/ Cannes hoch fünf
- Während der Filmfestspiele in Cannes entsteht quasi eine Stadt in der Stadt. Diese besteht wiederum aus etlichen Mikrokosmen, was bedeutet, dass es Menschen gibt, deren Wege sich nicht kreuzen, obwohl sie sich am gleichen Ort aufhalten. So macht also auch jeder seine ganz eigene „Cannes-Erfahrung“. Das Tageblatt hat mit fünf Luxemburgern vor Ort gesprochen und wollte wissen, welche Rolle das Festival für sie spielt.
Von Anne Schaaf
„Es ist wie eine orgasmische Explosion in meinem Kopf.“ Recht bildhaft beschreibt Diana Nilles ihr Gefühl nach einem idealen Tag in Cannes, der für die junge Filmemacherin vorzugsweise darin besteht, sich möglichst viele Filme anzusehen. Aus Letzteren könne sie reichlich Inspiration schöpfen. Unter anderem so entstünden unzählige Ideen für künftige Produktionen. „Zudem werden dadurch wichtige Gedankengänge freigesetzt. An der Filmschule hat man häufig große Träume, aber wenig Vorstellung davon, was in der Realität eigentlich abgeht. Hier sieht man dann, wie es läuft und wie schwer es sein kann.“
Fernab des Trubels kann sie sich für Stunden auf dem Kinosessel verweilend fokussieren und schätzt gerade in diesem Kontext die Entschleunigung. „Es gehört zur Canner Tradition dazu, den Film an sich und auch den Akt des Filmschauens wirklich wertzuschätzen. Dies steht in einem starken Kontrast zum schnellen Konsum von Filmen, zu jenem einfachen Klick, der direkt zum Download führt.““Es ist wie eine orgasmische Explosion in meinem Kopf.“ Recht bildhaft beschreibt Diana Nilles ihr Gefühl nach einem idealen Tag in Cannes, der für die junge Filmemacherin vorzugsweise darin besteht, sich möglichst viele Filme anzusehen. Aus Letzteren könne sie reichlich Inspiration schöpfen. Unter anderem so entstünden unzählige Ideen für künftige Produktionen.
„Zudem werden dadurch wichtige Gedankengänge freigesetzt. An der Filmschule hat man häufig große Träume, aber wenig Vorstellung davon, was in der Realität eigentlich abgeht. Hier sieht man dann, wie es läuft und wie schwer es sein kann.“ Fernab des Trubels kann sie sich für Stunden auf dem Kinosessel verweilend fokussieren und schätzt gerade in diesem Kontext die Entschleunigung. „Es gehört zur Canner Tradition dazu, den Film an sich und auch den Akt des Filmschauens wirklich wertzuschätzen. Dies steht in einem starken Kontrast zum schnellen Konsum von Filmen, zu jenem einfachen Klick, der direkt zum Download führt.“
Yann Tonnar geht es ähnlich. Für den luxemburgischen Regisseur, der auf zahlreiche Festivalteilnahmen zurückschauen kann, hat der sakrale Charakter dieser Erfahrung noch keine Einbußen erfahren müssen: „Man betritt hier gewissermaßen eine Kathedrale und sucht nach Propheten, die eine neue Wahrheit deklamieren. Und das funktioniert zuweilen auch. Wenn und während es passiert, sitzt du mit anderen Menschen in einem Raum, die das gleiche spüren wie du.“ Wenn man selbst künstlerisch tätig sei, tue es gut zu sehen, dass dem eigenen Arbeitsfeld derart viel Wert zugesprochen werde. Deswegen nehme man es dann auch in Kauf, manchmal unendlich lange Schlange zu stehen, um nicht einmal sicher zu sein, ob man es noch in einen der Kinosäle schaffe.
