Subkultur / Die Gothic-Szene feiert ihre Partys in der Pandemie im Netz
Für die Mitglieder der Gothic-Subkultur sind Konzerte und Partys wichtig. Hier treffen sie sich mit Gleichgesinnten. Wegen Covid sind seit einem Jahr alle Partys und alles Festival abgesagt. Wie alle vernünftigen Menschen bleiben Gothics so weit es geht zu Hause. Die Szene weicht auf das Internet aus. Doch das ist nicht das Gleiche, erzählt ein Goth aus Esch im Gespräch mit dem Tageblatt.
Es ist Ende Mai 2018 in Leipzig. Tausende Menschen aus der ganzen Welt sind angereist, um gemeinsam am Wave-Gothic-Treffen teilzunehmen. Es ist das größte Treffen der Szene weltweit. In den Straßen der Metropole promenieren Menschen schwarzer Gewandung, in viktorianischen Kleidern, in Lack und Leder, mit Plateauschuhen und Minirock, mit kunstvollen Masken und üppigen Frisuren, mit weißem Make-up und viel Eyeliner. Die einzelnen Veranstaltungen des Festivals verteilen sich auf zahllose Locations in der ganzen Stadt. Kaum ein Veranstaltungsort in Leipzig, der nicht Teil des Programms ist. Und so ist auch die Straßenbahn voll mit Gruftis. Wer jetzt die Stadt unvorbereitet betritt, erlebt einen Kulturschock, wenn auch keinen unangenehmen.
Wer abends noch feiern will, besucht das Gothic Pogo Festival im Werk 2 auf dem Linken Kiez Connewitz, das parallel zum WGT abgehalten wird. Hier treffen sich Punks und Post-Punks mit Undercut, die Haare zu Iros und Deathhawks (eine Art toupierter Irokesenschnitt) aufgestellt, um die ganze Nacht laute Musik zu hören, zu tanzen oder im Hof des alten Fabrikgeländes bei einem Glas Bier zu plaudern, neue Bekanntschaften zu schließen und alte wieder aufzufrischen.
Genau wie andere Festivals ist das WGT im letzten Jahr Covid zum Opfer gefallen. Die Veranstalter stritten sich zwar lange noch mit dem Oberbürgermeister der sächsischen Stadt und verkauften Karten, doch vergebens. Auch alle anderen Pflichttermine vielen aus. Clubs machten dicht. Die Szene ist beileibe nicht die einzige, deren Mitglieder derzeit zu Hause eingesperrt sind. Sie steht beispielhaft für alle Subkulturen, die aufgrund der Pandemie in Stand-by-Modus schalten mussten. Ausgehen und feiern – das geht zurzeit nun einmal nicht!
„Manche Leute, ob Goth oder nicht, lieben es zu feiern und sind von Natur aus gesellig. Bei mir ist das nicht der Fall“, sagt Laura aus Esch. Am liebsten bleibt die Künstlerin zu Hause und arbeitet an ihren Projekten. „Ich genieße es, allein zu sein, ich brauche nicht wirklich soziale Interaktion“, sagt sie. „Aber wenn es um Gothic-Sachen geht, ist alles anders. Eines der Dinge, die ich im Leben am meisten genieße, sind Konzerte. Es macht mir nichts aus, von Tausenden von Menschen umgeben zu sein, außer Atem gepresst, gestoßen, angerempelt, mit dem Schweiß der anderen bedeckt zu werden … In diesem Moment fühlt es sich an, als wären wir alle eine Masse menschlichen Fleisches, die den gleichen Verstand – oder das gleiche Herz – teilen, und Musik ist die Kraft, die uns alle verbindet.“ Das Gleiche gelte für Gothic-Partys und Clubs.
„Von diesen Menschen umgeben zu sein, fühlt sich für mich wie ein Zuhause an. Als ich 1997 zum ersten Mal einen Fuß in einen Gothic-Club setzte, hatte ich das Gefühl, endlich meinen Platz gefunden zu haben.“ Hier konnte Laura sie selbst sein, erzählt sie. „Ich brauchte meine soziale Unbeholfenheit nicht zu verstecken, musste nicht so tun, als hätte ich Spaß, und musste nicht irgendeinen Schmerz vortäuschen, um mich vor dem Tanzen zu drücken.“ Viele Mitglieder der Szene teilen das Gefühl, hier sie selbst sein zu können.
