Alain spannt den Bogen / Die besten Studioaufnahmen – Serie zum „Ring des Nibelungen“ (Teil 3)
Ehe wir in diesem dritten und letzten Teil zur Aufnahmegeschichte von Wagners Tetralogie zu den Studioaufnahmen kommen, sollen doch einige Live-Mitschnitte hier angesprochen werden.
Da wären die beiden italienischen Aufnahmen unter Wilhelm Furtwängler (Scala 1950, Rom 1953) mit den großen Wagner-Sängern dieser Zeit, wobei der Scala-Ring die einzige Aufnahme Kirsten Flagstadts ist, auf der sie alle drei Partien am Stück singt. Ihre Partner sind Ferdinand Frantz (Wotan), Günther Treptow (Siegmund), Set Svanholm und Max Lorenz (Siegfried). Im Rom-Ring singen Frantz (Wotan), Windgassen (Siegmund), Martha Mödl (Brünnhilde) und Ludwig Suthaus (Siegfried). Furtwänglers Dirigat ist beide Male faszinierend und kommt ohne jenen Pathos aus, der Furtwängler ja oft angedichtet wurde. Leider sind sowohl das Scala- als auch das Rai-Orchester dritte Wahl und kaum konkurrenzfähig. Zudem ist die Klangqualität beider Aufnahmen äußerst dürftig. Eine geplante Studioaufnahme wurde durch Furtwänglers Tod vereitelt. Von diesem Projekt ist nur eine Walküre (auf EMI) erhalten.
Auch von dem großen Wagner-Dirigenten Wolfgang Sawallisch ist eine Live-Einspielung des Rings erhalten. Die legendäre Lehnhoff-Inszenierung wurde im November 1989 an der Bayrischen Staatsoper mitgeschnitten und ist ein wichtiges Zeugnis des damaligen Wagner-Gesangs. Robert Hale, Hildegard Behrens und René Kollo sind in den drei Hauptpartien zu hören. Klanglich und sängerisch weitaus besser ist Marek Janowskis konzertant aufgenommener Ring aus Berlin. Hier ist vor allem der grandiose Wotan von Tomasz Konieczny hervorzuheben, der ein glänzendes Ensemble anführt: Petra Lang und Violetta Urmana (Brünnhilde), Robert Dean Smith (Siegmund), Stephen Gould und Lance Ryan (Siegfried) sowie Salminen, Schmeckenbecher, Elsner, Vermillon, Diener und Groissböck.
Goodalls bahnbrechender Ring auf Englisch
Und dann gibt es da noch diesen phänomenalen Ring von der English National Opera unter der Leitung von Sir Reginald Goodall. Damals noch unter dem Namen Sadler’s Wells Opera bekannt, besticht diese Aufnahme durch fantastischen Gesang und ein sehr sängerfeundliches Dirigat, das mit erstaunlich langsamen Tempi zu einem ungeheuren Spannungsaufbau fähig ist. Das ist zwar oldschool und recht pathetisch, aber welch eine Interpretation, welch ein Atem, welch eine Dramatik! Mitte der 70er-Jahre aufgenommen, schickt Goodalls Ring bei uns kaum bekannte Sänger ins Rennen, allen voran den phänomenalen Alberto Remedios als Siegmund und Siegfried, der stilistisch einwandfrei singt und stimmlich so manchen deutschen oder amerikanischen Kollegen in den Schatten stellt. Norman Bailey singt Wotan/Wanderer mit majestätischer Stimme und Rita Hunter als Brünnhilde lässt den Hörer mit offenem Mund zurück. Das ist Weltklasse, zumal auch die restlichen Sänger der Sadler’s Wells mit überdurchschnittlichen Leistungen beeindrucken. Allerdings ist dieser Ring in englischer Sprache gesungen, was das Hörvergnügen aber an keiner Stelle mindert.
Andere Ringe sind jene aus Seattle unter Asher Fish, Frankfurt unter Sebastian Weigle, Karlsruhe unter Günter Neuhold, Hamburg unter Simone Young, Kassel unter Roberto Paternostro und unter Gustav Kuhn von den Tiroler Festspielen Erl. Hervorheben muss man auch den „Billig“-Ring unter Hans Swarowski, der im Sommer 1968 in Nürnberg unter abenteuerlichen Umständen entstand. Durch den Einmarsch der russischen Truppen in der damaligen HCSSR, bei dem die Grenzen geschlossen wurden, reisten viele Musiker der Tschechischen Philharmonie ab und mussten ad hoc von Musikern umliegender Orchester ersetzt werden. Zudem standen nur wenige Aufnahmesitzungen zur Verfügung, sodass man dann und wann schon mal stimmliche Durchhänger der Sänger in Kauf nehmen muss. Nichtsdestoweniger ist Swarowskis Ring als überdurchschnittlich zu bewerten. Karajan hatte im Jahr zuvor Nadezka Kniplova als Brünnhilde nach Salzburg geholt, die hier ebenfalls in dieser Rolle glänzen kann. Rudolf Polke singt mit seinem Heldenbariton einen flexiblen und ansprechenden Wotan während der heute noch kaum bekannte Heldentenor Gerald McKee einen außerordentlichen Siegmund und Siegfried singt. Die übrigen Partien sind durchwegs gut besetzt.