Auch der Filmschaffende Thierry Besseling lässt in Cannes seiner Cinephilie stunden-, tage- oder gar nächtelang freien Lauf. Er genießt es, dass sich hier dermaßen mannigfaltige Kinematografien aus vielerlei Ländern miteinander konfrontieren und geht selbst ebenfalls die Konfrontation mit ihnen ein.Für das, was sich an der Oberfläche, also auf den roten Treppenstufen abspielt, hegt Besseling kein außerordentliches Interesse. Jedoch ermögliche das eine wohl das andere, so der Filmemacher: „Wenn die ‚Têtes d’affiches‘ nicht kämen, dann wäre die Aufmerksamkeit der Medien weitaus kleiner. So hat man es hier mit einer sehr eigenen Koexistenz zwischen extrem pertinentem Autorenkino, also Filmen, die hochwertige kulturelle Güter darstellen, auf der einen Seite und purem Kommerz auf der anderen Seite zu tun.“
Wie seinen Vorrednern behagt auch ihm die Internationalität des Festivals: „Hier trifft man beispielsweise auf schwedische Filmemacher und italienische Schauspieler. Diese Begegnungen können zu interessanten Koproduktionen führen. Es ist von großem Vorteil, wenn diese nicht erzwungen werden, denn es gibt durchaus auch ein Phänomen, das sich ‚Europudding‘ nennt und bei dem davon ausgegangen wird, dass manche Zusammenarbeiten nur entstehen, damit man gemeinsam Gelder beantragen kann. Es sollte indes bestenfalls einen kreativen Grund für gemeinsames Schaffen geben.“
Der junge Schauspieler Tommy Schlesser nutzt das Festival, das er nun bereits zum siebten Mal besucht, gerne, um Kontakte aufrechtzuerhalten, aber ebenso um neue zu knüpfen. Er habe in Cannes interessante Menschen kennengelernt, jedoch sei das Festival für Schauspieler, die dort nicht selbst auf der Leinwand zu sehen seien, weniger wichtig. Sich selbst als Ware zu verkaufen, liege ihm fern, so Schlesser: „Wenn man da rumlaufen und jedem seine Visitenkarte aufdrücken möchte, dann wage ich zu bezweifeln, dass es funktionieren wird. Mir ist es persönlich lieber, wenn Verbindungen auf natürliche Art und Weise entstehen.“ Ihm scheint klar, dass das Großevent in Südfrankreich hauptsächlich von Relevanz für Produzenten ist, da neben den Screenings vor allem der Verkauf von Filmen im Vordergrund stehe.
Money talks
„Jemand, der nicht in Cannes ist, den gibt es nicht“, statuiert Guy Daleiden, Direktor des Fonds national de soutien à la production audiovisuelle, der gemeinhin als Film Fund bezeichnet wird. Hätte Luxemburg beim weltweit wichtigsten Festival der Branche keinen Stand, so könnte laut Daleiden der Eindruck entstehen, dass es keine Filmindustrie im Großherzogtum gibt. Da aber im „Inneren“ der gigantischen Maschinerie Deals gemacht werden, die bestimmen, was künftig auf dem Markt passiert, scheint es ihm wichtig, Luxemburg einen Platz auf der großen Landkarte zu verschaffen. Die physische Präsenz sei auf keinem anderen Filmfestival so relevant wie Cannes, erklärt der Leiter des „Fonds national de soutien à la production audiovisuelle“.Dementsprechend fährt der Film Fund auch ganz schön groß auf dem sogenannten „Marché du film“ auf, der alljährlich rund 12.000 Profis aus dem Sektor anlockt.
In einem strategisch wertvoll am Strand gelegenen „Village international“ platzierten Pavillon (Kostenfaktor: für 75 Quadratmeter mehr als 28.375 Euro) befindet sich sein Hauptquartier, in dem rund 80 Akteure aus dem luxemburgischen Sektor sich untereinander, aber auch mit ausländischen Partnern während der gesamten Dauer der Filmfestspiele austauschen können.Besonders hervorgehoben wird der sogenannte „Luxemburger Tag“, der vorige Woche Freitag stattfand. Worin ganz genau sein Sinn besteht, da scheiden sich die Geister. Neben der ironischen Tatsache, dass hier außerhalb Luxemburgs Gespräche zustande kommen, die in der heimischen Szene ab und an scheinbar schwer zu organisieren sind, darf es außerdem als gesichert gelten, dass diese Festivität nicht ausschließlich aus (Selbst-)Lobgesängen bestand. Bei einer Pressekonferenz witzelte der luxemburgische Produzent (und Sekretär der „Union luxembourgeoise de la production audiovisuelle“, kurz ULPA) Nicolas Steil auf den eigenen Panama-Hut deutend, damit könne er ja vielleicht vor Ort etwas Geld sammeln. (Ein Schelm, wer sich hier zu lange Gedanken über die Herkunft des Hutes und die Verbindung zu Luxemburg macht.)