Ausgehen in jedem Alter
Die Szene ist dafür bekannt, dass hier Jung und Alt zusammen feiern. In einem Artikel berichtete die Washington Post kürzlich darüber, dass Goths sogar erfolgreicher altern als andere. „Ich gehörte dort hin, und nach so vielen Jahren tue ich das immer noch“, sagt Laura. „Denn die Sache mit Goths ist, dass wir normalerweise nicht aufhören auszugehen, nur weil wir alt werden. Wenn etwas dich glücklich macht, warum aufhören? Es sei denn, es gibt eine Pandemie …“ Wie die meisten Menschen hält sich Laura natürlich an die notwendigen Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie.
Seine Wurzeln hat Gothic in der Punk-Bewegung. Post-Punk-Bands wie Joy Division, Bauhaus oder Siouxsie and the Banshees grenzten sich in den 70ern durch eine ruhigere Gangart und gefühlsbetonteren Texten vom Punk-Rock ab. Nach und nach bildete sich die Gothic-Subkultur. Gothic gehört zur Schwarzen Szene, zu der ebenfalls einige elektronische Genres und sogar Bands aus dem Folk-Bereich gezählt werden. Bei den großen Festivals darf man sich also nicht zu sehr über eine wilde Mischung unterschiedlicher Musik wundern.
Bereits vor Covid war das Großherzogtum keine Hochburg der Gothic-Kultur. „Es gibt eigentlich keine Gothic-Szene in Luxemburg. Auch wenn es hier einige Gothics gibt, gibt es nur sehr wenige Gothic-Veranstaltungen, wenn überhaupt“, berichtet Laura. „Früher sind wir nach Trier gegangen, als es einmal im Monat eine Gothic-Party gab, aber nachdem der Laden geschlossen wurde, hatten wir nichts mehr.“ Gemeint ist die Schließung des Kulturzentrums Exhaus in Trier aufgrund von Problemen an dem alten Gemäuer. Das Exhaus war über Jahrzehnte eine Institution in der Trierer Kulturlandschaft und u.a. Austragungsort von alternativen Veranstaltungen – darunter auch Partys der Schwarzen Szene. Auch einige Luxemburger zog es dorthin. Das Kellergewölbe des Hauses und später das Dachgeschoss haben über die Jahre etliche Gothic-Partys gesehen. Laura meint: „Natürlich gab es immer noch Bars, die Gothic-verwandte Musik wie Punk oder Metal spielten, und die gelegentlichen Konzerte, aber das war’s.“ Mit Covid ist nun aber sogar diese Ausweichmöglichkeit weggefallen.
Covid hat diese, wie andere Subkulturen auch, um ihre regelmäßigen Treffen gebracht. Die Gruftis haben sich Ersatz im Internet gesucht. Diskjockeys legen zu Hause oder im leeren Club auf und streamen die Bilder im Netz. Entweder über eine Software wie Zoom oder Streaming-Plattformen wie Twitch. Viele der DJs motzen sich dafür richtig auf, stellen die Haare hoch, tragen Make-up und dekorieren ihr Pult, um Atmosphäre zu schaffen. Die Zuschauer können daneben einem Chat beitreten und plaudern. Hin und wieder übertragen Bands auf diese Weise Konzerte ins heimische Wohnzimmer. „Die Live-Streams sind wirklich angenehm, es ist schön, sich wenigstens auf diese Weise verbunden zu fühlen. Wir hören alle dasselbe zur selben Zeit und können uns miteinander unterhalten“, sagt Laura. Sie schränkt allerdings ein: „Aber es ist nicht das Gleiche. Ich weiß, dass viele von uns das Echte wirklich vermissen und wie jeder andere auf dem Planeten nicht erwarten können, dass alles wieder normal wird.“
Lauras Gothic-Playlist:
Bauhaus – Bela Lugosi’s Dead
Dead Can Dance – The Trial
Cocteau Twins – Persephone
Siouxsie and the Banshees – Night Shift
Joy Division – 24 Hours
Unsere Gothic-Playlist:
The Smith – How Soon Is Now
Tuxedomoon – No Tears
Sisters of Mercy – Temple of Love
Xmal Deutschland – Begrab Mein Herz
Lebanon Hanover – Gallowdance
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