Die Klassiker: Solti und Karajan
Über die beiden legendären Ring-Aufnahmen von Sir Georg Solti (1959-1967) und Herbert von Karajan (1967-1970) braucht man kaum noch Worte zu verlieren. Beide stehen sich interpretatorisch diametral gegenüber. Auf der einen Seite Solti und die Wiener Philharmoniker mit hyperkativen, überdramatischen Musizieren und John Culshaws akustisch völlig neuartigem Sonic-Stage-Verfahren, auf der anderen, Karajan und die Berliner Philharmoniker mit einem hochsensiblen, feinen und fast schwebend kammermusikalischen Spiel. Solti setzt noch auf die alte Sängergarde, also Nilsson, Windgassen, King, Hotter, Flagstad und Svanholm, während Karajan „neue“ Stimmen wie Helga Dernesch, Thomas Stewart, Jess Thomas oder Gundula Janowitz ins Feld führt. Beide Aufnahmen gehören auch heute noch zu den wichtigsten Referenzeinspielungen der Ring-Geschichte. Den Karajan-Ring gibt es ebenfalls als Live-Mitschnitt der Salzburger Festspiele, allerdings in wesentlich schlechterer Klangqualität.
Marek Janowskis erster Digital-Ring (1980-1983) ist ebenfalls hörenswert, und das vor allem wegen Theo Adam als Wotan, Sigmund Nimsgern als Alberich und René Kollo als Siegfried. Jeanine Altmeyer als Brünnhilde ist Geschmackssache, mir gefällt sie jedenfalls. Jerusalem als Siegmund kommt nicht so recht in Fahrt, und das liegt wohl an der interessanten Fehlbesetzung der Sieglinde durch Jessye Norman. Hier wie auch im Levine-Ring von der MET (1988-1991) kann sie weder sängerisch noch gestalterisch überzeugen. Levines Ring krankt ebenfalls an dem behäbigen Gary Lakes als Siegmund und dem nicht immer sattelfesten Reiner Goldberg als Siegfried. Hildegard Behrens hat mit den bekannten Schwächen einer sauberen Stimmführung zu kämpfen. Auf der Plus-Seite haben wir Siegfried Jerusalem als einen der besten Loge-Sänger der Schallplattengeschichte, James Morris als stimmgewaltigen Wotan, Christa Ludwig als edle Fricka, Brigitta Svenden als Erda, Kurt Moll als Hunding, Matti Salminen als Hagen und Ekkehard Wlaschiha als überragenden Alberich. Levines Dirigat ist, wie schon bei den Bayreuther Festspielen, sensationell und das MET-Orchester ist sogar dem Bayreuther Festspieler manchmal überlegen.
Bleibt noch die insgesamt etwas langweilige Ring-Einspielung von Bernard Haitink mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (1988-1992). James Morris singt Wotan, Zednik glänzt noch einmal als Loge, Peter Haage ist ein sehr guter Mime, Reiner Goldberg überzeugt als Siegmund, Cheryl Studer ist eine wundervolle Sieglinde und Siegfried Jerusalem behauptet sich wie schon bei Barenboim als unschlagbarer Siegfried. Wer neugierig auf die Brünnhilde von Eva Marton ist, wird nicht enttäuscht, allerdings singt Theo Adam hier einen stimmlich unzufriedenstellenden Alberich, Waltraud Meier als Fricka ist ein Bonus, ebenso der Gunther von Thomas Hampson und der Hagen von John Tomlinson. Für mich teilen sich allerdings Solti, Karajan und Goodall die ersten drei Plätze.
Und so schließt sich die aufregende Aufnahmegeschichte für den Moment. Wir erwarten natürlich in den nächsten zwei Jahren eine Schwemme von Neuaufnahmen. Simon Rattles Münchner Ring ist ja schon fast integral im Kasten. Und nun stehen neue frische Wagner-Stimmen und aufregende Dirigenten bereit, um ein neues Kapitel von Wagners Tetralogie aufzuschlagen.
Zum Kontext
2026 feiert Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ ihr 150-jähriges Jubiläum. Schon in diesem Jahr bereiten Opernhäuser das Werk auf. Alain Steffen widmet sich der Aufnahmegeschichte des Werks. Der erste Teil seiner Serie ist am 8. Mai erschienen und befasste sich spezifisch mit den 13 kompletten Mitschnitten bei den Bayreuther Festspielen. Am 8. Juni ging es dann um die Aufnahmegeschichte des „Ring des Nibelungen“ allgemein.
Hier geht es zum ersten Teil: Legenden der Bayreuther Festspiele – Serie zum „Ring des Nibelungen“ (Teil 1)
Der zweite Teil: „Den Ring muss ich haben“ – Serie zum „Ring des Nibelungen“ (Teil 2)
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