Steil nahm mit diesem Scherz Bezug auf das derzeitige Ausbleiben einer Antwort seitens des zuständigen Medienministers, an den bereits am 9. März ein Brief gesendet worden war, in dem mehr als die ohnehin schon zugesprochene finanzielle Unterstützung seitens des Staates (siehe Infobox) gefordert wurde, da der Sektor wachse (Zuwachs von rund 35%), die verfügbare Geldsumme jedoch nicht erhöht werde. Auch die Abgeordnete Sam Tanson hatte diesbezüglich am 3. Mai eine „Question parlamentaire“ eingereicht, die bisher unbeantwortet blieb.
Gegenüber Radio 100,7 zeichnete Steil ein potenzielles Schreckensszenario: „Wa mir musse waarde bis déi nächst Wahlen, dat wier katastrophal fir dee ganze Secteur.“Aufgrund der Tatsache, dass der Medienminister nicht persönlich auf der „Croisette“ auftauchte, vermuten manche die Furcht vor der Auseinandersetzung mit den eben genannten Forderungen. Dieser Interpretation stellt sich Guy Daleiden jedoch entschieden entgegen: „Das ist Blödsinn.“ Der Premier habe den Sektor stets unterstützt und sei immer dann nach Cannes gekommen, wenn es ihm möglich war. „Man darf nicht vergessen, dass dieser Mann Premier, Kultur- und Medienminister ist und auch andere Obligationen hat“, so sein Parteikollege. Weder wurde sein ministerielles Multitasking infrage gestellt, noch zog man seine Konfrontationsbereitschaft in Zweifel: „So wie ich Xavier Bettel kenne, ist er nicht der Mensch, der sich davor scheuen würde, den Betroffenen zu sagen, ob er ihnen nun mehr oder weniger Geld zusprechen kann“, fährt Daleiden fort.Darauf angesprochen, welche Relevanz die Präsenz des Premiers in Cannes überhaupt habe, erwidert Daleiden: „Ob er nun hier ist oder nicht, ist weniger wichtig.“
Man sei zwar als Film Fund und Sektor froh, wenn Bettel vorbeischaue, er müsse dennoch nicht jedes Jahr auf ein Neues den Beweis dafür erbringen, dass er hinter ihnen stünde. (Übrigens war aber die kanadische Kultur- und Kommunikationsministerin Marie Montpetit im Pavillon zu Besuch, da erst kürzlich ein Vertrag zwischen beiden Ländern geschlossen wurde, um eine luxemburgische Spezialität, nämlich audiovisuelle Koproduktionen, zu fördern.)Löwen und HundebabysWer die unterschiedlichen Plakate des Film Fund im Pavillon begutachtete, vernahm den allseits bekannten, nicht selten belächelten Schriftzug: „Let’s make it happen.“ Auf die Frage hin, ob man hier eine wichtige Funktion in Sachen Nation branding übernehme, entgegnete Daleiden prompt: „Absolut nicht. Kultur und auch der Filmsektor sind nicht dafür da, aber ein Land, das einen kreativen Sektor hat und im kulturellen Bereich hochwertige Künstler aufweisen kann, das bekommt ein anderes Image als Land und trägt dadurch zum Nation branding bei.“
Luxemburg könne nur davon profitieren, wenn es in seine talentierten Künstler investiere.Dem schließt der Darsteller Tommy Schlesser sich an: „Ich sage zwar gerne, dass ich Luxemburger bin, aber ich laufe trotzdem nicht mit einer ‚roude Léiw‘-Fahne rum und ich habe auch nicht das Bedürfnis‚ ’let’s make it happen‘ zu brüllen.