epos um die chinesische gesellschaftliche Gegenwart. Der von Frankreich, den Niederlanden und Luxemburg produzierte Dokumentarfilm soll diese Trilogie des großen und unerbittlichen Chronisten Wang Bing zu einem Abschluss bringen.
Mit Spannung erwartet werden ferner „The Room Next Door“ des gefeierten spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar sowie „Queer“ von Luca Guadagnino, dem italienischen Regisseur des Begehrens. „The Room Next Door“ ist der erste englischsprachige Film in Almodóvars Karriere und vereint die beiden internationalen Stars Tilda Swinton und Julianne Moore. Der Film basiert auf dem Roman „What Are You Going Through?“ der amerikanischen Autorin Sigrid Nunez und stellt zwei Frauen in den Mittelpunkt: Martha, eine Kriegsberichterstatterin mit solidem Charakter, die jedoch von einer konfliktreichen Beziehung zu ihrer Tochter geplagt wird, und Ingrid, eine autobiografische Schriftstellerin, Marthas vertraute Freundin, Zeugin und Hüterin ihres Leidens.
„Queer“, der vollständig in Cinecittà gedreht wurde und in der dekadenten mexikanischen Hauptstadt der 1940er Jahre spielt, ist die halb-autobiografische Geschichte von Lee, der aus einem Drogengefängnis in New Orleans entkommen ist. In Mexiko-Stadt zieht er durch die Clubs und Bars der Stadt, die von im Ausland lebenden amerikanischen Universitätsstudenten, entlassenen Soldaten und anderen Randgruppen der Gesellschaft bevölkert sind, und verliebt sich in den entlassenen US-Marinesoldaten Allerton. In der Hauptrolle: der Oscar-nominierte Daniel Craig.
In der Reihe „Außer Konkurrenz“ wird besonders „Riefenstahl“ von Andres Veiel im Vorfeld rege diskutiert. Als ein deutscher Beitrag in Venedig beleuchtet der Film auf Basis des Nachlasses der Filmkünstlerin ihre umstrittene Position in der deutschen Filmgeschichte, die sich aus dem Spannungsfeld aus revolutionärer Filmpionierin einerseits und NS-Propagandistin andererseits ergibt.
Serien und Klassiker
In Venedig wird auch das Serienformat immer häufiger gewürdigt: Auffallend dieses Jahr ist die ungemein reiche Präsenz von Serienprojekten namhafter Regisseure, die jedoch außerhalb des Wettbewerbs gezeigt werden: Thomas Vinterberg, der dänische Veteran des einstigen Dogma-Projektes, präsentiert die vier ersten Folgen von „Familier som vores“ (deutsch: Familien wie unsere), ebenso der mexikanische Filmemacher Alfonso Cuarón mit „Disclaimer“, der die renommierte Schauspielerin Cate Blanchett als engagierte Journalistin ins Zentrum stellt – die Serie, die im Oktober auf Apple TV abrufbar sein soll, und auf dem Romandebüt von Renée Knight von 2015 basiert, kreist um Fragen der Identität und der journalistischen Ethik.
Die 81. Filmfestspiele von Venedig zeugen einmal mehr die Bedeutung des Festivals als Plattform für innovative und bedeutungsvolle Filmkunst. Die Vielfalt der gezeigten Filme und die engagierte Teilnahme von Künstlern und Publikum machten das Festival zu einem festen Bestandteil einer gelebten Filmkultur, die bestimmend sein kann für die Karriere neuer Filme und Filmschaffenden. Neben dem Hauptprogramm gibt es aber auch zahlreiche Sondervorführungen und Retrospektiven.
Bei all dem Glamour und dem Starkult, der rund um die Mostra di Venezia betrieben wird, rückt gerne der Blick in die Vergangenheit in den Hintergrund, den das Festival doch immerzu wirft. So ist in diesem Jahr eine Vielzahl an filmhistorischen Klassikern zu sehen, die in restaurierten Fassungen aufgeführt werden: Da gibt es François Truffauts „La peau douce“ (1964), Michelangelo Antonionis „La notte“ (1961) oder noch „The Big Heat“ (1953) von Fritz Lang. Es lässt sich auch am Programm der diesjährigen Ausgabe unschwer ablesen, dass in Venedig die Filmkunst an erster Stelle gefeiert werden soll: Es geht darum, ein lebendiges Filmbewusstsein in den Mittelpunkt zu rücken, die Vergangenheit in der Gegenwart zu verankern und neue Erzählformate ernst zu nehmen.
Luxemburg in Venedig
Luxemburg ist mit sechs Filmproduktionen bei den 81. Internationalen Filmfestspielen von Venedig vertreten. Der Großteil läuft in der Kategorie „Venice Immersive“ – dem Teil des Programms, der sich „Virtual Reality“-Produktionen widmet –, konkret handelt es sich um: „Ceci est mon cœur“ von Nicolas Blies und Stéphane Hueber-Blies (koproduziert von a_BAHN); „Oto’s Planet“ von Gwenael François und „Mamie Lou“ von Isabelle Andréani (beides koproduziert von Skill Lab); „Ito Meikyu“ von Boris Labbé (koproduziert von Les Films Fauves) sowie „Champ de bataille“ von François Vautier (koproduziert von Digital Voodooh). Im Rennen um den „Goldenen Löwen“ ist „Qing chun gui“ („Youth“) von Wang Bing (koproduziert von Les Films Fauves). Dies ist die erste luxemburgische Koproduktion, die am Hauptwettbewerb in Venedig teilnimmt. Weitere Artikel zu den Filmfestspielen folgen in den kommenden Wochen.
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