“ (Lacht.) Er habe nichts dagegen, dass Nation branding gemacht werde, ob es etwas bringe, würde sich jedoch ohnehin erst in ein paar Jahren zeigen.Problematisch findet Schlesser hingegen den Habitus, dass der Erfolg einer einzelnen Person nicht selten von einer ganzen Nation für sich beansprucht wird: „Beispielsweise Herr Müller, und nicht – Mulles – wie er häufig genannt wird, hat sein Leben lang trainiert, um einmal in die Top Ten der Sportler zu gelangen, dennoch klopft sich ganz Luxemburg auf die Schulter, wenn er einen Sieg verbucht. Ich verstehe die Freude und den Stolz, aber es ist nicht unser, sondern sein Verdienst. Das gleiche gilt für den Oscarsieg von Alexandre Espigares und Laurent Witz im Jahr 2014 (für den animierten Kurzfilm „Mr Hublot“). Es sind die beiden, die für ihre Arbeit mit einem Oscar belohnt wurden und nicht etwa Luxemburg als Land.“Dem „Luxemburger Tag“ lastet ein wenig der Ruf an, er diene schlicht der Selbstbeweihräucherung. Dem Tageblatt gegenüber betonten aber auch ganz unterschiedliche Gesprächspartner, er schaffe ein empowerndes Moment. Der Filmemacher Yann Tonnar findet beispielsweise: „Selbstbewusstsein ist weltweit wichtig, aber insbesondere in Luxemburg, weil hier ein bestimmter Minderwertigkeitskomplex recht weit verbreitet ist.“
In eine ähnliche Kerbe schlägt Guy Daleiden, der betont, dass dieser Tag dafür geeignet sei, sich für geleistete Arbeit bei Akteuren aus dem Sektor zu bedanken. Zudem weist er darauf hin, dass längst nicht nur das Großherzogtum ein derartiges Fest veranstalte.Nun stand in Cannes lediglich die luxemburgisch-französisch-kanadische Koproduktion „Pachamama“, also ein „Work in Progress“-Projekt des argentinischen Regisseurs David Mouraire im Fokus. Es bestand also recht wenig Raum, um bei der Berichterstattung zum Nestbeschmutzer zu werden. Es ist kein neues Thema, sondern eher ein Dauerbrenner, der zuletzt 2017 recht anschaulich in einem forum-Dossier über das Kino in Luxemburg (Artikel „Kritik im Glashaus“) besprochen wurde: Die Annahme, dass gerade luxemburgische Medien etwas vorsichtiger bei inländischen Produktionen vorgehen, steht stets im Raum. Es ist von einer Art Welpenschutz oder besonderer Vorsicht die Rede, nicht zuletzt auch, weil gleich mehrere Akteure in der Branche auch mehrere „Kapen unhunn“ und deswegen auf die ein oder andere Art und Weise in Situationen geraten, in denen sie auf einmal Kollegen kritisieren müssten, aber es nicht unbedingt tun wollen. Der Direktor des Film Fund hält dies nicht für gänzlich zutreffend: „Man ist vielleicht, auch weil man den roten Löwen im Herzen trägt, etwas weniger kritisch, aber ich habe nicht das Gefühl, dass wir von der Presse verschont werden.“ Diesbezüglich spricht er eine seiner Auffassung nach luxemburgische Besonderheit an: „Zwischen dem Film Fund bzw. dem Minister und dem Verband der Produzenten und der Techniker beispielsweise, da ist man sich nicht immer einig, aber man weiß, dass man trotzdem am gleichen Strang zieht. Manchmal muss man streiten und man darf auch nicht einverstanden sein mit etwas, aber wir sollten schauen, dass wir zusammenhalten, und das bedeutet auch manchmal, über Dinge hinwegzuschauen.“
EXTRA
Das Luxemburger Staatsministerium kann insgesamt über 248.996.325 Euro verfügen. Davon entfallen 22,58 Prozent, also 56.233.951 Euro, auf den Bereich „Médias et Communications“. Die Summe, die an den Film Fund geht, beträgt insgesamt 33.900.000 Euro und stellt damit den höchsten Kostenpunkt dar. An zweiter Stelle kommt die Pressehilfe, die mit ein bisschen mehr als 7,5 Mio. Euro weit darunter liegt. Zum Vergleich: Dem Kulturministerium stehen 141.109.719 Euro zur Verfügung für den gesamten Bereich.
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